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de Loo, Tessa - Der Sohn aus Spanien




(der Autor/in lebt noch, und spiegelt die heutige Zeit)

de Loo, Tessa - Der Sohn aus Spanien

Beitragvon marilu » 06.04.2008, 09:31

Gerolf de Windt steht mit 80 Jahren am Ende seines Lebens. Aus diesem Grund soll er noch einmal mit einem fulminanten Geburtstagsfest von seinen Angehörigen beehrt werden. Die Söhne Frank und Edwin werden ebenso dabei sein, wie die Tochter Hilde und Edwins Frau Floor nebst Enkelin Steffi.
Besondere Überraschung ist die Ankunft des „verlorenen Sohnes“ Bardo, der 30 Jahre lang keinen Kontakt zu seinem „Pa“ gehabt hat, nachdem ihn dieser aus dem Haus verwiesen hat. Im Verlauf der Feier kommen Erinnerungen auf und die unterschiedlichen Lebensauffassungen aller Beteiligten prallen aufeinander. Was sich entwickelt, ist eine hochexplosive Mischung aus Ressentiments, Lebensauffassungen und aufgebrochenen Wunden.

„Pa“ Gerolf ist der Patriarch einer kalvinistisch geprägten Familie. Seit langem verwitwet, sehnt er sich nach dem Tod und dem Wiedersehen mit seiner Frau Ida in einer besseren Welt. Er lebt sein Leben nach sehr bürgerlichen Prinzipien: gottesfürchtig, ehrwürdig und respektabel. Seine Kinder sind durch seine gradlinige und mitunter starrsinnige Haltung sehr geprägt:

Edwin ist der älteste Sohn der Familie: ehrgeizig, auf die Sicherheit seines Geldes vertrauend, aber davon so eingenommen, dass er nicht bemerkt, welche Schieflage seine Ehe inzwischen genommen hat. Floor, seine Frau, leidet trotz aller Annehmlichkeiten ihrer Ehe, an der Gefühlskälte ihres Mannes und der Inhaltsleere ihres eigenen Daseins. Manisch-depressive Phasen wechseln sich ab und sie kennt die echte Floor selbst nicht mehr. Eine Erkenntnis, unter der auch ihre Tochter Steffi leidet: wer ist eigentlich ihre Mutter?

Frank, Modefotograf und jüngster Spross der Familie, versucht sein Leben möglichst ereignislos zu leben und Verletzungen zu vermeiden. Schon seine Berufswahl spricht für den Versuch, andere mit Masken zu blenden.

Die einzige Tochter Hilde betätigt sich als Psychiaterin und sieht ihren Lebenszweck in der Heilung anderer Menschen, wenn es ihr schon nicht gelingt, die eigene Familie beisammen zu halten. Sie hält als Einzige Kontakt zu dem verstoßenen Sohn Bardo, der sich den bürgerlichen Zwängen seines Elternhauses nicht beugen wollte und die Abweisung seines Vaters nutzte, sein Leben nach eigenen Vorstellungen zu leben.

Meine Meinung:

Der Roman ist getragen von einem stillen Humor und beschäftigt sich mit wichtigen Fragen: soll man sein Leben möglichst frei und nach den eigenen Instinkten leben, auch wenn dies bedeutet, gegen Traditionen zu verstoßen und womöglich Menschen zu verletzen oder gehört eine gewisse Portion Mäßigung dazu? Bardo ist das Symbol für ungezügeltes, freies Leben, während seine Familie damit ringt, möglichst respektiert zu werden. Diese beiden Lebensentwürfe prallen hart aufeinander – auch 30 Jahre Distanz haben die Gefühle der einzelnen Beteiligten nicht beruhigt. Seine Erzählungen und Handlungen wirken frisch und befreiend, werfen aber auch viele Fragen auf. Insbesondere Nichte Steffi ist beeindruckt von diesem fremden, impulsiven Mann. Aber auch ihre Mutter Floor kann sich seinem Charme nicht völlig entziehen. Eine Tatsache, die auch ihrem Edwin auffällt und bei ihm alten Neid und Hass wachrüttelt. Ein Eklat am Ende des Buches zerstört die wacklige Grundlage des Festes und fordert alle auf, ihr Leben zu überdenken und neu zu sortieren.

Mich hat der Roman sehr fasziniert und ich konnte ihn nicht mehr aus der Hand legen. Innerhalb eines Tages hatte ich ihn durch und war traurig nicht noch mehr zu erfahren. Vieles wird nur angedeutet, was hilft die Phantasie des Lesers anzuregen. Ich mag diesen Stil. Auch der häufige Perspektivwechsel gefiel mir gut, denn so kommt jeder Beteiligte (außer Bardo) zu Wort und kann seine Sichtweise direkt vermitteln.

Ein gelungener Familienroman, der dem Leser viel Raum für eigene Empfindungen und Bewertungen des Gelesenen lässt und so wahrscheinlich von jedem anders aufgefasst werden wird. Auf mich hat er sehr stark gewirkt und beschäftigt mich noch immer unterschwellig.

:stern: :stern: :stern: :stern: :stern:

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von Anzeige » 06.04.2008, 09:31

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Beitragvon Voltaire » 06.04.2008, 09:37

Eine sehr schöne informative Rezi, herzlichen Dank dafür. Tessa de Loo ist eine Autorin die leider nicht die Aufmerksamkeit bekommt die sie eigentlich verdient. Ihre Bücher sagen etwas aus; sind dabei in einer sehr angenehmen lesbaren Sprache geschrieben.
Voltaire
 



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