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Müller, Herta - Herztier




(der Autor/in lebt noch, und spiegelt die heutige Zeit)

Müller, Herta - Herztier

Beitragvon Krümel » 11.03.2010, 13:17

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Ein Genuss, wenn man sich auf diese schwere Kost einlässt.

Vier Freunde, die in einem rumänischen College Russisch studieren, kommen immer mehr ins Bedrängnis und werden vom Regime Ceausescus verfolgt und bespitzelt. Und dabei denken sie gar nicht revolutionär oder gefährlich, sondern die Jugendlichen denken und philosophieren einfach, schreiben Gedichte und führen Tagebuch.

Eine Kameradin, Lola, die sich ziemlich naiv, sie möchte noch etwas im Leben erreichen und sieht nur diese Möglichkeit, auf die Securitate einlässt, verübt einen augenscheinlichen Selbstmord. Eine Situation, die die Freunde wachrüttelt und sie zur Vorsicht zwingt. Aber ihre verschlossenen Koffer, werden dennoch geöffnet und Papiere verschwinden.

Und so überwacht und bespitzelt können die Menschen nur in einem hohen Maß mit Skepsis zueinander stehen, denn Verrat gibt es an jeder Ecke. Oder man schafft sich eine Parallelwelt mit einer codierten Sprache und bestückt Briefe mit Haaren.
Der Roman beginnt direkt mit der Codierungen: Was ist der Sack? Was hat es mit Maulbeerbäumen, Blättern und Gras auf sich? Haare und Nägel? Und die Dürre?
Der Leser steht vor einem Rätsel, und hier liegt der Schlüssel: Ob man nun das Buch angewidert in die Ecke wirft oder ob man gewillt ist das Rätsel zu knacken? Wenn man aber anfängt das Metaphernmosaik zu erobern, kann es leicht passieren, dass man Sätze, die 1:1 zu verstehen sind, auch enträtseln möchte.

„Und Lola hing an meinem Gürtel im Schrank.“

Herta Müller erreicht es durch ihren einmaligen Stil, dass der Leser dieses beklemmende Gefühl, die Furcht und das Entsetzen ganz real spürt. Man ist teilweise fast überfordert und fühlt die Spitzel, durch diese Verschlüsselung, überall. Es ist ein Kampf sich durch diese Lektüre zu wühlen, aber zum Schluss ist es eine Bereicherung, denn man erahnt die Qualen und kann das Leben in solchen Regimen nachvollziehen. Ganz schrecklich, aber wunderbar transportiert!

„Ich kann mir heute noch kein Grab vorstellen. Nur einen Gürtel, ein Fenster, eine Nuß und einen Strick. Jeder Tod ist für mich wie ein Sack.“

Bewertung: :stern: :stern: :stern: :stern: *
BildLiebe Grüße,
Krümel



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