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Stone, Irving - Michelangelo




Stone, Irving - Michelangelo

Beitragvon marilu » 08.12.2007, 10:41

Originaltitel: The Agony and the ecstasy (1977)

Auf 722 Seiten beschreibt Irving Stone das 9 Jahrzehnte umspannende Leben Michelangelo Buonarottis. Beginnend mit seinem 13. Lebensjahr und dem Eintritt in die Werkstatt des Malers Ghirlandajo, verfolgt der Leser daraufhin seinen Wechsel in den Künstlergarten von Lorenzo de Medici. "Il Magnifico" nimmt ihn bei sich auf und fördert seine Talente bedächtig und fordert so Michelangelo viel Geduld ab - was nicht als seine Stärke gezählt werden kann.
Neben der eigenen Unruhe macht ihm auch die Haltung seines Vaters Sorgen: dieser kann seinen Wunsch, Künstler zu werden nicht nachvollziehen. Er würde am liebsten sehen, dass sein Sohn Kaufmann wird und damit die Familie unterstützt. Für ihn sind künstlerische Ambitionen nur Zeitverschwendung und wehrt sich ständig gegen die "Exzentritrität" seines Sohnes. Er ändert seine Meinung erst, als Michelangelo beginnt, mit seinen Werken Geld zu verdienen... Eine wahre Krämerseele...

Nach drei Jahren Lehre und freundlichem Umgang mit der mächtigsten Familie in Florenz stirbt Lorenzo und somit auch Michelangelos Förderung. Lorenzos arroganter Sohn Pietro versteht es nicht, die Bevölkerung der Stadt hinter sich zu sammeln und treibt seinem mächtigen Widersacher Fra Savonarola immer mehr Anhänger zu. Dessen Politik wendet sich explizit gegen die Verkommenheit der herrschenden Klassen und die Verderbtheit in der Kirche. Er beschränkt sich jedoch nicht auf Hasspredigten sondern stellt auch Regeln gegen den Luxus auf. Dies endet in einem "Scheiterhaufen der Eitelkeiten", für das junge Männer und Kinder verwerfliche Gegenstände aus Häusern stehlen und anschließend in einem riesigen Spektakel verbrennen.
Dieser Teil des Romans war sehr explizit beschrieben und die Horden der "fanciulli" ließen Erinnerungen an "Braunhemden" und die Zeit des Nazi-Regimes vor meinem Auge erstehen. Insgesamt gefiel mir die Beschreibung dieser Zeit des Umbruchs in diesem Roman besonders gut, weil Irving Stone hier sehr viele Informationen bietet, die die Zeitumstände beschreiben. Hierin liegen auch die Wurzeln für das spätere Schicksal Michelangelos. Deshalb: sehr gelungen! :thumleft:

Nach einem Jahr in Bologna kehrt er nach Florenz zurück, wo eine geschickte Fälschung einer angeblich antiken Statue von Cupido ihm Verbindungen zu dem Kardinal Raffaele Riario in Rom verschafft und in direkter Folge zu seinem ersten Aufenthalt in Rom führt. Insgesamt ist die Zeit für ihn enttäuschend, doch kann er seine erste Pietà schaffen (deren Bild tom in dem Michelangelo-Thread eingebunden hat).

Nach fünf Jahren reist er heim nach Florenz und schafft dort seinen David. Ein Werk außergewöhnlicher Genialität und neuen Denkens! Die Entstehung der Skulptur ist wunderbar beschrieben! Und die Reaktion der Florentiner auf ihr neues Standbild hat mir fast die Tränen in die Augen getrieben. Man fühlt Michelangelos Triumph mit ganzem Herzen mit. :hurra:

Zu dieser Zeit wird er in den Florentiner Künstlerkreis aufgenommen, wo er Leonardo da Vinci kennen und hassen lernt. Ihre Egos sind wohl zu groß für eine Stadt, bzw. eine Welt, um sich zu tolerieren. Doch aus dieser Spannung entsteht Michelangelos Wunsch, ein Fresko zu malen – eine Tätigkeit, die er bisher immer ablehnte. Aber der Ehrgeiz beflügelt ihn innerhalb kürzester Zeit, einen Karton für die „Schlacht von Cascina“ fertig zu stellen. Beenden konnte er es jedoch nie, weil er erneut nach Rom aufbrach, wo ihn ein großer Auftrag von Papst Julius II erwartete.

Nun beginnt für ihn eine Zeit, in der er sich in Verträgen und der Politik verstrickt, die ihm immer wieder Großes verheißen, aber häufig in Enttäuschungen enden. Dies liegt zum einen daran, dass er selbst seine Verträge nicht allzu klug aushandelt, aber auch an den häufig wechselnden Päpsten. In seinem Leben gab es 13 (!) verschiedene Päpste unterschiedlicher Abstammung und Gesinnung. Wenn man von deren Gunst abhängt, muss man schon sehr geschickt sein, sich nicht zu tief in den Intrigen und politischen Untiefen zu verstricken, was Michelangelo nicht immer gelingt, aber letztendlich doch immer glimpflich für ihn verläuft.

Ich sollte jetzt vielleicht noch einiges zur Entstehung des Freskos in der Sixtinischen Kapelle und seine Arbeit am St. Petersdom erzählen, habe aber das Gefühl, jetzt schon den Rahmen zu sprengen. Außerdem solltet ihr ja selbst noch etwas Neues in dieser Romanbiografie entdecken können! Wer vorher schon mehr wissen möchte, kann sich gut auf der Wikipediaseite informieren.
Ein weiterer Link, der mir sehr geholfen hat, ist folgender: http://www.scultura-italiana.com/Galleria/Michelangelo/index.html.

Fazit:

Von der ersten Hälfte der Romanbiografie war ich sehr begeistert und habe mich trotz der extremen kleinen Schrift meiner Taschenbuchausgabe von 1984 ziemlich schnell fest gelesen. Leider habe ich danach einen Einbruch gehabt – vielleicht liegt es daran, dass sich irgendwann die Mechanismen seiner Arbeit unweigerlich wiederholten: Marmor beschaffen, lange oder stürmische Denkensphase, furioses Losschlagen der Figur im Stein, Polieren. Mir ist durchaus bewusst, dass dieses alles Ausdruck seiner Methode und Genialität ist, aber wenn man zum dritten Mal die gleiche Formulierung liest, wird es leider ermüdend.
Sehr fasziniert haben mich die Ausmaße seiner Marmorblöcke, seine Arbeit im Bergwerk und die Transportprobleme, denen er sich zu stellen hat. Außerdem: seine anatomischen Studien, seine Persönlichkeit und sein Familiensinn (der unglaublich großzügig ist).

Schade fand ich hingegen, dass das Ende etwas gehetzt wirkte: den letzten 30 Jahren seines Lebens werden nur noch 77 Seiten gewidmet.

Insgesamt würde ich diese Romanbiografie aber Kunstinteressierten unbedingt empfehlen! Mir selbst hat es neue Aspekte der Geschichte aufgezeigt, von denen ich ein vertieftes Wissen haben möchte: Lorenzo de Medici, die Borgias, Geschichte der Päpste allgemein, etwas mehr zu Rom und St. Peter im Besonderen, Leonardo da Vinci, Savonarola...

:stern: :stern: :stern: / :stern:

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Beitragvon Coco » 08.12.2007, 11:40

Marilu - vielen Dank für Deine schöne Rezi !

hmmm, das Buch steht schon seit längerem auf meinem Wunschzettel - aber jetzt weiss ich auch nicht so recht ???? So ganz begeistert klingst Du ja nicht !
Liebe Grüsse
Coco

-----------

:studie:

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Beitragvon marilu » 08.12.2007, 12:11

Der Anfang war ganz hervorragend!
Vielleicht hat dieser bei mir Erwartungen hervorgerufen, die zum Schluss hin etwas enttäuscht wurden...
Vielleicht war es aber auch einfach zu lang - dicke historische Romane sind (leider) nicht mehr mein Genre...
Vielleicht liegt es aber auch einfach daran, dass ich letztes Jahr John Vermeulens Romanbiografie über Pieter Bruegel gelesen habe, die mich mehr beeindruckte und im Vergleich dann auch besser bewertet werden musste...
Vielleicht hatte ich dieses Jahr aber auch nur ein unglaublich gutes Händchen bei meiner generellen Lektüreauswahl, so dass "Michelangelo" vergleichsweise mittelmäßig erscheint...
Vielleicht war aber auch einfach die Schrift zu klein...

Vielleicht, vielleicht, vielleicht...
Leider kann ich dir keine eindeutige Meinung liefern, aber insgesamt war ich doch beeindruckt von dem Informationsreichtum, den Irving Stone hier
zaubert.
Ich versuche mein Fazit noch etwas detaillierter zu gestalten: Für die erste Hälfte vergebe ich :stern: :stern: :stern: :stern: / :stern: , aber am Ende verliert es für mich ein wenig und deshalb die Gesamtwertung :stern: :stern: :stern: / :stern: . (Leider ist das Ende ja immer das, was man beim Verfassen der Rezension noch am Stärksten im Gedächtnis hat.)
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Beitragvon Nerolaan » 08.12.2007, 12:52

Danke für die Rezi marilu! Hatte ja schon darauf gewartet :D
Für mich klingt dein Urteil im Ganzen doch eher positiv und daher denke ich, hatt das Buch große Chancen mitgenommen zu werden bzw. gekauft zu werden... :wink:
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Beitragvon alwin03 » 09.12.2007, 11:37

Danke @marilu :D

Ich hab das Buch ähnlich gelesen. Zu Beginn war es sehr interessant zu lesen wie und welche Kunst es ist, eine Statue entstehen zu lassen.
Ich hab sehr viel gegoogelt um bei den vielen genannten Namen auf dem Laufenden zu sein.
Es ist schon begeisternd was, wie hergestellt wurde.
Da man erfährt unter welchen Bedingungen gearbeitet wurde, sind die Kunstwerke, die übriggeblieben sind, nicht hoch genug einzuschätzen.
Mir erschienen die Skulpturen beim Lesen unter einem völlig neuem Bild.
Hier hat ein Künstler meisterliches vollbracht und erst nach dem Lesen der Seiten bekommt man ein "kleines" Gefühl von der ungeheuren Kunst die sich dahinter verbirgt.

