Originaltitel: The Agony and the ecstasy (1977)
Auf 722 Seiten beschreibt Irving Stone das 9 Jahrzehnte umspannende Leben Michelangelo Buonarottis. Beginnend mit seinem 13. Lebensjahr und dem Eintritt in die Werkstatt des Malers Ghirlandajo, verfolgt der Leser daraufhin seinen Wechsel in den Künstlergarten von Lorenzo de Medici. "Il Magnifico" nimmt ihn bei sich auf und fördert seine Talente bedächtig und fordert so Michelangelo viel Geduld ab - was nicht als seine Stärke gezählt werden kann.
Neben der eigenen Unruhe macht ihm auch die Haltung seines Vaters Sorgen: dieser kann seinen Wunsch, Künstler zu werden nicht nachvollziehen. Er würde am liebsten sehen, dass sein Sohn Kaufmann wird und damit die Familie unterstützt. Für ihn sind künstlerische Ambitionen nur Zeitverschwendung und wehrt sich ständig gegen die "Exzentritrität" seines Sohnes. Er ändert seine Meinung erst, als Michelangelo beginnt, mit seinen Werken Geld zu verdienen... Eine wahre Krämerseele...
Nach drei Jahren Lehre und freundlichem Umgang mit der mächtigsten Familie in Florenz stirbt Lorenzo und somit auch Michelangelos Förderung. Lorenzos arroganter Sohn Pietro versteht es nicht, die Bevölkerung der Stadt hinter sich zu sammeln und treibt seinem mächtigen Widersacher Fra Savonarola immer mehr Anhänger zu. Dessen Politik wendet sich explizit gegen die Verkommenheit der herrschenden Klassen und die Verderbtheit in der Kirche. Er beschränkt sich jedoch nicht auf Hasspredigten sondern stellt auch Regeln gegen den Luxus auf. Dies endet in einem "Scheiterhaufen der Eitelkeiten", für das junge Männer und Kinder verwerfliche Gegenstände aus Häusern stehlen und anschließend in einem riesigen Spektakel verbrennen.
Dieser Teil des Romans war sehr explizit beschrieben und die Horden der "fanciulli" ließen Erinnerungen an "Braunhemden" und die Zeit des Nazi-Regimes vor meinem Auge erstehen. Insgesamt gefiel mir die Beschreibung dieser Zeit des Umbruchs in diesem Roman besonders gut, weil Irving Stone hier sehr viele Informationen bietet, die die Zeitumstände beschreiben. Hierin liegen auch die Wurzeln für das spätere Schicksal Michelangelos. Deshalb: sehr gelungen!
Nach einem Jahr in Bologna kehrt er nach Florenz zurück, wo eine geschickte Fälschung einer angeblich antiken Statue von Cupido ihm Verbindungen zu dem Kardinal Raffaele Riario in Rom verschafft und in direkter Folge zu seinem ersten Aufenthalt in Rom führt. Insgesamt ist die Zeit für ihn enttäuschend, doch kann er seine erste Pietà schaffen (deren Bild tom in dem Michelangelo-Thread eingebunden hat).
Nach fünf Jahren reist er heim nach Florenz und schafft dort seinen David. Ein Werk außergewöhnlicher Genialität und neuen Denkens! Die Entstehung der Skulptur ist wunderbar beschrieben! Und die Reaktion der Florentiner auf ihr neues Standbild hat mir fast die Tränen in die Augen getrieben. Man fühlt Michelangelos Triumph mit ganzem Herzen mit.
Zu dieser Zeit wird er in den Florentiner Künstlerkreis aufgenommen, wo er Leonardo da Vinci kennen und hassen lernt. Ihre Egos sind wohl zu groß für eine Stadt, bzw. eine Welt, um sich zu tolerieren. Doch aus dieser Spannung entsteht Michelangelos Wunsch, ein Fresko zu malen – eine Tätigkeit, die er bisher immer ablehnte. Aber der Ehrgeiz beflügelt ihn innerhalb kürzester Zeit, einen Karton für die „Schlacht von Cascina“ fertig zu stellen. Beenden konnte er es jedoch nie, weil er erneut nach Rom aufbrach, wo ihn ein großer Auftrag von Papst Julius II erwartete.
Nun beginnt für ihn eine Zeit, in der er sich in Verträgen und der Politik verstrickt, die ihm immer wieder Großes verheißen, aber häufig in Enttäuschungen enden. Dies liegt zum einen daran, dass er selbst seine Verträge nicht allzu klug aushandelt, aber auch an den häufig wechselnden Päpsten. In seinem Leben gab es 13 (!) verschiedene Päpste unterschiedlicher Abstammung und Gesinnung. Wenn man von deren Gunst abhängt, muss man schon sehr geschickt sein, sich nicht zu tief in den Intrigen und politischen Untiefen zu verstricken, was Michelangelo nicht immer gelingt, aber letztendlich doch immer glimpflich für ihn verläuft.
Ich sollte jetzt vielleicht noch einiges zur Entstehung des Freskos in der Sixtinischen Kapelle und seine Arbeit am St. Petersdom erzählen, habe aber das Gefühl, jetzt schon den Rahmen zu sprengen. Außerdem solltet ihr ja selbst noch etwas Neues in dieser Romanbiografie entdecken können! Wer vorher schon mehr wissen möchte, kann sich gut auf der Wikipediaseite informieren.
Ein weiterer Link, der mir sehr geholfen hat, ist folgender: http://www.scultura-italiana.com/Galleria/Michelangelo/index.html.
Fazit:
Von der ersten Hälfte der Romanbiografie war ich sehr begeistert und habe mich trotz der extremen kleinen Schrift meiner Taschenbuchausgabe von 1984 ziemlich schnell fest gelesen. Leider habe ich danach einen Einbruch gehabt – vielleicht liegt es daran, dass sich irgendwann die Mechanismen seiner Arbeit unweigerlich wiederholten: Marmor beschaffen, lange oder stürmische Denkensphase, furioses Losschlagen der Figur im Stein, Polieren. Mir ist durchaus bewusst, dass dieses alles Ausdruck seiner Methode und Genialität ist, aber wenn man zum dritten Mal die gleiche Formulierung liest, wird es leider ermüdend.
Sehr fasziniert haben mich die Ausmaße seiner Marmorblöcke, seine Arbeit im Bergwerk und die Transportprobleme, denen er sich zu stellen hat. Außerdem: seine anatomischen Studien, seine Persönlichkeit und sein Familiensinn (der unglaublich großzügig ist).
Schade fand ich hingegen, dass das Ende etwas gehetzt wirkte: den letzten 30 Jahren seines Lebens werden nur noch 77 Seiten gewidmet.
Insgesamt würde ich diese Romanbiografie aber Kunstinteressierten unbedingt empfehlen! Mir selbst hat es neue Aspekte der Geschichte aufgezeigt, von denen ich ein vertieftes Wissen haben möchte: Lorenzo de Medici, die Borgias, Geschichte der Päpste allgemein, etwas mehr zu Rom und St. Peter im Besonderen, Leonardo da Vinci, Savonarola...
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