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Teller, Janne - Krieg




Teller, Janne - Krieg

Beitragvon Karthause » 22.01.2012, 12:48

Kurzbeschreibung (Quelle: amazon.de)

Stell dir vor, es ist Krieg – nicht irgendwo weit weg, sondern hier in Europa. Die demokratische Politik ist gescheitert und faschistische Diktaturen haben die Macht übernommen. Wer kann, flieht in den Nahen Osten, wie der 14-jährige Protagonist aus Deutschland. In einem ägyptischen Flüchtlingslager versucht er mit seiner Familie ein neues Leben zu beginnen. Weil er keine Aufenthaltsgenehmigung hat, kann er nicht zur Schule gehen, kein Arabisch lernen, keine Arbeit finden. Er fühlt sich als Außenseiter und sehnt sich nach Hause. Doch wo ist das? Nach dem Bestseller „Nichts“ eine neue erschreckende Vision von Janne Teller zu hochaktuellen Themen wie Flucht, Migration und Fremdenfeindlichkeit.

Meine Meinung

In Form eines EU-Passes präsentiert sich Janne Tellers „Krieg“. Das schafft Nähe. Noch unvermittelter wird das Ganze mit der persönlichen Aufforderung, der Leser wird direkt angesprochen, sich das für uns inzwischen, zum Glück, Unvorstellbare vorzustellen. Zerbombte Häuser, Terror, Verfolgung, Flucht, Tod, Krieg – mitten in Deutschland, eine zerbrochene Europäische Union, Frankreich und Griechenland als Feinde der Deutschen, die Asylsuche in Ägypten. Das Besondere dabei ist, dass dieses Büchlein für die deutsche Übersetzung speziell an die hier herrschenden Bedingungen und die Besonderheiten Deutschlands angepasst wurde. So entsteht eine nahezu lebensechte Fiktion, die einem eine Gänsehaut verursacht. So werden die Themen Flucht und Migration aus einem uns unbekannten Blickwinkel inszeniert. Sehr gut zu diesem Buch passen die Illustrationen von Helle Jensen. Auf nur 64 Seiten schafft es die Autorin, den Leser persönlich anzusprechen, ihn in diese Fiktion aufzunehmen und ihm die Probleme der Migranten in der fremden Kultur, mit unbekannter Sprache und die Ablehnung bei den Einheimischen vor Augen zu führen und unsere „heile Welt“ auf den Kopf zu stellen. Andererseits finde ich es ein wenig schade, dass Janne Teller sich mit diesen wenigen Seiten zufrieden gibt. Der Stoff hat Potential für so viel mehr.

„Krieg“ ist ein sehr dünnes Büchlein, berührt aber ungemein und hat ein hohes Diskussionspotential, es rüttelt auf und macht einem deutlich, wie glücklich wir uns schätzen können, in relativer Sicherheit zu leben. Ich empfehle dieses Buch jungen und erwachsenen Lesern.

Über den Autor (Quelle: amazon.de)
Janne Teller, geb. 1964, ist ehemalige UN-Mitarbeiterin und gelernte Ökonomin. Sie lebt derzeit in Paris.

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Viele Grüße
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von Anzeige » 22.01.2012, 12:48

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Re: Teller, Janne - Krieg

Beitragvon Pippilotta » 22.01.2012, 17:48

Mich (und auch meinen 16-jährigen Sohn) hat "Nichts. Was im Leben wichtig ist" schon sehr beeindruckt. Die Art, wie Janne Teller Ungemütliches in Worte fassen kann, hat mich überzeugt. ich werde mir (uns) bei nächster Gelegenheit "Krieg" zulegen.
Herzliche Grüße
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Re: Teller, Janne - Krieg

Beitragvon Karthause » 22.01.2012, 19:08

"Nichts" hat mir auch gefallen. Aber dieses kleine Büchlein hat mich sehr bewegt, weil es genau auf Deutschland zugeschnitten ist und der Krieg so greifbar nah und bedrohlich war. Ich denke auch, es wird euch gut gefallen.
Viele Grüße
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Re: Teller, Janne - Krieg

Beitragvon wolves » 23.01.2012, 09:21

Ich habe gerade in beide Bücher hineingelesen; kann man ja bei Amazon. Das hatte mich sowas von beeindruckt, dass ich mir beide direkt bestellt habe, ich hätte mich unmöglich nur für eines entscheiden können. Die Inhalte berühren mich sehr. Vielen Dank Karthause für deine Rezension. Vielen Dank auch dir Pippi für das was du geschrieben hast, so bin ich noch einmal auf "Nichts. Was im Leben wichtig ist" gestossen. Ich meine, das Büchlein schon einmal im Hinterkopf abgespeichert zu haben, habe es aber leider wieder vergessen.
Liebe Grüße
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Re: Teller, Janne - Krieg

Beitragvon wolves » 25.01.2012, 09:16

Gestern bekam ich das Buch geliefert und habe es in einem Rutsch durchgelesen. Was kann ich Karthauses sehr ausführlicher Rezi noch hinzufügen? Und während ich gerade darüber nachdenke, was man noch schreiben könnte, merke ich, dass es Teller sehr gut gelungen ist, mich zum nachdenken zu bringen. Was für mich selbstverständlich ist -alleine schon durch die Biographie meines Vater, der ja selbst Flüchtling in Kriegszeiten war- ist mit Sicherheit für den einen oder anderen ein eher neuer Gedanke. Wie wäre es, wenn ich selbst davon betroffen wäre. Wenn meine ach so vermeintlich sichere Welt von einem Tag zum anderen eine ganz andere ist. Wenn ich Todesangst haben muss.

Es bleibt zu hoffen, dass dieses Gedankenspiel vielen Menschen eine neue Sichtweise vermittelt, die bis dato über Flüchtlinge und Assylsuchenden nur negatives zu denken vermögen. Das Nachwort der Autorin zur deutschen Ausgabe, lässt aber leider vermuten, dass es bis dahin ein sehr weiter Weg sein wird. Das ursprüngliche Essay wurde von ihr 2001 geschrieben. Sie schreibt im Oktober 2010 "In vielerlei Hinsicht hatte ich gehofft, dieser Essay wäre heute längst überholt. Wie die Dinge liegen, ist er es nicht. Ganz im Gegenteil."

Mich würde interessieren, wie dieses Buch auf Schüler wirkt. Was für Diskussionen würde es auslösen? Könnten bestehende Vorurteile durch eine neue Sichtweise und entsprechender Diskussion darüber aus dem Weg geräumt werden?
Ok, ich gebe zu, es wird wohl ein ewiges Wunschdenken von mir bleiben, dass sich die Welt ein Stück zum guten wenden könnte. Bleibt die Hoffnung, dass es doch mal passieren könnte, dass in den Köpfen eine Wendung eintritt.

Karthause hat geschrieben:Auf nur 64 Seiten schafft es die Autorin, den Leser persönlich anzusprechen, ihn in diese Fiktion aufzunehmen und ihm die Probleme der Migranten in der fremden Kultur, mit unbekannter Sprache und die Ablehnung bei den Einheimischen vor Augen zu führen und unsere „heile Welt“ auf den Kopf zu stellen. Andererseits finde ich es ein wenig schade, dass Janne Teller sich mit diesen wenigen Seiten zufrieden gibt. Der Stoff hat Potential für so viel mehr.

Nach dem lesen der gerade mal 64 Seiten dachte ich auch: Na und jetzt? Ginge da nicht noch mehr? Wenn ich jetzt so darüber nachdenke, sind es gerade mal diese knappen 64 kleinen Seiten, die einem zum nachdenken bringen. Ein mehr wäre da fast schon zuviel gewesen. Ich denke es gibt dadurch Raum für viele Gedanken und mögliche Szenarien.

Karthause hat geschrieben:Sehr gut zu diesem Buch passen die Illustrationen von Helle Jensen.

Oh ja! Das finde ich auch!
Liebe Grüße
wolves


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Re: Teller, Janne - Krieg

Beitragvon Pippilotta » 02.02.2012, 18:21

Mit diesem Gedankenexperiment stellt Janne Teller die Gegenwart auf den Kopf und hält uns einen Spiegel vor, und das, was wir darin sehen, tut weh und macht sehr nachdenklich! .... in Deutschland herrscht Krieg, die Deutschen sind plötzlich die Flüchtlinge, jene, die um Asyl ansuchen, und in einem friedlichen Land Unterschlupf suchen. Neben der Vorstellung der von Bomben zerstörten Häuser, von Tod, von Hunger und Not hat mich v.a. der Umgang mit den Fremden, die Vorurteile, die Distanz und das Gehabe, mit denen ihnen begegnet wird, schockiert. Täglich zu beobachten in unserem Land, in der Nachbarschaft, in den Nachrichten, in den Medien.

Ich hoffe, dass dieses Büchlein von vielen, vielen gelesen wird und zumindest das eigene Denken und Handeln kritisch betrachten lässt und zu ein wenig mehr Toleranz und Menschlichkeit gegenüber Fremden beiträgt! Das ist für mich die Botschaft des Buches, die Schriftstellerin artikuliert es ganz treffend mit ihrem letzten Satz im Nachwort: "... dass alle Menschen gleich geschaffen wurden und jeder die Menschen so behandeln soll, wie er selbst von ihnen behandelt werden will"
Herzliche Grüße
Pippilotta


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