Was mich ungeheuer beeindruckt hat war, wie der Mob mit all der Kunst umging. Wieviel "Kunst" ist im laufe der Jahrhunderte durch Kriege, Streit, Religionskonflikte zerstört worden.
Bei den Gedanken war ich schon ein wenig berührt.

Mir ging es dann ähnlich wie Dir @marilu.
Nach dem Stein, kam der nächste Stein und der nächste ..... und der ..... und .....!

Wenn es denn wirklich so war :?: , so war Michelangelo ein fleißiger, familienbewusster und "artiger" Mensch und Künstler.

Das Buch, für jemand der Florenz besuchen möchte sicher ein Muss an Literatur und es dient gleichzeitig sich vorzubereiten und zurechtzufinden.

Für jemand der mit dem Stein lebt (meine Nichte hat Steinrestauration studiert, war am Altar der Frauenkirche mitbeschäftigt und hat danach an der Fassade des Schweriner Schlosses gearbeitet) ein absolutes Highlight.

Für mich na ja, ich habs gelesen:

:stern: :stern: :stern: / :stern:
Ich lese zur Zeit:

--------------------------------------- ???


wENN nUr meinE sCHleChte recht(s)SchreIbunG nICHT wÄr :cry:
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Beitragvon Karthause » 19.11.2008, 18:56

Auf 700 kleingedruckten Seiten wird das Leben eines der wohl größten Genies der Menschheit, Michelangelo, abgehandelt. Der Leser lernt Michelangelo in einem Alter von 13 Jahren kennen und erfährt von den Kämpfen, die er besonders mit seinem Vater ausfechten musste, ehe er seinen Weg gehen konnte und die besondere Förderung von Lorenzo di Medici bis zu dessen Tod. Man begleitet ihn bei seiner Ausbildung, seinem Schaffen und in seinem Alltag. Auf die einzelnen Stationen seines Lebens möchte ich hier nicht im Einzelnen eingehen. Das Besondere dieses Buches war für mich, dass der Leser Michelangelo förmlich beim Entstehen seiner Werke über die Schulter schauen konnte und so viele Details seines künstlerischen Schaffen erfuhr. Aber auch der Mensch Michelangelo stand im Fokus des Autors. Da dieser stets den Bezug zum historischen Geschehen suchte, ist diese Romanbiografie sowohl eine Würdigung des Künstlers, seines Lebens, seines Werkes und eine beeindruckende Beschreibung seiner Arbeitstechniken als auch ein überaus gelungenes Zeit- und Sittenbild der italienischen Renaissance. Besonders gut hat mir gefallen, wie Irving Stone es schaffte, die Leidenschaft des Künstlers in Worte zu fassen.

Mir hat das Buch inhaltlich sehr gut gefallen. Für mich kam es einer Zeitreise gleich. Zwar war Michelangelo für mich auch vor der Lektüre selbstverständlich kein Unbekannter, aber diese Biografie rundete das Wissen zur Person und zu der Zeit, in der er lebte, ab. Parallel zu diesem Buch betrachtete ich seine Werke in einem Buch über sein Gesamtwerk. Das ergänzte das Gelesene auf hervorragende Weise.

Irving Stone schrieb seinen Roman in einem leicht zu lesenden, flüssigen Stil. Sicher sind bei der Beschreibung von Arbeitsabläufen Wiederholungen unumgänglich, aber besonders in der zweiten Hälfte des Buches hätte ich das gern weniger ausführlich gehabt. Das ist der einzige Kritikpunkt, den ich dem Autor anlasten möchten. Anders beim Verlag: das Buch umfasst gute 700 Seiten, die so klein bedruckt waren, dass ich das Lesen nach spätestens 30 Seiten als Zumutung empfand. Darüber hinaus ärgerten mich die unzähligen orthographischen Fehler, die mir auch einiges an Lesefreude nahmen.

Mein Fazit: „Michelangelo“ von Irving Stone ist ein beeindruckender Roman über das Leben und Schaffen des berühmten Michelangelo Buonarroti. Die detailreich, gut recherchierte und stimmungsvolle Romanbiografie ist nicht nur für Kunstliebhaber eine sehr empfehlenswerte Lektüre. Allerdings sollte der Leser sich vielleicht nach einer anderen Ausgabe, als ich sie besitze, umsehen.

Gebundene Ausgabe: 700 Seiten
Verlag: Herbig
ISBN-13: 978-3776606942

:stern: :stern: :stern: :stern:

Ich habe diese Ausgabe:
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Viele Grüße
Karthause

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