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Tranströmer, Tomas - Der Mond und die Eiszeit




Tranströmer, Tomas - Der Mond und die Eiszeit

Beitragvon mombour » 14.10.2011, 12:05

Tomas Tranströmer: Der Mond und die Eiszeit

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Tomas Tranströmer stand schon lange auf der Liste der Favoriten für den Literaturnobelpreis. Warum ich aber erst jetzt seine Gedichte lese, nachdem es durch die Welt ging, er bekomme diese Auszeichnung, weiß ich nicht. Immerhin habe ich den inzwischen vergriffenen Gedichtband „Der Mond und die Eiszeit“ aus der Reihe „Serie Piper“ zwei Tage vor der Bekanntgabe des Nobelpreises antiquarisch geordert. Also, gelesen hätte ich diese Gedichte sowieso, und jetzt lese ich sie und bin froh, obwohl, bange hätte ich werden können, denn da gibt es ein Gedicht über Schreibhemmung. Überdrüssig aller Wörter, denn sie können nicht eins zu eins die reale Welt darstellen, von der der Schreibende in dem Gedicht doch erzählen will, und weil er keine Worte findet, zeichnet Tranströmer in Bildern, erzählt, wie das literarische Ich auf eine schneebedeckte Insel fährt. „Das Wilde hat keine Wörter.“, heißt es, ja, diese Insel ist von natürlicher Wildnis, aber sie vom Schnee umhüllt ist, bleibt verborgen. Der Schreiber findet keine Worte. Nur die Sprache ist da, Rehhufen im Schnee – eines ist hier entlanggelaufen erzählt die Sprache der Natur.

Mein erster Eindruck der Gedichte des Frischgekürten: Er erzählt in eindrucksvollen Bildern, die gedeutet werden müssen. Lyrik muss man sich selbst erarbeiten, ich kann hier nur meine subjektiven nicht allgemeingültigen Eindrücke schildern. Ein Gedicht habe ich auf Anhieb lieb gewonnen: „Skizze im Oktober“. Ein klappriger rostiger Schleppdampfer, schrottreif, ist wie „eine schwere erloschene Lampe in der Kälte.“ Er nähert sich der Erde, dem Land, indem er vom Meer in einen Fluss einfährt. Die wilden Farben der Blätter künden den Tod an. In der zweiten Strophe kommt der Mensch ins Spiel. Tintenpilze, die durch Grasnarben schießen, sind wie hilfesuchende Finger von jemanden, der nun unter der Erde liegt. Wir werden eins mit der Erde, will das Gedicht uns sagen. Mich haben diese Bilder, wie Tranströmer sie lakonisch, aber trotzdem wuchtig malt, sehr beeindruckt. Dieses Gedicht zählt von Anbeginn schon zu meinen liebsten. In einem anderen Gedicht heißt es über den Tod: „ Doch im stillen wird der Anzug genäht.“

Ein jeder kennt das Gedicht „Ein Gleiches“: „Über allen Gipfeln / Ist Ruh.“ In diesem Gedicht geht der Spannungsbogen vom Himmel bis unter die Erde: „Warte nur, balde / Ruhest du auch“. In dem Gedicht „Atempause Juli“ von Tomas Tranströmer liegt jemand unter hohen Bäumen und schaut in die hohen Zweige. Er fühlt, er sitze „ in einem Schleudersitz, der in Zeitlupentempo wegfliegt.“ In der zweiten Strophe ist das Gedicht inhaltlich zur Erde geschwenkt, auf einem Bootssteg, der schneller altert als der Mensch. Und dann, man merkt vielleicht, dass Tranströmer Schwede ist, immer wieder Wasser, das Meer, die Kälte, in der dritten Strophe also die Vorstellung, wenn jemand mit einem Boot „über die glitzernden Buchten fährt“, dann wird derjenige „in einer blauen Lampe einschlummern“, und, im letzten Vers so eine typische bildhafte Fantasie Tranströmers: “..während die Inseln über das Glas kriechen wie große Nachtfalter.“ Geniales Bild. Wie sollen wir das aber entschlüsseln? Es geht hier wohl auch um den Tod. Die blaue Lampe könnte der kalte Tod sein, das Meer der Sarg unter den Schwingen des Nachtfalters. Alles muss man nicht verstehen, dass Entscheidende ist, Tranströmers Bilder bringen unsere Fantasie in Bewegung. Wir begegnen auch den Blick von ganz unten bis in die weiten des Kosmos: „Wir blicken nach oben: der Sternenhimmel durch das Abflussgitter.“

In diesem Band sind auch einige kurze Prosastücke enthalten, die wie seine Lyrik ebenso von knapper Verdichtung und assoziativwirkenden Bildern geprägt sind. Es sind wunderbare Bilder. Oder wundersame? In einem Gedicht schauen „Satelitenaugen“ auf den rauhen Boden der Erde, der kein Spiegelbild zulässt. „Nur die gröbsten Geister“, so heißt es, „spiegeln sich drauf: der Mond und die Eiszeit.“

:stern: :stern: :stern: :stern: :stern:

Liebe Grüße
mombour

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von Anzeige » 14.10.2011, 12:05

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Re: Tranströmer, Tomas - Der Mond und die Eiszeit

Beitragvon Krümel » 14.10.2011, 15:29

mombour hat geschrieben:PS: Machs in den Blog - mArtinus :mrgreen:


Erst nicht wollen und dann drängeln :wink: Am Dienstag isses soweit, und danke!
BildLiebe Grüße,
Krümel



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Re: Tranströmer, Tomas - Der Mond und die Eiszeit

Beitragvon mombour » 15.10.2011, 09:49

Krümel hat geschrieben:
mombour hat geschrieben:PS: Machs in den Blog - mArtinus :mrgreen:


Erst nicht wollen und dann drängeln :wink: Am Dienstag isses soweit, und danke!

Ach,so, ich wusste nicht, das man sich brav anstellen muss. Ich habe doch eine Engelsgeduld :ja: . Das weiß du doch. :mrgreen:
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Re: Tranströmer, Tomas - Der Mond und die Eiszeit

Beitragvon wolves » 17.10.2011, 08:54

mombour hat geschrieben:Tomas Tranströmer stand schon lange auf der Liste der Favoriten für den Literaturnobelpreis. Warum ich aber erst jetzt seine Gedichte lese, nachdem es durch die Welt ging, er bekomme diese Auszeichnung, weiß ich nicht.
Ich glaube es liegt einfach daran, dass man leider, leider nicht alles lesen kann was man lesen möchte. Der Tag hat auch nur 24 Stunden und die Nacht dazu :wink:

Du hast eine beeindruckende Rezension über diesen Gedichtband geschrieben. Man liest richtig heraus, wie sehr er dir gefällt. Es macht wirklich sehr neugierig auf die Gedichte von Tranströmer. Ich behalte mal die Gesamtausgabe im Auge, mal sehen, wann die Preise antiquarisch wieder purzeln.
Liebe Grüße
wolves


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