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Gontscharow, Iwan - Oblomow




Gontscharow, Iwan - Oblomow

Beitragvon Krümel » 10.12.2008, 10:19

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Als ich diesen Klassiker für eine Leserunde eingerichtet habe, stellte ich direkt fest, dass er ganz streng komponiert ist. Vier Akte mit jeweils elf bis zwölf Kapiteln. Ich habe nun die einzelnen Kapitel nicht weiterverfolgt, aber ich könnte mir sogar denken, dass Gontscharow auch inhaltlich an diesem Konzept festgehalten hat. Diese straffe Komposition liest man auf jedem Fall sehr gut heraus.

Im ersten Teil werden uns Oblomow und weitere Figuren vorgestellt. Gontscharow beschreibt zunächst ihr Äußeres, woraus man ihr Inneres ableiten kann. Selbstverständlich wird unser Protagonist ganz ausführlich vorgestellt, selbst seine Träume und Wünsche bleiben uns nicht verborgen.
Oblomow ist ein Nachfahre des russischen Landadels, seine Vorfahren haben einen ernormen Reichtum angewirtschaftet. (In der Mitte des 19. Jh´s als die ersten landwirtschaftlichen Maschinen, die ersten Anzeichen für den kommenden Fortschritt kamen, und dieser Landadel dahinschmolz, da er in alten Traditionen festgefahren war (Leibeigenschaft) und mit der “neuen Welt” nicht mithalten konnte.) Oblomows Vater tappte schon leise in diese Krise hinein, und Oblomow selber musste sie voll ausbaden. Denn unser Protagonist ist durch seine adlige Geburt so träge, dass er sich noch nicht einmal selber ankleiden kann, das Wort Arbeit ist ihm völlig fremd, ein Alptraum gar, am liebsten würde er den ganzen Tag im Bett liegen, von der Poesie träumen, von schönen Landschaften ohne große Abwechselung, nur ein stetiges Dahinfließen, und über das Leben sinnen.
Sein bester Freund Stolz ist fast das genaue Gegenteil von Oblomow. Ihm macht es Spaß die Welt zu erkunden, zu lernen, zu arbeiten und sein Geld zu vermehren.

Als Stolz seinen alten Freund in Petersburg besucht, ist er erschrocken! Oblomow liegt des Nachmittags immer noch im Bett, er hat einen ollen Schlafrock an, die ganze Wohnung ist verstaubt und verkommen, angelesene Bücher liegen wahllos herum, begonnen und nie beendet, und sein Äußeres lässt schwer zu wünschen übrig.
Und damit beginnt dann der zweite Teil, dass Stolz seinen Freund wieder auf die Beine bringen möchte, und ihn einer Bekannten vorstellt, die sich ein wenig um ihn kümmern soll. Es entwickelt sich eine wahre Romanze zwischen Olgar und Oblomow, die reiner und zärtlicher gar nicht sein kann.

Das Buch beschreibt den Wechsel einer Epoche zur nächsten, das alte romantische Russland und die beginnende Moderne. Oder den Wechsel von Romantik zum Realismus. All die Probleme, die sich damit einstellen, werden erläutert. Darüber hinaus ist dieses Werk ein hoch philosophisches und tiefenpsychologisches Werk.
Der letzte Akt geht unter die Haut, Gontscharow schreibt nicht nur über seine Figuren, sondern er findet einen direkten Zugang zum Leser und versetzt ihn in Erstaunen und tiefes Erkennen. Selten bin ich so bereichert worden von einem Buch. Oblomow ist mir ein treuer Freund geworden, den ich bestimmt beizeiten wieder zur Hand nehmen werde.

