Aus der Amazon.de-Redaktion
"Garp war von Natur aus ein Geschichtenerzähler", sagt der Erzähler in John Irvings packendem Roman, und meint damit den Protagonisten des Buches, den Romanautor Garp, der mit Irving einiges gemeinsam hat. "Er konnte sich eine Sache nach der anderen ausdenken, und alles paßte irgendwie zusammen." In Irvings Klassiker (so bezeichnet in einer Ausgabe des amerikanischen Verlages Modern Edition und mit neuem Vorwort des Autors) gibt es viele verrückte Charaktere und grotesque Szenen, und dennoch ist jede Szene irgendwie realistisch und jede Person irgendwie lebendig. Zwar finden sich sicher viele Romanautoren aus Irvings Generation, die einen Roman mit einem Romanautor als Protagonisten besetzt haben, dessen Leben und Bücher sich sowohl gegenseitig als auch im vorliegenden Buch spiegeln. Transsexuelle Football-Spieler, Revolverhelden, die sich gegenseitig das Hirn rausschießen, mehrfacher Ehebruch, Bären auf Einrädern, wahnsinnige Feministinnen, die sich die Zunge aus Mitgefühl mit dem gefeierten Opfer einer scheußlichen Vergewaltigung abschneiden -- bei Irving jedoch werden sie alle zu Menschen. Selbst der Bär paßt ins Buch. In einer Schlüsselszene verführt Garps Frau gerade einen jungen Mann, als Garp seine jungen Söhne mit einem rücksichtslosen Autotrick erfreut (eine der wenigen Szenen, die auch in der Filmversion auf wunderschöne, unheimliche und herzzerbrechende Weise realisiert sind). Viele Autoren wären schon mit der Situationskomik zufrieden gewesen, doch bewahrt Irving die Ganzheit dieser Szene, indem der Rest des Buches darauf aufbaut.
Ich will es mal so sagen, im Groben und Ganzen bin ich fasziniert von diesem Buch. Am Anfang war ich richtig hin und weg vom Buch, eine solche Begeisterung beim Lesen empfindet man ganz selten. Das letzte Drittel, durch die immer wiederkehrenden eingefügten Erzählungen oder Romananfänge, und durch die grauenhaften Schicksalswendungen, haben dieses Lesevergnügen gemindert.
Es gibt ein Leitmotiv, welches sich durch den ganzen Roman erstreckt: Wirklichkeit/Wahrheit und Fiktion. Und so tauchen einzelne Motive im Buch immer wieder auf, werden als wirklich beschrieben, was der Leser als Wahrheit betätigt, oder in der Fiktion, wie es alles sein könnte, wenn … Auch autobiographischen Züge des Autors, das bin ich in Wirklichkeit, werden im Buch oft als, das bin ich aber nicht, hingestellt, weil die Wahrheit liegt immer irgendwo dazwischen. Und diese Wahrheit versucht Garp in seinem Leben, aber auch in seinen Erzählungen und Romanen zu finden und zu beschreiben.
Die Sprache es Autors hat mich am meisten bewegt, sehr humorvoll mit bittersüßem Beigeschmack oder erschreckende Horrorvorstellungen mit bittersüßen Humor.
John Irving hat mich überzeugt, seine Werke werde ich zukünftig alle lesen.
(:stern:)