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Morrison, Toni - Menschenkind




Morrison, Toni - Menschenkind

Beitragvon marilu » 22.11.2007, 01:45

Originaltitel: Beloved

Innerhalb von 1 1/2 Tagen habe ich die ersten 150 Seiten dieses Romans gelesen und möchte meine bisherigen Eindrücke mit euch teilen. Falls ich den Roman hier falsch einkategorisiert habe, tut es mir leid, aber da ich auch "Die bekannte Welt" (Edward P. Jones) bei den Historischen Romanen eingestellt habe, finde ich es nur konsequent diese Geschichte ehemaliger Sklaven ebenfalls hier einzutragen.

Worum geht es in „Menschenkind“?

Soweit ich das bisher verstehe, geht es um das Schicksal der ehemaligen Sklavin Sethe (gesprochen Ssiethie), die 1863 von der Farm „Sweet Home“ in Kentucky flieht, um sich, ihre Kinder und ihr ungeborenes Baby in eine bessere Zukunft zu führen. Ihre Schwiegermutter Baby Suggs wurde einige Jahre zuvor von ihrem Sohn Halle freigekauft und hat sich ein neues Leben in Cincinnati aufgebaut hat. Hier hofft Sethe auf eine Wiedervereinigung ihrer Familie.

Sethe überlebt die Flucht durch die Hilfe eines „Weißenmädchens“ Amy Denver und bringt gemeinsam mit ihr das Baby Denver in einem Boot zur Welt. Alles scheint sich zum Guten zu wenden, aber es muss noch mehr hinter der Geschichte stecken, denn in den folgenden 18 Jahren spukt es in ihrem neuen Domizil. Die Frauen glauben, dass es der Geist von Sethes ältester Tochter Menschenkind ist, die wütend über ihren Tod ist. Der Spuk hört erst auf, als ein ehemaliger Bekannter von Sethe in das Haus kommt und sie verzaubert und gleichzeitig ängstigt. Während Denver darauf eifersüchtig reagiert, versucht Sethe sich an die neuen Gefühle zu gewöhnen. Überraschend bekommt die kleine Gemeinschaft weiteren Zuwachs durch eine junge Frau namens Menschenkind…

Dies ist die Kurzfassung der Geschichte bisher.

Ich finde es schwierig, diese ersten 150 Seiten zusammenzufassen, weil der Schreibstil und die Struktur der Geschichte ungewöhnlich sind. Anfangs werden viele verschiedene Personen eingeführt. Dabei geht es nicht so sehr um explizite Beschreibungen sondern eher um Erinnerungen. Konzentration beim Lesen ist also dringend notwendig!

Hat man sich erst einmal an den Stil von Toni Morrison gewöhnt, entwickelt sich der Roman quasi zu einer Sucht. Gerade am Anfang wird der Leser durch extreme Beschreibungen des kummervollen Lebens schockiert (z. B. als Sethe sich selbst von dem Totengräber quasi vergewaltigen lässt, um einen Grabstein inklusive Inschrift für ihre tote Tochter erstehen zu können). Der Roman erinnert den Leser sehr explizit daran, dass das Leiden ehemaliger Sklaven auch nach dem Ende des Bürgerkrieges nicht endete. Außerdem stellt es wichtige Thesen darüber auf, dass eine Befreiung noch lange nicht bedeutet, dass man seine Freiheit auch begreift und nutzt.

Darüber hinaus brauchte ich auch eine gewisse Zeit, um das mystische Element, das Menschenkind darstellt, richtig einzuordnen. Es bringt mich noch immer zum Nachdenken, zumal jetzt eine Person diesen Namens auftaucht.

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von Anzeige » 22.11.2007, 01:45

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Beitragvon marilu » 24.11.2007, 12:20

Inzwischen habe ich den ersten Teil beendet (227 Seiten) und bin durch diverse Geheimnisse, die ans Licht kamen völlig erschüttert! Leider kann ich dazu hier gar nichts sagen, weil alles ein Spoiler wäre.

Deshalb nur einige Leseindrücke.

"Menschenkind" ist eine schwierige Lektüre - sowohl inhaltlich als auch formal. Aber diese Übereinstimmung ist meiner Meinung nach sehr passend. Wie kann man eine solche Tragödie auf schöne Art erzählen?