Anmerkung zur Ausgabe:
So gerne ich die Manesse-Bücher lese, da sie durch ihre Qualität in Material und vom Inhalt her absolut überzeugen, dieses Mal bin ich sehr enttäuscht worden! Das zu bemängelnde Konzept erwartet man vom Reclam-Verlag, aber nicht von diesen Luxus-Ausgaben, denn ohne eine starke Lesebrille ist dieses Buch kaum zu entziffern. Achtung Lupengefahr! 100 bis 200 Seiten mehr wäre wirklich ratsam gewesen

Bewertung: :stern: :stern: :stern: :stern: :stern:
Schwierigkeitsgrad: leicht
BildLiebe Grüße,
Krümel



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von Anzeige » 10.12.2008, 10:19

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Beitragvon chip » 31.12.2008, 10:55

Die industrielle Revolution hat die Welt schneller drehen und die Menschen hektischer werden lassen. Und neben dem technischen Fortschritt will auch die Wissbegierde befriedigt sein. Die Gesellschaftsschichten ändern sich, auch begünstigt durch die baldige Abschaffung der Leibeigenschaft (= Bauern, die fremdes, adliges Ackerland unterhalten und sich für deren Nutzung Abgaben in Rechnung stellen lassen. Dem Adel bleibt nur die Sorge um die Verwaltung des Gutes , damit der Einnahmefluss nicht stockt). Oblomow ist als Sohn eines Adligen auf einem solchen Gut aufgewachsen und zur Bequemlichkeit, zum Müßiggang herangezogen worden. Entgegen seinem Willen wurden ihm Tätigkeiten untersagt, mit der Begründung, die Bediensteten seien dafür zuständig. Die Neugierde dieses Jungen wurde konsequent in geordnete Bahnen gelenkt, die Isolation insofern gefördert, als dass ihm der Umgang mit den Kindern aus der Nachbarschaft bzw. der unteren Bevölkerungsschicht untersagt wurde.

„Und der Knabe blieb traurig im Hause, verzärtelt wie eine exotische Blume im Treibhause; und ebenso wie die letztere unter ihrem Glasdache wuchs er langsam und matt heran. Die Kräfte, die sich gern dokumentiert hätten, wandten sich nach innen und beugten sich welkend nieder.“

Aus dem Schoße des Elternhauses entlassen, versucht er kurzzeitig sich dem dynamischen Treiben zu stellen, doch schnell fühlt er sich von der Umwelt überrannt. So hat er seinen Beruf gekündigt, sich bei gesellschaftlichen Anlässen immer häufiger abmelden lassen und findet oft und gerne im heimischen Bett die Geborgenheit und Ruhe vor dem überreizten Alltag. Schnell kommt so die Sinnfrage nach dem Leben auf, ob man sich der Hektik aussetzen soll oder ob man nicht besser beraten ist, sich am Spielfeldrand der Welt zustellen, um ihre Schönheit und die Oberflächlichkeit der lärmenden Zeitgenossen zu betrachten. Und wenn man sich für letzteres entscheidet, ob man das Urteil seiner Mitmenschen verkraften kann, die einen somit "zeitgemäß" als faul und lästig abstempeln?

„Wovon lassen sie sich im Leben leiten? Da liegen sie nun nicht still, sondern rennen tagtäglich umher, vorwärts und rückwärts, wie die Fliegen, ohne Sinn und Zweck! Man tritt in einen Salon und ist entzückt davon, wie symmetrisch die Gäste verteilt sind, wie friedlich und tiefsinnig sie dasitzen – bei den Karten. Das muss man sagen, eine herrliche Lebensaufgabe! Ein vorzügliches Vorbild für einen Geist, der nach Bewegung trachtet! Sind das etwa nicht Tote? Schlafen sie etwa nicht ihr ganzes Leben lang im Sitzen? Inwiefern bin ich mehr zu tadeln als sie, der ich bei mir zu Hause still liege und meinen Geist nicht mit Dreien und Buben infiziere.“

Während sein Kopf vor Ideen und Plänen schier überläuft, findet er nicht den nötigen Antrieb, sie auch tatsächlich zu verwirklichen. Die anerzogene und kultivierte Trägheit ist zur unüberwindbaren Gewohnheit geworden. Langeweile wird zu seinem ständigen Begleiter und trotz eigener Unzufriedenheit, lehnt er jede Veränderung ab. Bis er die Bekanntschaft mit einer Frau macht. Die Liebe bringt alles zustande, sie vermag ihm sogar aus seiner gewählten Apathie heraus zu helfen. Jedenfalls für kurze Zeit.

