Alex Capus, Eine Frage der Zeit
(Knaus Verlag, August 2007)
ISBN 978-3-8135-0272-5
304 Seiten; € 19.95 (HC)
Zum Autor (Klappentext):
Alex Capus, geboren 1961 in Frankreich, lebt als freier Schriftsteller in der Schweiz. Seine Bücher werden von der Kritik hoch gelobt und sind in über zehn Sprachen übersetzt worden. [...]
"Alex Capus ist ein wunderbarer Erzähler, für den die Welt lesbar ist." Süddeutsche Zeitung
Zum Inhalt (von der Verlagsseite):
Drei norddeutsche Werftarbeiter werden 1913 von Kaiser Wilhelm II. beauftragt, ein Dampfschiff in seine Einzelteile zu zerlegen und am Tanganikasee südlich des Kilimandscharo wieder zusammenzusetzen. Der Monarch will damit seine imperialen Ansprüche unterstreichen. Die drei Männer fahren nach Deutsch-Ostafrika mit der Aussicht auf guten Verdienst, lassen sich bezaubern von der exotischen Kulisse und der schönen Gouverneurin, geraten aber rasch in das gewalttätige Räderwerk des Kolonialismus, aus dem es kein Entrinnen gibt.
Zur gleichen Zeit beauftragt Winston Churchill den exzentrischen, aber liebenswerten Oberleutnant Spicer Simson, zwei Kanonenboote über Land durch halb Afrika an den Tanganikasee zu schleppen. Als der Erste Weltkrieg ausbricht, liegen sich Deutsche und Briten an seinen Ufern gegenüber. Keiner will, aber jeder muss Krieg führen vor der pittoresken Kulisse des tropischen Sees. Alle sind sie Gefangene der Zeit, in der sie leben, und jeder hat seine eigene Art, damit fertig zu werden.
Meine Meinung:
Capus´ neuestes Buch ist in gewisser Weise ein Tatsachenroman, denn er erzählt die Geschichte des Dampfers Götzen, der 1913 in Papenburg im Emsland fertiggestellt wurde, anschließend wieder zerlegt und in 5000 Kisten verpackt nach Deutsch-Ostafrika verschifft wurde, um dort die Vormachtstellung der Deutschen innerhalb der Kolonialmächte auszubauen.
Nun erzählt Capus aber nicht sachbuchhaft von diesem Schiff und seinem Werdegang, sondern er schildert die zeitlichen Umstände kurz vor und während des I. Weltkrieges und vor allem auch die Menschen, die durch des Kaisers Befehl am Tanganjikasee landen.
Die drei Papenburger Werftarbeiter, die für den Aufbau in der deutschen Kolonie verantwortlich sind, werden sehr humorvoll, aber auch realistisch beschrieben: es sind ganz normale Menschen, denen die Aussicht auf eine deutlich prallere Lohntüte und die Leidenschaft für dieses Schiff einem damals sehr ungewöhnlichen Auftrag zustimmen lässt.
Erst einmal in Dar es Salaam angekommen, werden sie von der absurden Situation der deutschen Kolonialherren sehr überrascht und da sie durch ihre dort wichtige Funktion zu den angeseheneren Personen Zugang haben, sind sie teilweise auch sehr über deren Umgang entsetzt - beispielsweise schockieren sie sich als "klassische" Arbeiter mit Hang zu Marx und Engels anfangs sehr über die allseits gegenwärtige Dienerschar, die sich um Schuhe putzen und Bier holen kümmert.
Doch noch viel absurder wird ihre Situation dann nach Ausbruch des I. Weltkrieges: plötzlich werden sie in völlig sinnlose Kriegsspielchen verwickelt - denn was soll sich denn am Tanganjikasee so entscheidendes für den europäischen Krieg abspielen?
Und so schildert Capus ihren Versuch unter dieser Zwangssituation zu leben und später auch zu überleben, ebenso wie das Verhalten der gegnerischen Seite, die ein selbstverliebter Offizier anführt, der aber selbst auch rasch erkennt, wie unsinnig seine Situation ist...
Spannend ist die Geschichte schon allein wegen des menschlichen Verhaltens: wie kann man in solchen Zeiten agieren? Muss man eigene Überzeugungen über Bord werfen - aufgrund von Befehlen, die völlig sinnentleert sind?
Falsch wäre es, wenn Capus dem/der LeserIn hier mit dem erhobenen Zeigefinger kommen würde - was er auch niemals tut -, nein, er beobachtet und beschreibt ein paar der wichtigsten Fragen für den Menschen, indem er verschiedene Personen "begleitet".
Und das ist es letztendlich auch, was mir ausgezeichnet gefallen hat - hinzu kommt Capus´ Schreibstil und seine feine Art des Humors, ebenso wie der perfekt gewählte Rahmen der Geschichte: die Kolonialzeit und der schwarze Kontinent.
Fazit: Ein kluges Buch, das mich zum Lachen und zum Nachdenken gebracht hat; kurzum an das ich noch lange denken werde.
Liebe Grüße
dubh
PS. Wen ein kleines Bonbon interessiert:
GEO-Artikel zur heutigen "Liemba" (die damalige "Graf Götzen") mit Bildstrecke