Untertitel: Kinder der Straße
Mit einem Vorwort von Doris Schröder-Köpf und einem Nachwort von Markus Seidel (Vorsitzender der Hilfsorganisation Off-Road-Kids).
Inhalt:
Klappentext
Sie sind zu acht und nennen sich "Asphalt Tribe" - ein Stamm, der auf der Straße zu überleben versucht. Rainbow, die an der Nadel hängt, und der Anarchist Maggot, 2Moro und Jewel, die sich auf dem Strich den Rausch der Clubbing-Nächte verdienen, OG und sein Hund Pest, die kleine Tears und Maybe, die Berichterstatterin. Maybe erzählt von Kälte und Hunger, von Sozialarbeitern und Zuhältern, von durchtanzten Nächten und verschlafenen Tagen, von Stolz und Erniedrigung. Doch der Preis der Freiheit ist hoch und fordert tödlichen Tribut.
Ergänzungen von mir
Der Roman beginnt am Silvesterabend und zieht sich über den Januar. Es ist die kälteste Zeit des Jahres und für alle Menschen, die auf den New Yorker Straßen leben, geht es um das bloße Überleben. Bereits im zweiten Kapitel fordert die Kälteperiode den ersten Toten aus dem "Asphalt Tribe". "Country Club", der an Unterkühlung gestorbene Junge, bleibt nicht das einzige Opfer des Straßenlebens. Die Mitglieder des Aspalt Tribes finden zufällig zueinander und bilden eine Notgemeinschaft, die immer stärker zur Familie wird. Die Protagonistin Maybe hat eine besonders starke Bindung zu Rainbow, einer heroinabhängigen Sechzehnjährigen.
Allen ist die ständige Bedrohung durch Kriminalität, Willkür und Gewalt bewußt, aber sie haben sich so sehr in Abhängigkeiten verstrickt, dass ihnen der Absprung in ein geregeltes Leben schwerfällt. So lehnen sie Vorschriften und gesellschaftliche Normen generell ab, um sich hinter dieser erlogenen Wirklichkeit verstecken zu können.
Nur wenige können diesem Teufelskreis entfliehen - was auch in diesem Buch eine klare Aussage ist. Am Ende
Spoiler hat geschrieben:hofft der Leser, dass zumindest Tears, die 12-Jährige aus West Virginia, mit Hilfe ihrer Großeltern wieder auf die Beine kommen wird. Bei Maybe hat man eine tiefe Zuversicht, dass sie es schaffen kann, aber der weitere Werdegang ist bewußt offengelassen.
Darüber hinaus versuchen die Kids ihre Vergangenheit zu vergessen. Alle Jugendlichen haben unterschiedliche Hintergründe. Maybe wurde von ihrer Mutter verstoßen und mißhandelt. Tears wurde von ihrem Stiefvater mißbraucht und als sie es ihrer Mutter erzählte, wollte diese es ihr nicht glauben - so sah sie als einzigen Ausweg die Flucht. Maggot ist ein sogenannter "Postkartenpunk", jemand, der sich nur gegen das System auflehnen will, aber nicht aus zwingenden Gründen von seinen Eltern weglief. So hat jeder seine eigene Geschichte.
Meine Meinung:
Schon als ich da Buch auslieh, hatte ich das Gefühl, dass mich Morton Rhue nicht enttäuschen würde. Ich finde seine Bücher sehr mutig, erschütternd und aufklärend. Er ist fähig, komplexe Probleme einfach umzusetzen und sich nicht ins Theoretische zu versteigen. Andeutungen allein genügen, um sich einen wahren Bilderkatalog vorstellen zu können.
In dem Buch gibt es eine Stelle, an der Maybe und Rainbow in die Stadtbibliothek gehen, um sich dort zu waschen. Sie wollen ihren Gestank loswerden und sich mal wieder sauber fühlen. Sie werden entdeckt und daraufhin vom Wachmann Bobby auf unglaubliche Weise gedemütigt. Er zwingt sie, den Raum nackt zu putzen, damit sie sich ihres Vergehens bewusst werden. Sein Kollege hat dagegen zwar Einwände, geht aber lediglich aus dem Raum statt aktiv einzuschreiten. Hier liegt die Hilflosigkeit der Mädchen offen, die Unmenschlichkeit von vermeintlich höher gestellten Menschen wird gezeigt, aber nicht bewertet. Der Leser ist aufgefordert, sich selbst eine Meinung zu bilden.
Diese Andeutungen machen das Buch sicher zu einer lohnenswerten Schullektüre! Es gibt viele Stellen, über die man diskutieren kann!
Eine weitere Stelle, die mich mitnahm, war die Begegnung mit einer Tierschützerin. Diese sah OGs Hund Pest und versuchte OG dazu zu bewegen, ihr den Hund mitzugeben, da er auf der Straße keine Überlebenschance habe. Natürlich hat sie recht, aber sie hat ihr Mitleid und die Besorgnis für den Hund nichtmal auf die Kinder übertragen! Es wirkt so, als ob sie für das menschliche Elend blind sei. Hauptsache, das Tier leidet nicht.
In einem späteren Kapitel gibt es eine Textstelle, die ich hier abschließend zitieren möchte, weil sie den Status der Kinder in der eigenen und äußeren Wahrnehmung gut beschreibt:
Kann sein, dass du heute Nacht hier draußen verhungerst oder erfrierst. Kann sein, dass man morgen früh deine Leiche findet. Wer macht sich was aus einem obdachlosen Kind? Du bist ein Niemand. Kein Mensch wird sich an dich erinnern. Dich gibt es praktisch nicht.
Aber zum Glück existieren auch in diesem Buch Menschen, die das Schicksal der Straßenkinder interessiert, z. B. die Polizistin Officer Ryan oder den Bibliothekar Anthony...
Ich würde das Buch Jugendlichen ab 15 Jahren empfehlen.