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Tanazaki, Junichiro: Insel der Puppen




Tanazaki, Junichiro: Insel der Puppen

Beitragvon mombour » 20.06.2010, 09:04

Hallo,

mal was japanisches :regenbogen:

Junichiro Tanizaki: Insel der Puppen
(ein aktuelleres Amazonbildchen gibt es dazu nicht)

Ich habe kein Problem, "Insel der Puppen" in die Galerie großer Eheromane zu stellen. Dieser Roman vermittelt Zeitlosigkeit und wird immer lesbar bleiben und hoffentlich bei uns im Westen immer präsent bleiben, wobei mir schon graumelt, diese kostbaren 150 Seiten schon wieder in antiquarische Kisten zu sehen. Der Roman ist aus dem Japanischen ins Amerikanische übersetzt worden, Curt Meyer-Klason schenkte uns die deutsche Version. Wir wissen überhaupt nicht, wie der Roman in Japanisch auf uns wirken würde. Die deutsche Übersetzung finde ich großartig. Ich kann diese Sprache nur als zart und voll von Grazie bezeichnen, so zart wir Kirschblüten (oder sind Kirschblüten in Bezug auf Japan auch nur ein Klischee?). Trotz dieser sprachlichen Anmut ist der Roman keineswegs versüßlicht. Ich kann mir vorstellen, die deutsche Übersetzung könnte wirklich in etwa die Athmosphäre vermitteln wie das japanische Original.

Der Beginn des Romans schon famos. Kaname und Misako ist unfähig Entscheidungen zu treffen wie dann auch in Sachen der Scheidung.
Tanazaki hat geschrieben:Vorsichtig ihrem Blick ausweichend, sah er sie an. Genaugenommen musterte er nur ihre Kleidung und bemühte sich, darin eine Absicht zu erraten, die ihm seinen Entschluß zu erleichtern ermochte.


Hier wird uns schon die Entfremdung zwischen Kaname und Misako, mustert man doch nicht nur die Kleidung einer Frau, sondern das erotische dabei ist, dass der Betrachter ahnen möchte, was unter der Kleidung ist. Aber diese Erotik ist dem Ehepaar schon längst verpflogen, eine körperliche Anziehung gibt es nicht mehr. Darum schreibt Tanizaki auf der ersten Buchseite so völlig unerotisierend und leitet auf diese Weise in das Thema des Romans ein. Gerade diese Verhaltensweisen, die kleinen Gesten wie im Zitat, haben ihren besonderen Reiz.

Tanizaki thematisiert in seinen Romanen den Kontrast zwischen Tradition und Moderne. Die Unfähigkeit in Sachen der Ehescheidung eine Entscheidung zu treffen, liegt eben in der alten Tradition, die Misakos Vater verkörpert. Befürchtungen liegen klar auf der Hand. Wie wird der Vater reagieren? Der Vater könnte sich wegen der öffentlichen Meinung dazu gezwungen sehen, seine Tochter zu verleugnen, wenn eine Scheidung public würde. So lebt das Ehepaar zum äußeren Schein des Wohlgefallens zusammen und lässt sich nichts anmerken, dass die Ehe eigentlich schon längst ausgelebt ist. Kanane ist derjenige, der besonders im Zwiespalt zwischen Tradition und Moderne steht. Er möchte Traditionen brechen, bringt dieses aber nicht fertig. So weist er desöfteren auf den westlichen Lebenswandel hin, wo die Scheidungsrate sehr hoch ist (wohl gemerkt, der Roman entstand 1929) und kritisiert die Edoepoche, jenem Zeitabschnitt von zweieinhalb Jahrhunderten vor der Restauration von 1868“, der Epoche, in der Shogune (Militärdiktatoren) herrschten.
Tanizaki hat geschrieben:Die Edokultur war geprägt von Derbheit der Kaufmannsschicht, und wohin man auch sah, überall begegnete man dem Dunst des Marktplatzes...die bloße Tatsache, dass er ein Kind der Handelswelt war, ließ ihn ihre Unzulänglichkeiten, ihre Vulgarität und ihre überwiegende Besitzgier besonders deutlich empfinden. Seine Antwort darauf war sein Streben nach dem Erhabenen und Vergeistigten...


Beim weiblichen Geschlecht suchte er wie auch in der Kunst nach dem Göttlichen. Auch wenn er es nirgendwo fand, steigerte sich gerade deswegen seine Sehnsucht danach.

Tanizaki hat geschrieben:Kaname überkam eine schmerzliche Empfindung von Einsamkeit und Armut, wenn er an das Gefühlsleben des Japaners dachte, dem gerade das Bedürfnis nach Verehrung fehlt.


Herrlich finde ich Kananes Ausflüchte und Ausreden, wie er das Problem vor sich hinschiebt, seinem Sohn vom Vorhaben der Trennung zu erzählen. Hier wird das Tragische mit dem Komischen vereint.

Der Roman ist absolut lesenswert und wir erfahren so einiges von der Tradition des japanischen Puppentheaters (Bunraku).

:stern: :stern: :stern: :stern: :stern:

LIebe Grüße
mombour
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von Anzeige » 20.06.2010, 09:04

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