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Donovan, Gerard - Winter in Maine




Donovan, Gerard - Winter in Maine

Beitragvon Dr.Who » 06.12.2009, 11:24

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Readers will sympathize with him [Julius Winsome] every step of the way
Leser werden jeden Schritt des Weges mit ihm [Julius Winsome] sympathisieren so zu lesen im Oktober 08 bei RBI.

Als ich das Buch beendet hatte war aber eher das Gegenteil der Fall oder zumindest hatte ich den Eindruck das der gebürtige Ire Gerard Donovan das Gegenteil erreichen wollte.
Julius Winsome ist ein Eremit in den nördlichsten Wäldern von Maine, an der Grenze zum französischsprachigen Teil Kanadas, wo er alleine in einer Hütte mit seinem altgdienten Terrier Hobbes lebt.
Des Sommers über verdient er Geld mit Gelegenheitsjobs und die langen kalten Winter verbringt er meist lesend in seiner Hütte die nicht weniger als 3 282 Bücher beherbergt.
Eines Novembertages jedoch, als sich sein Hund mit einer Schussverletzung aus dem Wald schleppt und selbst der Tierarzt nicht mehr helfen konnte, wird Julius´ Weltbild erschüttert. Vor allem als der Arzt Vermutungen darüber anstellt das der Hund aus einer Entfernung von gerade einmal einem halben Meter erschossen worden ist.
Julius entschließt sich zur Selbstjustiz und greift am nächsten Tag zum alten Enfield Scharfschützengewehr seines Großvaters aus dem ersten Weltkrieg mit dem er sich, am vermeintlichen Ort des Geschehens, auf die Lauer legt und auch nicht lange warten muss bis sich ein Jäger zeigt.
Nun scheint nicht nur die Jagsaison auf das viel gejagte Wild eröffnet zu sein sondern auch auf die Jagenden selbst, denn dieser eine Jäger soll nur der Erste in einer langen Reihe von Toten sein.

Anfänglich ist die Tat die Winsome hier begeht noch verständlich. Mit dem fortschreiten der Geschichte erfährt man auch wie Julius zu seinem Hund gekommen ist und auch welche Gefühle und Erinnerungen er an das Tier geknüpft hat. Das nun so ein wichtiger Teil seines Lebens einfach von ihm genommen wurde und das er nun versucht, im Affekt, Rache am Schuldigen zu nehmen ist verständlich und bringt ihm viele Sympathien der Leserschaft. Jedoch nicht wirklich verständlich ist das sich dieser eine Mord zum Amoklauf in Zeitlupe auswächst und er, Julius, über mehrere Tage hinweg immer weitere Menschen umbringt. Schon beim ersten Toten wird erschreckend klar das Julius wahllos schießt, sich nicht mal auf Vermutungen stützt sondern einfach drauflos knallt. Und das ist es dann auch wo Donovan den Leser zu verlieren beginnt. Das kaltblütige Vorgehen des Protagonisten wird unverständlich, seine -zuerst schießen und dann fragen- Methode wird im Verlauf des Buches immer fragwürdiger. Zwar kommt es im Charakter Winsomes immer wieder zu Selbstreflexionen und Einsichten die sich mit dem töten Unschuldiger auseinandersetzen aber generell neutralisiert sich die anfängliche Sympathie des Lesers und man bekommt sogar etwas Wut auf die Sturheit dieses Mannes.
Dies geht Hand in Hand mit der arg rudimentären bis überhaupt nicht vorhandenen Charakterisierung der Hauptfigur. Zwar erfährt man einiges vom Wesen seines Vaters bzw. seines Großvaters, der von den alten Geistern seiner Opfer im ersten Weltkrieg gejagt wurde die ihn des Nächtens wach liegen ließen, aber von Julius erfährt man leider überhaupt nichts. Ob dieser Mann nun Normal oder Geisteskrank ist, wie er in der Schule war und mit welchen sozialen Schwierigkeiten er sich vielleicht herumschlagen musste bleibt alles in einem dunklen Kämmerchen vor dem Leser verborgen.

In dem Zusammenhang könnte ich mich fast zu der Behauptung versteigen das der wahre Hauptcharakter schon am Anfang des Buches erschossen wurde.
Gerade in der Erzählperspektive des toten, danach vielleicht geisterhaften, Hundes Hobbes hätte sehr viel erzählerisches Potenzial gesteckt. Eine Stimme die Julius Winsome vielleicht charakterisieren hätte können, diese, sich zur Sinnlosigkeit steigernde, Wut hätte erklären können.
Somit verliert das Buch ab der Hälfte eindeutig seine Legitimität und bringt den Schriftsteller ins Stolpern und anschließend, am Ende, zu Fall.
Denn zäh gestaltet sich das Ende das mit der “Serientäterschaft” Winsomes klar bricht und seinen eigenen Regeln widerspricht und noch mehr Konfusion verbreitet.