Vielleicht geben euch einige Textstellen eine Ahnung davon, wie dieser Roman teilweise gestaltet ist:

Gedanken der Sklavenjäger über den Umgang mit geflohenen Sklaven:

Deshalb musste man einen Schritt zurücktreten und das Fesseln einem anderen überlassen. Sonst geschah es noch, dass man tötete, was man doch lebendig zurückbringen musste, um sein Geld zu bekommen. Anders als einer Schlange oder einem Bären konnte man einem toten Nigger ja nicht die Haut abziehen, um ein bißchn was zu verdienen - er wog ja nicht einmal sein Schlachtgewicht in barer Münze auf.


Über die Absonderlichkeit, dass es eine ehemalige Sklavin in eine Zeitung schafft:

Ein Angstschauer jagte einem durch die Herzkammern, sobald man das Gesicht eines Negers in einer Zeitung sah, denn das Gesicht tauchte ja nicht auf, weil diese Person ein gesundes Baby geboren hatte oder einer Straßenmeute entkommen war. Und auch nicht, weil die Person umgebracht oder verstümmelt, gefangen oder verbrannt, eingelocht oder ausgepeitscht, weggejagt oder zertrampelt, vergewaltigt oder betrogen worden war, denn das konnte für eine Zeitung wohl kaum als richtenswert gelten.


:shock:

Furchtbare Zustände, auch nach dem Bürgerkiregsende! Es dauert halt doch immer mindestens eine Generation, wenn nicht zwei oder mehr, bis es zu einem Paradigmenwechsel im gesellschaftlichen Denken kommt!

Dass die armen Menschen unter solchen Bedingungen überhaupt leben und ein wenig Liebe empfinden konnten, ist das große Wunder!
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Beitragvon marilu » 25.11.2007, 20:38

Nun bin ich viel zu früh mit "Menschenkind" fertig geworden.

Hier bietet sich dem Leser ein sehr kontroverses Thema, das zum Nachdenken anregt und keine einfache Lösung vorgibt. Ohne zuviel verraten zu wollen, kann ich sagen, dass im Mittelpunkt des Romans eine unter einer Extremsituation begangene Straftat steht. Die Handlung der Täterin muss auf den ersten Blick verabscheuenswürdig und grausam erscheinen, erklärt sich aber zumindest rationell durch die Bedingungen unter denen sie agiert. Auch wenn man versucht, sie zu verstehen, bleibt beim Leser ein Grauen zurück.

Diese zwiespältige Haltung ist wohl auch von der Autorin beabsichtigt. Ich hatte den Eindruck, dass Toni Morrison mit diesem Roman versucht, die Barbarei der Sklaverei, aber auch die anschließende Unsicherheit für alle Beteiligten zu illustrieren. Diese Anklage wird in überaus poetischer und plastischer Weise verdeutlicht! Eine der Stärken dieses Romans ist es, dass Toni Morrison überhaupt Worte dafür gefunden hat, diesen Schrecken beschreiben zu können.

Wie bereits erwähnt, ist die Sprache und der Stil gewöhnungsbedürftig, aber wenn man sich von den ersten 10 Seiten nicht abschrecken lässt, hat man mit "Menschenkind" einen literarischen Volltreffer gelandet!

:stern: :stern: :stern: :stern: :stern:

PS: Auf der Wikipedia-Seite kann man nachlesen, dass es sich bei dem hier geschilderten Fall um eine wahre Geschichte handelt:
http://de.wikipedia.org/wiki/Margaret_Garner. Dort findet man auch weiterführende Links.
Interessant auch, dass der Nachname im Roman in Form der Besitzer von "Sweet Home" auftritt.
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Beitragvon Pippilotta » 25.11.2007, 20:47

Wie bereits erwähnt subt das Buch bei mir ... nach dieser ansprechenden Beschreibung freue ich mich umso mehr darauf!
Herzliche Grüße
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Beitragvon Karthause » 25.11.2007, 20:52

Auch in meinem Schrank ist dieses Buch zu finden. Es kommt auf meinen 2008-Leseplan.
Viele Grüße
Karthause

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Beitragvon marilu » 29.11.2007, 17:43

Ich bin schon sehr gespannt auf eure Eindrücke!
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