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Jeannette Walls - Schloss aus Glas
New York - Jeannette Walls, eine erfolgreiche Journalistin, ist auf dem Weg zu einer Party. Während sie auf das Taxi wartet sieht sie eine ältere Frau, die die umstehenden Mülltonnen nach Ess-und Brauchbarem durchsucht. In dieser Stadt kein ungewöhnliches Bild - wenn diese Frau nicht die eigene Mutter wäre.
Mit dieser Szene beginnen die Kindheits- und Jugenerinnerungen von Jeannette Walls, die ungewöhnlichste Beschreibung einer Kindheit, die ich je gelesen habe.
Ihre Eltern sind „Freaks“ – sie haben klassischen Konventionen abgeschworen, sehen ihr Ziel in der Selbstverwirklichung. Nur in einem Leben fernab aller Fesseln und Zwängen der Bürgerlichkeit sollen Träume wahr werden können.
Der Vater, immer kurz vor dem Durchbruch einer bahnbrechenden Erfindung, die die Familie reich machen wird, hält anfangs die Familie mit Gelegenheitsjobs über Wasser. Fällt dieser aus oder ist wieder einmal wochenlang verschwunden, springt die Mutter, eine selbsternannte Künstlerin, die auf ihren Durchbruch wartet, als Aushilfslehrerin ein.
Gläubiger oder Polizei auf den Fersen, zieht die Familie von Stadt zu Stadt. Eine Heimat kennen die vier Kinder nicht. Ebensowenig ein anderes Maß an Beständigkeit, meist ist noch nicht einmal genug zu Essen vorhanden. Halt und Unterstützung erfahren die Geschwister vor allem untereinander.
Und dennoch erhalten die Kinder eine andere Art von Bildung. Gerade der Vater, mit seinen oft ambivalenten Handlungen, führt sie in das Reich der Träume, zeigt ihnen, dass man keine Angst vor dem Leben haben muß, dass die Welt, fernab von materiellen Gütern groß und reich ist. Und manchmal ist gerade er, der mehr und mehr dem Alkohol verfällt, in entscheidenden Situationen da um zu helfen.
Beim Lesen dieses Buches wurde ich hin- und hergerissen. Zum Teil war ich erschüttert über die maßlose Vernachlässigung der Kinder seitens der Eltern, darüber, dass sie aufgrund ihres Egoismuses, die Not der Kinder nicht sahen; selbst bei einem sexuellen Übergriff aus der weiteren Familie nicht konsequent handelten.
Dann wiederum war ich fasziniert, welche „Welten“ den Kindern erschlossen wurden, wie reich ihnen die Welt, fernab jeglicher Bürgerlichkeit, zu Füssen gelegt wurde. Diese Sicht der Dinge würde ich jedem Kind wünschen.
Die Ungeheuerlichkeit mancher Szenen kam mir erst im nachhinein, nach Abschluss des Buches. Interessanterweise werden die ersten 2/3 ohne jegliche Emotionen erzählt. Jeannette Walls erzählt, als hätte sie mit allem nichts zu tun, eigentlich zählt sie nur auf. Selten jedoch gibt sie Emotionen preis, berichtet, wie sie sich damals fühlte, wie die Vertrauensbrüche der Eltern tatsächlich für sie waren. Diese Distanz übertrug sich recht schnell auf mich, irgendwie machte auch ich „zu“ und las den Bericht einfach nur; streckenweise wurde es fast langweilig.
Erst im letzten Drittel, als Jeannette sich bereits von ihren Eltern löste und ihr eigenes Leben zu gestalten begann, ändert sich die Erzählart, hier spricht sie über ihre Gedanken, ihre Wut und auch ihr schlechtes Gewissen. Ab hier konnte ich mitfühlen, erst hier entsteht eine Offenheit und damit verbunden, Spannung beim Lesen.
Mag sein, dass Jeannette Walls sich ihrer Kindheit und Jugend (noch) nicht öffnen kann, dem Leser macht sie es allerdings schwer.
Dennoch möchte ich dieses Buch empfehlen, es bringt in manchem so wunderbare, oft auch verpöhnte, Aspekte des Lebens. Es machte mich vor allem auch nachdenklich darüber, was man Kindern auf ihren Lebensweg mitgeben sollte. Angeraten sei dabei jedoch, sämtliche moralischen Bewertungsmasstäbe beiseite zu legen und die „Geschichte“ einfach auf sich wirken zu lassen.
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