Der größte Teil des Buches wird von dieser dramatischen und hoffnungslosen Liebe bestritten. Wir erleben als Leser die innere Zerrissenheit des unglücklich Verliebten, ähnlich wie den inneren Gewissenskampf des Raskolnikow aus Dostojewskis „Schuld und Sühne“. Oblomow, der daran zweifelt, ob Olga, so der Name seiner Geliebten, ihn wirklich liebt - gerade ihn, einen trägen, überflüssigen Menschen. Seine Zweifel nagen an seiner Selbstsicherheit, er hadert mit sich und fragt sich unaufhörlich, ob er die vermeintlich zugehörigen Pflichten eines Liebhabers erfüllen, ob er überhaupt die Kraft zu lieben aufbringen kann. Regelmäßig gerät er in Konflikt mit seinen früheren Lebensgewohnheiten. Die tatendurstige Olga hingegen mobilisiert alle Kräfte, um ihren Liebhaber in ein positives Licht zu heben, ihn zu verändern, um aus ihm den Idealtypus eines Ehemannes zu schaffen.

Eine Liebesgeschichte also, könnte man denken, die Gontscharow uns hier erzählt. Seine kraftvollen, poetisch anmutenden Liebesbeschreibungen füllen den Hauptanteil, ebenso die einfließende psychologische Raffinesse in den Überlegungen seiner Figuren. Die Vermutung liegt nahe und sie alleine wären schon Grund genug, zu diesem Buch zu greifen. Doch Gontscharow zeigt außerdem durch den schrittweisen Verfall der Hauptfigur den Untergang des Adelsstandes, sowie den Auftrieb des Bürgertums, das durch den kühlen, zielstrebigen und berechenbaren Freund Stolz dargestellt wird. Die Effizienz der Leistung einfacher Bürger wird jetzt durch die Hilfe moderner Mittel und der Beschleunigung ihrer Handlungen erreicht, mit der sich die alte Generation nicht anfreunden will. Das menschliche Gewissen, das einfühlsame Herz wird in der modernen Welt wertlos, der Gewinn steht im Mittelpunkt.

"...Heutzutage trägt selbst ein Bedienter bessere Stiefel und wechselt täglich das Hemd. Es ist jetzt eine ganz andere Erziehung - alles fischen einem die Milchbärte weg; sie tun sich wichtig, lesen allerlei Bücher und sprechen französisch..."
"Aber von Arbeit verstehen sie nichts", fügte Tarantjew hinzu.
"Doch, Bruder; sie verstehen etwas davon, die Arbeit ist heutzutage von andrer Art als früher; ein jeder will sie vereinfachen; alles verderben sie uns: 'So darf man die Schriftstücke nicht abfassen; das kann man schneller erledigen...' Sie verderben uns alles!"


Es ist ein überwältigend anmutiges Buch über den Aufbruch in eine neue Epoche, geschrieben von einem der größten Realisten des 19. Jhs. Mit einer Hauptfigur, die so lebendig auf den Leser wirkt, dass man glauben könnte, sie würde sich jeden Augenblick aus der Seite schälen. Die psychologische Analyse gleicht dem Sezieren einer jeden Gehirnwindung, jede Einheit des Seelenlebens wird studiert und dokumentiert. Bislang dachte ich, das könnte nur Dostojewski … "Oblomow" - eine nachdrückliche Empfehlung zum Jahresende!

Gruß,
chip
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