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Tanazaki, Junichiro - Der Schlüssel




Tanazaki, Junichiro - Der Schlüssel

Beitragvon mombour » 29.08.2010, 14:42

„Der Schlüssel“

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„Der Schlüssel“ - das ist einerseits der Schlüssel, mit dem er die Schublade abschließt, in dem sich sein Tagebuch befindet und andererseits ist der Schlüssel das geheime Tagebuch, welches er vor seiner versteckt. Ein intimes Bekenntnis über sein Sexualleben. Seine inzwischen 45 jährige Frau ist in eine der ältesten Familien Kyotos hineingeboren und nach konfuzianischen Vorstellungen erzogen worden. So legt sie noch heute nach 20 jähriger Ehe großen Wert auf althergebrachte Moralvorstellungen, gibt dabei allerdings ein gekünsteltes Frauenbild vorgeblicher Sittsamkeit ab, scheinheilige Fraulichkeit, gespielte Vornehmheit (das behauptet zumindest ihr Mann in seinem Tagebuch) –, sodass ihr prüdes Sexualleben und Ehetreue wie eine Selbstlüge erscheint. Diese Ehe wurde von ihren Eltern in die Wege geleitet, so musste sie einen Mann lieben, der, wie sie sagt, erotisch nicht zu ihr passte. Tanizaki, ein Gegner erstarrter Moralvorstellungen, legt in diesem Roman sehr deutlich nah, was er von diesem Anachronismus hält. Nämlich nichts.

Der Universitätsprofessor pflegte ein gelangweiltes Sexualleben mit seiner prüden Frau, damals in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts als Sex noch ein Tabuthema war. Man redet nicht über Sex, man will es es aber traut sich nicht. Mit seiner Frau Ikuko konnte er über dieses Thema niemals reden. Ein Tagebuch ist der notgedrungende Ausweg, auf diesem Wege endlich von seinen intimen Wünschen sorglos alles preisgeben zu können, in der Hoffnung, niemand möge es lesen. Doch ganz im Stillen quillt der Wunsch, Ikuko möge den Schlüssel finden und in seinem Tagebuch stöbern. Das ganze wird auch umgedreht, denn auch Ikuko schreibt ein intimes Tagebuch, auch hier der geheime Wunsch, der sich in einer Befürchtung ausdrückt, ihr Mann könne ihr Tagebuch finden.

Weil ihm die Tagebücher offenbart werden, wird der Leser Zeuge von Intimitäten eines Ehepaares.
Spannung wird erzeugt, weil wir diese aus unterschiedlicher Perspektive der Betroffenen erzählt bekommen. Das Tagebuch birgt Überraschungen, nicht wegen pikanter Textstellen, nein, der Text ist ohne rote Ohrwascheln lesbar. Die Konsequenz, die sich aus dem Text ergibt, ist der Hammer. Ach, natürlich, wie in vielen Liebesromanen so auch in diesem, da macht der eine Partner, damit er den anderen an sich binden kann, eifersüchtig. Wohin das führt, ist eben hier nicht mehr trivial. Ein intelligentes Büchlein welches Neugier auf eine Konfuzius-Lektüre bereitet.

Liebe Grüße
mombour
Thomas Hardy: Herzen in Aufruhr
Fernando Pessoa: Buch der Unruhe
mombour
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von Anzeige » 29.08.2010, 14:42

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