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Irving, John - Garp und wie er die Welt sah




Irving, John - Garp und wie er die Welt sah

Beitragvon Krümel » 04.09.2006, 10:34

Aus der Amazon.de-Redaktion
"Garp war von Natur aus ein Geschichtenerzähler", sagt der Erzähler in John Irvings packendem Roman, und meint damit den Protagonisten des Buches, den Romanautor Garp, der mit Irving einiges gemeinsam hat. "Er konnte sich eine Sache nach der anderen ausdenken, und alles paßte irgendwie zusammen." In Irvings Klassiker (so bezeichnet in einer Ausgabe des amerikanischen Verlages Modern Edition und mit neuem Vorwort des Autors) gibt es viele verrückte Charaktere und grotesque Szenen, und dennoch ist jede Szene irgendwie realistisch und jede Person irgendwie lebendig. Zwar finden sich sicher viele Romanautoren aus Irvings Generation, die einen Roman mit einem Romanautor als Protagonisten besetzt haben, dessen Leben und Bücher sich sowohl gegenseitig als auch im vorliegenden Buch spiegeln. Transsexuelle Football-Spieler, Revolverhelden, die sich gegenseitig das Hirn rausschießen, mehrfacher Ehebruch, Bären auf Einrädern, wahnsinnige Feministinnen, die sich die Zunge aus Mitgefühl mit dem gefeierten Opfer einer scheußlichen Vergewaltigung abschneiden -- bei Irving jedoch werden sie alle zu Menschen. Selbst der Bär paßt ins Buch. In einer Schlüsselszene verführt Garps Frau gerade einen jungen Mann, als Garp seine jungen Söhne mit einem rücksichtslosen Autotrick erfreut (eine der wenigen Szenen, die auch in der Filmversion auf wunderschöne, unheimliche und herzzerbrechende Weise realisiert sind). Viele Autoren wären schon mit der Situationskomik zufrieden gewesen, doch bewahrt Irving die Ganzheit dieser Szene, indem der Rest des Buches darauf aufbaut.

Ich will es mal so sagen, im Groben und Ganzen bin ich fasziniert von diesem Buch. Am Anfang war ich richtig hin und weg vom Buch, eine solche Begeisterung beim Lesen empfindet man ganz selten. Das letzte Drittel, durch die immer wiederkehrenden eingefügten Erzählungen oder Romananfänge, und durch die grauenhaften Schicksalswendungen, haben dieses Lesevergnügen gemindert.
Es gibt ein Leitmotiv, welches sich durch den ganzen Roman erstreckt: Wirklichkeit/Wahrheit und Fiktion. Und so tauchen einzelne Motive im Buch immer wieder auf, werden als wirklich beschrieben, was der Leser als Wahrheit betätigt, oder in der Fiktion, wie es alles sein könnte, wenn … Auch autobiographischen Züge des Autors, das bin ich in Wirklichkeit, werden im Buch oft als, das bin ich aber nicht, hingestellt, weil die Wahrheit liegt immer irgendwo dazwischen. Und diese Wahrheit versucht Garp in seinem Leben, aber auch in seinen Erzählungen und Romanen zu finden und zu beschreiben.
Die Sprache es Autors hat mich am meisten bewegt, sehr humorvoll mit bittersüßem Beigeschmack oder erschreckende Horrorvorstellungen mit bittersüßen Humor.

John Irving hat mich überzeugt, seine Werke werde ich zukünftig alle lesen.


:stern: :stern: :stern: :stern: (:stern:)

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Beitragvon Pippilotta » 04.09.2006, 19:25

Das Buch war großartig! Von der ersten Seite an hat es mich in seinen Bann gezogen. Die skurrilen Personen, oftmals fast abartigen Neigungen, seine Gedanken über Gott und die Welt, gesellschaftskritische Seitenhiebe und Garps doch oft nicht nachvollziehbarer Lebenswandel haben mich gleichermaßen zum Lachen und zum Weinen gebracht. Die autobiografischen Züge waren schnell erkennbar aber ich hoffe für John Irving, dass er manches nicht selber erlebt hat.

Die Story, die so skurril und humorig beginnt, nimmt jäh und unerwartet eine furchtbare Wendung, ich war geschockt und sprachlos. :shock:

Dennoch hat mich das Ende versöhnt und auch ich bin absolut von John Irvings Erzählkunst überzeugt und beeindruckt (viele Elemente ziehen sich wie ein roter Faden durch die Geschichte, sind einmal positiv, dann wieder negativ besetzt) und auch ich werde mir nach und nach alle Irvings zu Gemüte führen!

PS: Ich glaube, es brauchte diese Schockszenen in der Mitte des Buches! Denn ansonsten wäre es doch langweilig geworden. Den Teil nach dem Schicksalsschlag habe ich aus einem ganz anderen Gesichtspunkt gelesen, Garp war nun nicht mehr der freie, unbelastete, "Ich-lebe-in-den-Tag-hinein-"-Typ, er ist sehr gereift!

:stern: :stern: :stern: :stern: :stern:
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Beitragvon Pippilotta » 03.01.2007, 19:40

Mittlerweile habe ich mir auch den Film angesehen.
Ich finde, es ist eine sehr gelungene Verfilmung des Stoffes. Natürlich wurden einige Handlungsstränge ausgelassen, manches auch geändert doch im großen und ganzen ist der Film ganz stimmig und eine wunderbare Ergänzung zum Buch.

Was mich zwar einigermaßen gestört hat ist, dass von Garps Seitensprüngen nichts erwähnt wird (nur andeutungsweise, aber ohne das Wissen vom Buch käme man nicht darauf), und seine Frau Helen als die große Ehebrecherin dasteht. Garp kommt im Film sympathischer, angenehmer und netter rüber als im Buch)


Glenn Close in der Rolle von Garps Mutter Jenny Field ist ganz, ganz großartig, mit Robin Williams als Garp hatte ich da schon meine Probleme. Rein theoretisch müsste man glauben, die Rolle des Garp ist ihm auf den Leib geschnitten, Robin Williams verkörpert eigentlich Tragik-Komik, Witz und Ernsthaftigkeit. Dennoch hatte ich (v.a. als junger Garp) ständig das Gefühl, er sei hier fehl am Platz. Mir fällt jetzt eigentlich aber auch kein passenderer Schauspieler ein.... :?: :?:

Alles in allem kann ich den Film sehr empfehlen, das Buch aber (natürlich) noch mehr. Mein Mann, der das Buch nicht gelesen hatte, schüttelte oft den Kopf und wusste mit manchen Szenen gar nichts anzufangen.
Also: Erst lesen, dann schauen!! :idea:

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