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Nothomb, Amélie - Der Professor




Nothomb, Amélie - Der Professor

Beitragvon mombour » 14.01.2010, 16:20

Hallo,

Amélie Nothomb: Der Professor

Amélie Nothomb hat einen wunderbaren Draht zum Skrurrilen. Und ich staune doch, was die Autorin aus dem an sich ziemlich banal scheinenden Ausgangspunkt des Romans herausholt. Es geht nämlich darum, ein Arzt, schon siebzig Jahre alt, auf dem Lande lebend, nervt ein neu hinzugezogenes älteres Ehepaar in der Nachbarschaft, indem er jeden Tag pünktlich um 16.00 Uhr bei Émile und Juliette Hazel klingelt, sich zum Kaffetrinken einladen lässt, sehr schweigsam ist, lakonisch meist nur mit „Ja" und „Nein“ antwortet, dem friedlebenden Ehepaar deftig auf die Nerven geht, dass man hier schon von einem Psychoterror sprechen kann. Um 18.00 Uhr geht er dann wieder. Der Ausgangspunkt ist also ähnlich wie in "Kosmetik des Bösen", der Verlauf und der Grund des nachbarschaftlichen Terrors ein ganz anderer.

Die These des Romans ist nicht neu: Das Böse lauert überall. Nicht neu, richtig, aber es kommt darauf an, wie die These im Roman umgesetzt und verarbeitet wird. Ich finde, das ist hier auf skurrile und freche Weise mit einem durchaus leckerbissigen Humor gelungen, auch der Schluss enttäuscht nicht, sondern ist an sich logisch, kann, wenn ich die Lektüre rückwirkend betrachte, auch gar nicht anders sein kann. Der erste Satz des Romans sitzt wie gegossen und führt dann in einem großen Bogen zum Romanende hin. Der erste Satz heißt wie folgt:

Nothomb hat geschrieben:Von sich selbst weiß man nichts.


Émile und Juliette kennen sich seit ihrer Schulzeit und waren seither unzertrennlich gewesen, ein friedliches, unauffälliges Paar. Es gab keine Lebenskrisen, alles war schön, Émile verwirklichte sich als Griechisch – und Lateinlehrer. Man konnte gar nicht unhöflich , nicht unsittlich sein, weil man nie so war. „Gewisse elementare Reflexe“ hatte man in sich, und wenn Herr Bernardin, der Quälgeist, an die Tür klopft, fühlt sich der brave Philolog' geradezu dazu verpflichtet, die Tür zu öffnen und hat dann den klobigen Nervtöter als Belohnung in der Wohnung. Diese biedere Menschenfreundlichkeit wird hinterfragt, und als Leser denke ich mir wirklich, wie im Grunde langweilig muss doch dieses brave Leben gewesen sein. Émile und Juliette haben endlich ihr Ziel erreicht, ein ruhiges Haus auf dem Lande zu finden, in dem sie weiterhin ihre biederfriedliche Existenz fortführen wollen bis zum Tod. Und dann kommt der Quälgeist, ihre friedliche Zeit ist vorbei.

Das Ehepaar Émile und Juliette ist wie ein geschlossenes System, was nur in sich geschlossen funktioniert.Wird aber die Außenwelt hineingetragen, hier durch den Professor verkörpert, so kann ein geschlossenes System, welches bis dahin funktioniert hat, brüchig werden und plötzlich wird eine Introspektion in Gang gesetzt, dass die Betroffenen in eine ungeheuerliche Selbstoffenbarung führt.

Nothomb hat geschrieben:Je mehr Jahre hingehen, desto weniger versteht man, wer diese Person ist, in deren Namen man spricht und handelt.


Prädikat wertvoll.

:stern: :stern: :stern: :stern: :stern:

Liebe Grüße
mombour

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von Anzeige » 14.01.2010, 16:20

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Beitragvon Krümel » 14.01.2010, 16:50

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Das ist auch was für mich, danke mombour für diese gelungene Vorstellung :thumleft:
BildLiebe Grüße,
Krümel



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Beitragvon Coco » 14.01.2010, 21:47

Auch von mir ein herzliches "Danke schön!" für die Rezi.

Das Buch ist auf meiner Wunschliste gelandet. :D
Liebe Grüsse
Coco

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