Titel. Die Wohlgesinnten
Autor: Jonathan Littell
Verlag: Berlin-Verlag
Erschienen: Februar 2008
Seitenzahl: 1392
ISBN-10: 3827007380
ISBN-13: 978-3827007384
Preis: 36.00 EUR
Man stelle sich folgendes – fiktives – Szenario einmal vor:
Der Schriftsteller Jonathan Littell sitzt mit einigen Leuten (Kollegen, Lesern, Journalisten etc.) zusammen und spricht von seinem Plan, von seiner Idee, einen erdachten SS-Offizier über seine Erlebnisse berichten zu lassen. Littells Zuhörer würden ihm vielleicht davon abraten und wenn sie ihm nicht abraten würden, so hätten sie sicher einen riesigen Sack voller Bedenken, die sie ihm vor die Füße kippen würden.
Doch Jonathan Littell hat sich nicht beeinflussen lassen und hat dieses Buch geschrieben und man kann ihm dankbar sein, dass er dieses Buch geschrieben hat. Ein Buch, dass sicher auf jeden Leser eine unterschiedliche Wirkung ausüben wird, ein Buch dass Stoff für endlose Diskussionen bietet.
Glaubt man den verschiedenen Kritikerstimmen in den Medien, dann scheinen „Die Wohlgesinnten“ von Jonathan Littell etwas ganz Besonderes zu sein. Ein Buch das polarisiert und bei dem man sich nicht von der Seitenzahl in Höhe von knapp 1400 Seiten abschrecken lassen soll, ein Buch das man lesen sollte. Unbedingt.
Das Buch handelt von dem SS-Offizier Dr. Aue, der über die Zeit von 1941 bis 1945 berichtet. Sein Bericht ist schonungslos zeichnet sich zudem auch durch Detailtreue aus. Offenbar hat der Autor hat sehr intensives Quellenstudium betrieben.
Gleich zu Beginn des Buches nimmt der fiktive Erzähler die Leser mit auf eine Reise durch das Reich seiner ganz persönlichen Lebensphilosophie. Man muss sich als Leser immer wieder vergegenwärtigen, dass es sich hier um eine Fiktion handelt, keinesfalls aber um einen autobiographischen Text.
Dr. Aue versucht, so wie viele andere SS-Männer auch, seine Verbrechen zu relativieren, nicht sie zu leugnen. Er beruft sich nicht auf den immer wieder zitierten Befehlsnotstand. Reue ist ihm fremd. Trotzdem wirken seine Rechtfertigungen so manches Mal fast etwas weinerlich. Zwischen den Zeilen beklagt er sich über die mangelnden Resonanz in Bezug auf seine „Arbeit“. Er versteht offensichtlich nicht, wieso seine Umgebung ihm mit Unverständnis begegnet. Interessant in diesem Zusammenhang ist aber auch, dass er nach dem Krieg nicht zur Verantwortung gezogen wurde, sondern dass er unbehelligt weiter als Teil der Gesellschaft lebt. Ein Phänomen, dass wir in der tatsächlich existierenden Nachkriegsgeschichte immer wieder neu erleben mussten. Gerade in diesem Punkte hat Justitia sehr schwere Schuld auf sich geladen.
Dr. Aue verkennt nicht die Leiden der Opfer, er spricht es durchaus auch an, im gleichen Atemzug aber bittet er auch um Verständnis für die Täter, denn die stünden ja schließlich auch unter einem erheblichen Druck bei ihrer sehr „harten“ Arbeit.
Als Leser vergisst man immer wieder, dass es sich bei diesem Buch um eine Fiktion handelt, wirkt es doch zu sehr wie ein authentischer autobiographischer Text. Jonathan Littell ist es wirklich gelungen aus der Sicht eines SS-Offiziers zu schreiben. Er schreibt aus der Sicht eines Menschen, für den das Töten von Menschen in erster Linie ein logistisches Problem ist und für den es völlig normal ist, dass das Töten von Menschen, das planmässige Töten von Menschen, einen bürokratisch kühlen Vorgang darstellt.
Der fiktive Erzähler Dr. Aue sieht kein Unrecht in seinem Tun. Er hinterfragt nichts und niemanden, er fühlt sich geehrt als in den Stab des Reichsführer SS Heinrich Himmler aufgenommen wird, er macht sich über Adolf Eichmann lustig, den er lediglich als tüchtigen, wenn auch einfältigen Bürokraten sieht. Aue dient, ist stolz auf seine Zugehörigkeit zur SS, ist in seinen Augen ein guter Nationalsozialist und ist bestrebt Karriere zu machen. Und für die Sache müssen schon mal sehr harte Maßnahmen angewendet werden.
Aue ist ein belesener Mensch, ein Liebhaber der Musik von Monteverdi und einer philosophischen Diskussion geht er niemals aus dem Weg, trotzdem hat er kaum vorstellbare Schuld auf sich geladen, eine Schuld für die es kaum eine angemessene Sühne gibt. Diese Diskrepanz zwischen dem Menschen Aue und dem SS-Offizier Aue macht Littell auf eine sehr eindringliche Art und Weise deutlich. Littell hat auch sehr klar gemacht, dass sehr viele Menschen, die im humanistischen Geist erzogen wurden, sich an der Mordmaschinerie beteiligt haben, ohne dabei so etwas wie ein Unrechtsbewusstsein zu haben.
Nur, können wir wirklich hundertprozentig von uns selbst sagen: „Ich hätte da nicht mitgemacht!“ Es waren ganz normale Bürger, die an der Tötung von Millionen Menschen ohne irgendwelche Gewissensbisse mitgewirkt haben. Die Erklärung dieses Phänomens ist bis heute nicht abschließend gelungen.
Ein lesenswertes Buch, ein Buch das wohl niemanden unberührt lässt der es gelesen hat.
Meine Bewertung: