“Lady Audley's Geheimnis” ist ein perfektes Beispiel für den im 19. Jahrhundert beliebten Sensationsroman in England - ACHTUNG - IMMENSER SPOILER!!! Lesen auf eigene Gefahr...
eine unglückliche Frau versetzt die Leserschaft durch Ehebruch, Geisteskrankheit, Bigamie, Verführung, Mord und Identitätswechsel in Aufregung.
Der Roman lässt sich leicht lesen und ist sehr spannend geschrieben – ohne sich mit Geistererscheinungen und langwierigen religiösen Abhandlungen aufzuhalten, die man in so vielen anderen Werken der Zeit antrifft.
Ohne zuviel verraten zu wollen, hier die grobe Handlung:
Lucy Graham zieht die Aufmerksamkeit von Lord Michael Audley auf sich, der sie heiratet und ihr somit den Aufstieg aus der Arbeiterklasse in den Landadel ermöglicht. Gemeinsam mit seiner Tochter Alicia aus erster Ehe führen sie ein ruhiges Leben auf dem Familiensitz bis sich der Lord Michaels Neffe Robert zu Besuch ankündigt. Robert wird von seinem Freund George Talbot begleitet, der bei Robert wohnt seit er nach Rückkehr aus Australien erfahren hat, dass seine Frau Helen während seiner Abwesenheit verstorben ist. Obwohl zumindest Robert sehr bestrebt ist, seine neue Tante kennenzulernen, ergibt sich die Chance erst sehr spät. Doch als Alicia die beiden jungen Herren zu einer Hausbesichtigung einlädt, verfallen beide dem Porträt der jungen Ehefrau – und lassen sich wie der Rest der Welt von ihrer Schönheit bannen. George zeigt sich erstaunlich erregt.
Am nächsten Tag begeben sich die beiden auf eine Anglerpartie. Während Robert einschlummert, stiehlt sich George gen Audley House und erkundigt sich nach der Hausherrin. Dies soll das letzte Mal sein, dass er gesehen wird. Robert, der nicht glauben kann, dass sein Freund ihn so schmählich im Stich lassen und ohne Abschiedsworte verschwinden würde, versucht das Rätsel zu entschlüsseln. Was er entdeckt, klingt nach Groschenroman, ist aber sehr geschickt geschrieben und öffnet dem Leser Einblick in seine Ermittlungsarbeit als Hobbydetektiv, sein moralisches Grundgerüst und eine Gesellschaft, in der man sich fragen müsste, wie Geschlechterrollen definiert sein sollten und wie sie in Wirklichkeit beschaffen sind.
Mir hat “Lady Audley's Secret” sehr gut gefallen und in dem Roman steckt mehr als nur eine sensationelle Handlung. Erstaunlich feministisch und kritisch für die Zeit, zudem veröffentlicht von einer Frau, bot es dem breiten Publikum sicher mehrere Steine des Anstosses.
Das Ende hat mich etwas abgestossen – ist aber gewiss seiner Zeit geschuldet. Im letzten Absatz nimmt die Erzählerin leichtfüssig Kritikern den Wind aus den Segeln und lässt den Leser selbst darüber entscheiden, wie er das letzte Kapitel deutet.
Alles in allem: eine brilliante Neuentdeckung für mich. Mary Elizabeth Braddon hat insgesamt mehr als 80 Publikationen verfasst – da findet sich sicher noch das ein oder andere im Laufe der Jahre auf meinem SUB wieder...
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