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Tolstoi, Leo N. - Hadschi Murat




Tolstoi, Leo N. - Hadschi Murat

Beitragvon mombour » 20.11.2010, 12:17

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Leo N. Tolstois Erzählung „Hadschi Murat“ beruht zum großen Teil auf wahre Begebenheiten.

Tolstoi hat geschrieben:Und ich erinnere mich einer alten Geschichte aus dem Kaukasus, die ich teils selbst erlebt, teils von Augenzeugen gehört und teilweise in meiner Phantasie ausgesponnen habe.

Historischer Hintergrund

Imam Schamil (1797- 1871) baute in den kaukasischen Bergen einen islamisch geprägten theokratischen Staat auf. In den Muridenkriegen (1834-1859) leisteten die Bergvölker des Kaukasus heftigen Widerstand gegenüber die Kolonialziele Russlands. Die Theokratie Schamils beinhaltete auch, dass die Gesetze der Scharia galten. Die Völker des Kaukasus sahen in dem Islam eine wirksame Waffe gegen Russland, sodass die kriegerischen Auseinandersetzungen u.a. auch religiös motiviert waren, auch damals im neunzehnten Jahrhundert im Kaukasus der Begriff des Dschihad gefallen ist, dieser Begriff offenbar damals schon sinnentfremdet als „Heiliger Krieg“ benutzt worden war.

Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, wenn Imam Schamil vor wichtigen erst mal die Augen schloß und verstummte.

Tolstoi hat geschrieben:Die Räte wußten, was das bedeutete; er vernahm die Stimme des Propheten, der ihm offenbarte, was zu tun sei.


Auf russischer Seite fällt im Krieg ein junger Mann. Von einem Regimentsschreiber erhält der Vater einen Brief, darin geschrieben, „daß Peter für seinen Kaiser, sein Vaterland und den rechten christlichen Glauben gefallen sei.“

In Tolstois Erzählung stoßen wir auf die Problematik, dass sich Religion in die Politik einmischt. Das hat der Menschheitsgeschichte noch nie was gutes eingebracht. Als Karl der Große gegen die Sachsen loszog, musste er sich auch eingebildet haben, er habe einen, bzw. den rechten Glauben, sonst wäre er nicht so brutal Gegen die Sachsen hergezogen, denn u.a. oder vor allem war dieser Krieg dazu bestimmt, den germanischen Götterglauben auszumerzen, Widukind schließlich, sich um des Friedenswillen habe taufen lassen müssen. Das war ein Kreuzzugsgemetzel vor den Kreuzzügen. Und Peter, von dem gerade die Rede war, gefallen im Kaukasuskrieg, hatte keine Kinder.

Tolstoi hat geschrieben:Ich bin freiwillig für meinen Bruder gegangen...Der hat fünf kleine Kinder, und ich hatte gerade geheiratet
.

Für den Expansionswahnsinn eines Landes ist er unsinnig gestorben. Tolstoi beleuchtet den Krieg aus verschiedenen Blickwinkeln, so ist der Wahnsinn genauso groß, wenn die Toten eines Krieges verdrängt werden.
Tolstoi hat geschrieben:Der Krieg bestand in seinen Augen nur darin, daß er sich der Gefahr, dem möglichen Tod aussetzte, dafür belohnt wurde und die Achtung seiner Kameraden und seiner Freunde in Rußland genoß.


Auch wenn Hadschi Murat, der Stellvertreter Schamils, der sich mit dem Theokraten in einer Blutfehde befand, seine unter Gefangenschaft gehaltene Familie aus den Händen des Imam befreien wollte, dieser Hadschi Murat, der sich schon in vielen Schlachten als Kriegsheld bewährt hatte, wird nicht, und das ist das Entscheidene, nicht als Kriegsheld verklärt. Dass er einmal „sechsundzwanzig Kriegsgefangene hatte niedermachen lassen“ wird damit entschuldigt, es sei ja Krieg. Tolstoi zitiert bewusst das französische Sprichwort

à la guerre comme à la guerre - Im Krieg ist es einmal nicht anders

und unterstreicht damit die Banalität, wie regelrechter Mord im Krieg gerechtfertigt wird, auf diese Weise Hadschi Murats Heldentum einen deftigen Knacks bekommt. Tolstoi hinterfragt die Auswüchse des Krieges und landet beim Wahnsinn, darum ich diese Erzählung besonders zu schätzen weiß.

Tolstoi hat Sympathie für die kaukasischen Bergvölker und lässt russische Fürsten und militärische Befehlshaber vergreist, dumm, abgenutzt oder auch Intrigant auftreten. So lesen wir von einem dummen georgischen Fürsten, der meint, wenn Hadschi Murat „in Europa geboren wäre, so hätte er ein Napoleon werden können.“ Dieser Dummheit, die von einem westlichen Überlegenheitsgefühl herrührt, wird noch eins drauf gesetzt. Leo N. Tolstoi zeichnet in dieser späten Erzählung den Hauptverantwortlichen der kaukasischen Auseinandersetzung, den Zaren Nikolaus I., als einen politischen Menschen, der aus üblen Launen heraus wichtige politische Entscheidungen fällt und in ehebrecherischer Weise Frauen verführt, um sein Unrecht zu lindern, sich damit beruhigte, „was für ein großer Mann er sei.“

Die Tschetschenischen Kriege unter Boris Jelzin und Wladimir Putin waren genauso brutal wie der Krieg damals unter dem Zaren. Besonders leiden musste, wie auch in anderen Kriegen, die Zivilbevölkerung. Der kaukasische Aul, in dem sich Hadschi Murat versteckt hielt, bevor er zu den Russen überlief, wurde von den Zarentruppen zermalmt.

Tolstoi hat geschrieben:Die würdige Frau, die Hadschi Murat bei seinem Besuch bedient hatte, stand jetzt mit aufgelöstem Haar, in zerrissenem Hemd, das ihre alten herabhängenden Brüste sehen ließ, über die Leiche ihres Sohnes gebeugt, zerkratzte ihr Gesicht und heulte ununterbrochen.


Ich assoziiere die Beweinung Christi am Grabe, unterm Kreuz. Was für eine Assoziation auf moslemischem Territorium.

Weiterführende Literatur:

Anna Politkowskaja : Die Wahrheit über den Krieg
Manfred Quiring : Pulverfass Kaukasus
Karl Seeger: Imam Schamil – Prophet und Feldherr, 1937

LIebe Grüße
mombour
Thomas Hardy: Herzen in Aufruhr
Fernando Pessoa: Buch der Unruhe
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von Anzeige » 20.11.2010, 12:17

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Re: Tolstoi, Leo N. - Hadschi Murat

Beitragvon Krümel » 20.11.2010, 13:45

Ich lese erst deinen Beitrag nach meiner Lektüre ... *freu*
BildLiebe Grüße,
Krümel



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Re: Tolstoi, Leo N. - Hadschi Murat

Beitragvon Megi » 01.03.2011, 15:32

[quote="Krümel"][size=85]Ich lese erst deinen Beitrag nach meiner Lektüre ... *freu*[/size][/quote]
olstoi hat Sympathie für die kaukasischen Bergvölker und lässt russische Fürsten und militärische Befehlshaber vergreist, dumm, abgenutzt oder auch Intrigant auftreten. So lesen wir von einem dummen georgischen Fürsten, der meint, wenn Hadschi Murat „in Europa geboren wäre, so hätte er ein Napoleon werden können.“

könnte Ihre Höheit der Name von Dummen georgischen Fürsten nennen? Villeicht finden wir es gar nicht Dumm... russiche Brillle ist bisschen Schmutzig!
Megi
 



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