Was man nun nicht erwarten wird ist das ich klar und deutlich anerkenne das Gerard Donovan ein wirklich sehr guter Schriftsteller ist der mit Winter in Maine lediglich einen mittelmäßigen Roman abgeliefert hat. In vielen Details erkennt man seine Klasse als denkender Kopf aber diese reicht nun mal nicht um das Buch über die halbgare Story hinwegzuretten.
Interessierte sollten sich das Buch mal ausborgen und sich ihre eigene Meinung darüber bilden. Leser die jedoch schon artverwandte Bücher wie z.B. Go with Me von Castle Freeman gelesen haben können das Buch ruhig im Regal stehen lassen.
Dr.Who
 

von Anzeige » 06.12.2009, 11:24

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Beitragvon Siebenstein » 06.12.2009, 12:06

Ich kann Deine Meinung leider nicht teilen. Die Kunst liegt hier ja gerade darin, dass einem nicht alles auf dem Silbertablett präsentiert wird. Für mich war Winsome als Person absolut greifbar und ich fand es faszinierend, wie sich mir beim Lesen nach und nach seine große Einsamkeit und Verzweiflung erschlossen hat. Ich bin froh, dass uns Donovan Raum für eigene Rückschlüsse gelassen hat. Mehr Details aus Winsomes Kindheit waren meiner Ansicht nach überhaupt nicht nötig, um die Entstehung seiner, wie Du es nennst, "sozialen Schwierigkeiten" nachvollziehbar zu machen. In ihrer Konsequenz sind diese natürlich verwerflich und durch nichts zu entschuldigen, aber gerade darin liegt doch die emotionale/moralische Herausforderung des Romans.

Interessant, wie unterschiedlich man ein und dasselbe Buch lesen kann. 8)

Liebe Grüße
Siebenstein :wink:
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Beitragvon Dr.Who » 06.12.2009, 12:57

Wie oben kurz angesprochen habe ich dieses Jahr, es war ziemlich am Anfang, Freemans Go with Me gelesen das ich zwar nicht handwerklich dafür aber erzählerisch um einige Längen besser fand als den Donovan. Vielleicht drückt auch das ein wehnig auf meine eher negative Meinung bezüglich dem Buch. Sollte die Antipathie dem Charakter gegenüber so gewollt sein dann hat es Donovan gut hinbekommen ansonst sind seine Figuren eher oberflächlich geraten mit sehr geringem Tiefgang.
Ich will nichts auf einem Silbertablett serviert bekommen aber es trägt nun mal nicht zum Verständniss der Bluttaten bei wenn man absolut nichts über den Täter weiß.
Da wäre wahrlich der Hund der bessere Erzähler gewesen...
Dr.Who
 

Beitragvon Siebenstein » 06.12.2009, 13:38

Dr.Who hat geschrieben:aber es trägt nun mal nicht zum Verständniss der Bluttaten bei wenn man absolut nichts über den Täter weiß


Ich habe in meinem Beitrag gerade versucht darzulegen, dass man eine ganze Menge über den Täter erfährt, zwischen den Zeilen, aber auch ganz direkt durch die Schilderungen über seine Vergangenheit, die Beziehung zu seinem Vater und Großvater und nicht zuletzt über die Begegnung mit Claire. Wie kannst Du da behaupten, man wisse "absolut nichts" über den Täter? :wink:

Liebe Grüße
Siebenstein
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Beitragvon Pippilotta » 06.12.2009, 13:58

Oja, es scheiden sich die Geister! Ich schließe mich jener Fraktion an, die das Buch absolut faszinierend fanden. Nicht zuletzt durch das absolut meisterhafte Können des Schriftstellers,der es schafft, für eine Person, die sich Greueltaten zu schulden kommen lässt, Sympathie und Verständnis aufkommen zu lassen.

Meisterhaft fand ich die Beschreibungen der absoluten Einsamkeit, ich sehe Winsome direkt vor mir in seiner alten Hütte, weitab der Zivilisation, umgeben von Unmengen von Büchern. Ein Mann, der zeit seines Lebens mit Männern zusammenlebte, immer die traumatisierten Kriegsgeschichten seines Großvaters anhören muss, die nicht nur seinen Großvater prägten, sondern auch ihn selber. Dazu das traurige Ende der Liebesgeschichte, das ja für ihn auch nicht verständlich ist. Wieder ist es die "zivilisierte Welt", die ihm die geliebte Frau wegnimmt, aus für ihn nicht nachvollziehbaren Gründen.

Aus diesen Blickwinkeln kann ich durchaus Verständnis dafür aufbringen, dass er zur Selbstjustiz greift, wenn auch seine Taten durch nichts zu entschuldigen sind.

Für mich ein Highlight des Lesejahres 2009!

:stern: :stern: :stern: :stern: ( :stern: )
Herzliche Grüße
Pippilotta


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Beitragvon Dr.Who » 06.12.2009, 14:26

Siebenstein hat geschrieben:
Dr.Who hat geschrieben:aber es trägt nun mal nicht zum Verständniss der Bluttaten bei wenn man absolut nichts über den Täter weiß


Ich habe in meinem Beitrag gerade versucht darzulegen, dass man eine ganze Menge über den Täter erfährt, zwischen den Zeilen, aber auch ganz direkt durch die Schilderungen über seine Vergangenheit, die Beziehung zu seinem Vater und Großvater und nicht zuletzt über die Begegnung mit Claire. Wie kannst Du da behaupten, man wisse "absolut nichts" über den Täter? :wink:

Liebe Grüße
Siebenstein


Aber wie sieht es in seinem Inneren aus?
In meiner Rezi hab ich ganz bewusst das Wort "Affekt" verwendet in der Hoffnung das vielleicht jemand darauf anspringt denn als sollches kann man seine Taten nicht legitimieren.
Oder anders rum gesagt:
Warum bringt er so viele Menschen um?
Eine Reflexion durch andere findet hier in diesem Buch nicht statt, wie auch wenn jemand ganz alleine lebt.
Damit tu ich mir ein bisschen schwer.
Wie wohl auch schon bei Nobokovs "Lolita" wo es ebenfalls so scheint als ob der Schreiberling die letzte Konsequentz scheut.
Denn was wäre schlimmer als "Freude" an seinem tun zu haben? Ich gebe zu, ein sehr ungeschickter Vergleich aber Donovan gibt uns ja auch nichts Gegenteiliges in seinem Buch.
Dr.Who
 



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