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Merle, Robert - Die geschützten Männer




Merle, Robert - Die geschützten Männer

Beitragvon mombour » 13.12.2009, 10:16

Hallo,

ein Geschenk für alle Ehemännner :mrgreen:

Robert Merle: Die geschützten Männer


Das Virus Enzephalitis 16 verändert die Welt. Fast alle Männer sterben, sie verlieren das Bewusstsein und fallen ins Koma. Frauen sind immun. Eine Erhebung hat gezeigt, kein Junge im vorpubertären Alter ist von der Krankheit betroffen, es gibt nur wenige Männer über siebzig, die an Enzephalitis 16 gestorben sind. Der Neurologe Dr. Martinelli, der vor einem Ausschuss der HEW, dem Ministerium für Gesundheitswesen, Volksbildung und Soziales in Washington über die Epidemie referiert, möchte, dass sein Bericht veröffentlicht wird. Doch auch drei Wochen nach dieser Unterredung ist nichts geschehen. Die Öffentlichkeit ist nicht alamiert. Keine prophylaktischen Maßnahmen werden durchgeführt, die Presse schweigt. Es stellt sich heraus, nicht das HEW ist schuld an dieser desolaten Lage, sondern der US- Präsident. Nach Veröffentlichung des Berichtes wäre der Präsident nämlich in die missliche Lage gekommen, Maßnahmen zu ergreifen, die ihn unbeliebt gemacht hätten.

Robert Merle hat geschrieben:Und wegen Thailand, wo er eine Art heimlichen Krieg führt, der niemand entgeht, ist er schon unpopulär genug.


Wegen solcher Seitenschlenker, Amerikakritik, die uns heute noch vertraut ist, weil sich in Amerika in mancher Beziehung nichts verändert hat und neuerdings Krieg sogar mit Moral gerechtfertigt wird, macht den Roman interessant und nachdenklich. Es geht aber nicht nur um Egoismen eines Präsidenten, der auch nur kurz auftaucht. Merle zeichnet eine herrliche Karikatur eines Juden, der überempfindlich misstrauisch ist, „als ob er versuchte, beim anderen den kleinen Schiummer von Antisemitismus aufzudecken, der ihm bis dahin entgangen sein könnte". In Verbindung zur Epidemie Enzephalitis 16 gelingen Robert Merle Seitenhiebe auf das amerikanische Sektenwesen und fundamentalistischen Christentums. Nach über dreißig Jahren, der Roman wurde 1974 veröffentlicht, birgt er immer noch Aktualität.

Das Hauptthema des Romans ist der Feminismus, den der Autor mit Ironien zeichnet, der in militanten Auswüchsen unerträglich wird. Die Männer sterben aus, die neue US-Präsidentin Bedford kommt an die Macht und errichtet eine feministische Diktatur, die in ihrem Auswuchs verbrecherisch ist und jede Menschlichkeit verloren hat:

Robert Merle hat geschrieben:Eine gewählte Regierung wagt es, ihre Bürger wie eine Herde Vieh zu behandeln und auf Grund willkürlicher Entscheidungen einige wenige zu Hengsten, die Mehrheit zu Wallachen zu machen. Erneut bestätigen sich meine Befürchtungen. Bedfords männerfeindlicher Sexismus ist eine Art Rassismus, und wie jeder Rassismus wird er, machtpolitisch intregriert, zwangsläufig zu einem verbrecherischen Instrument gegen die Menschheit.


Es ist ein Roman, der sich gegen verbrecherische Diktaturen und gegen Rassismus richtet. Dass es hier um eine feministische Diktatur geht, ist kein Zufall, war doch in den sechziger und siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts der Feminismus ein großes Thema, der auch mal abstruse Wege gegangen ist. Valerie Solanas, die Frau, die Andy Warhol beinahe erschossen hat, schrieb im Jahre 1967 das „Manifest der Gesellschaft zur Vernichtung der Männer“. Andy Warhol fand den Text brilliant geschrieben und witzig. Wer weiß denn heute, wieviel Satire und wieviel Ernst in diesem Text stecken mag. In „Die geschützten Männer“ ist es Deborah Grimm, die die Männer abschaffen will und Dr. Martinelli, der in einem Camp in Blueville zu den geschützten Männern gehört, und ein Gegenmittel für das Virus Enzephalitis 16 entwickeln soll, wird auch nur zu einem Opfer der Diktatur. Die Welt im Stacheldraht, die Welt außerhalb des Stacheldrahtes, in beiden Welten ist der Mann unfrei. Diktaturen werden durch einen Stacheldraht nicht aufgehalten. So ist das Lager Bestandteil der Schreckensdiktatur und wird im Roman nicht zufällig als luxuriöse Variante eines Konzentrationslagers bezeichnet. Anspielungen auf die Nationalsozialistische Diktatur gibt es mehrere.

Egal ob Männer oder Frauen mit Sexismus belegt werden - die Wortschöpfung „Phallokrat“ bleibt hängen -, es ist immer eine Beleidigung. Robert Merle geht es um Gleichberechtigung zwischen Geschlechtern und Rassen. Nur auf Augenhöhe ist ein würdiges Zusammenleben möglich. Besonders hat mir gefallen, dass Merle dieses Thema ironisch angeht, sodass der Leser trotz ernster Thematik damit rechnen muss, dass seine Lachfalten strapaziert werden. Die Sprache ist ziemlich simpel, da der Inhalt aber tiefschürfend ist, ist der Roman unbedingt weiterzuempfehlen und hat seinen Platz in der Reihe der großen Utopien des 20. Jahrhunderts verdient.

Liebe Grüße
mombour

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Beitragvon Karthause » 13.12.2009, 10:28

Mombour im Merle-Rausch. :wink:

Ich habe viele Merle's vor mehr als 20 Jahren gelesen. Die geschützten Männer haben mich damal sehr beeindruckt. Natürlich unter dem Einfluss des DDR-Regimes. Da war erst mal alles an Literatur sehr gefragt, was über die Westgrenze schwappte. Ich hätte nach deiner Rezi nicht schlecht Lust, meine alten Schätzchen wieder hervor zu kramen und einen reread zu starten. Malevil habe ich auch bereits gelesen und ich freue mich schon deine Eindrücke.
Viele Grüße
Karthause

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Beitragvon Coco » 13.12.2009, 11:00

Danke Mombour für die tolle Rezi - ich habe mir das Buch auf jeden Fall notiert!
Liebe Grüsse
Coco

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Beitragvon mombour » 13.12.2009, 17:39

Karthause hat geschrieben:
Ich habe viele Merle's vor mehr als 20 Jahren gelesen. Die geschützten Männer haben mich damal sehr beeindruckt. Natürlich unter dem Einfluss des DDR-Regimes.


In der DDR wurde Merle sehr viel gelesen, ist Westdeutschland war er ziemlich unbekannt.
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