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Schlink, Bernhard - Der Vorleser




Schlink, Bernhard - Der Vorleser

Beitragvon Pippilotta » 14.11.2006, 10:59

Inhalt

Als 15-jähriger lernt Michael Berg die um 20 Jahre ältere Hanna Schmitz lernen und erlebt seine erste Liebe. Er erfährt nicht viel über Hanna, außer, dass sie Straßenbahnschaffnerin ist und dass sie es liebt, dass er ihr vorliest. So entwickelt sich das Ritual, dass Michael ihr bei seinen häufigen Besuchen immer vorliest, bevor es zum Liebesakt kommt.
Eines Tages verschwindet Hanna spurlos, ein Wiedersehen gibt es einige Jahre später im Gerichtssaal. Michael, inzwischen Student der Rechtswissenschaften, belegt ein Seminar und wohnt einem Auschwitz-Prozess bei, bei dem er Hanna Hauptangeklagte wiedersieht.
Während dieses Prozesses wird Michael klar, warum Hanna vieles in ihrem Leben verschweigt, warum sie sich so ungeschickt verteidigt.

Aufbau:
Das Buch ist in 3 Teile gegliedert. Teil I behandelt die Liebesbeziehung der beiden, Teil II den Gerichtsprozess Jahre später und Teil III das Leben nach dem Prozess.

Meine Meinung:
Ich bin beeindruckt, was man nicht alles in ein Büchlein von knapp 200 Seiten packen kann.
Was wie eine Liebesgeschichte beginnt, entwickelt sich zu einem Drama und auch Trauma für Michael Berg.
Das Erlebnis einer großen Liebe, von der er für seine Persönlichkeit sehr profitiert und die er dennoch verleugnet wird gefolgt vom Schuldgefühl, verantwortlich für das plötzliche Verschwinden der Frau zu sein.
Das Wiedersehen im Gerichtssaal lässt diese alten Schuldgefühle wieder auflodern, doch auch hier kann sich Michael Berg nicht überwinden, aus seinem Schatten zu treten, selbst als ihm klar wurde, dass offensichtlich Ungerechtigkeit geschieht.
Michael wird als der klassische Mitläufer charakterisiert. Obwohl er die Ungerechtigkeit erkennt, wagt er es nicht, aufzustehen und für Gerechtigkeit zu sorgen. Lieber den Mund halten, lieber verleugnen und irgendwelche Ausflüchte, Rechtfertigungen und Ausreden suchen.

Eine Unmenge von Themen wird in diesem Buch behandelt. Es geht um persönliche Schuld genauso wie um kollektive Schuld, es geht um Mitläufertum, um Vergangenheitsbewältigung genauso wie um Verantwortungsgefühl und Zivilcourage, um Opfer und Täter.
Das Buch bietet Ansätze für alle möglichen Diskussionen und ich kann sehr gut verstehen, dass es immer öfter als Schullektüre angeboten wird.

Dem Vorwurf, Bernhard Schlink würde in diesem Buch das Mitläufertum verharmlosen, kann ich nur bedingt zustimmen.
Die unbewältigte Vergangenheit und auch seine Feigheit liegen wie ein Schatten über dem Leben des Michael Berg. Er flüchtet in eine Ehe, die unglücklich verläuft, er findet keinen Beruf, der ihn ausfüllt und immer wieder sucht er nach Rechtfertigungen für sein Benehmen. Bis zuletzt schafft er es nicht, Zivilcourage zu zeigen und wird deshalb seines Lebens nicht mehr froh.

:stern: :stern: :stern: :stern:

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Herzliche Grüße
Pippilotta


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Re: Schlink, Bernhard - Der Vorleser

Beitragvon Krümel » 14.11.2006, 11:16

Pippilotta hat geschrieben:Dem Vorwurf, Bernhard Schlink würde in diesem Buch das Mitläufertum verharmlosen, kann ich nur bedingt zustimmen.
Die unbewältigte Vergangenheit und auch seine Feigheit liegen wie ein Schatten über dem Leben des Michael Berg. Er flüchtet in eine Ehe, die unglücklich verläuft, er findet keinen Beruf, der ihn ausfüllt und immer wieder sucht er nach Rechtfertigungen für sein Benehmen. Bis zuletzt schafft er es nicht, Zivilcourage zu zeigen und wird deshalb seines Lebens nicht mehr froh.


Ich finde es schön, dass du auch auf diese Problematik eingegangen bist.

Die Frage der Schuld und ob sie verharmlost wird, habe ich stets bestritten, weil für mich der Autor diese Probelmatik sehr gut in die Gegenwart transportiert hat, so dass man sie unversell im Jetzt und auch in der Vergangenheit hinterfragen kann. Die Schuld als Mitläufer damals, aber auch die Schuld und Schuldfrage von heute, also die Generationen, die nach 1945 geboren wurden. Diesen Menschen lastet keine Schuld an, sie sind für die Zukunft verantwortlich, aber diesbezüglich schuldfrei. Vielleicht wird aus diesem Grund, wenn man nur auf die Schuldfrage von damals eingeht, die Thematik scheinbar verharmlost.

:stern: :stern: :stern: :stern: (:stern:)
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Krümel



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