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Waugh, Evelyn - Scoop (Der Knüller)




Waugh, Evelyn - Scoop (Der Knüller)

Beitragvon marilu » 23.05.2009, 21:04

1938 veröffentlichte Evelyn Waugh seinen Journalistenroman "Scoop" - eine bitterböse Persiflage des Nachrichtensektors.

Der Romanautor John Boot bittet seine Gönnerin Julia Stitch am Anfang des Romans, ihre Beziehungen spielen zu lassen, so dass er als Kriegskorrespondenten bei einer Zeitung unterkommt, um so einer anspruchsvollen Amerikanerin zu entgehen. Durch eine Verkettung unglücklicher Umstände und lückenhafter Kommunikation wird statt seiner jedoch sein entfernter Cousin Walter Boot nach Ishmaelia gesendet. William, ein eigenbrödlerischer und naiver Kolumnist, der in seinem Heim im britischen Hinterland vollauf zufrieden ist und sich keine größere Freude als die Betrachtung der lokalen Flora und Fauna vorstellen kann, wird in einen Wirbel von Eitelkeiten, Betrügereien und fremde Sitten geschmissen. Niemand weiß genau, um was es in dem ishmaelischen Konflikt eigentlich geht, doch alle Zeitungen und Agenturen sind überzeugt davon, dass in diesem kleinen afrikanischen Staat bald Weltgeschichte geschrieben wird. Der Druck der auf den Korrespondenten lastet, geht auch an William nicht vorbei. Doch seine Weltfremdheit lässt ihn erstaunlich ruhig. Auf kurz gefasste Telegramme mit Fragen nach den aktuellen Entwicklungen antwortet er wortreich, dass sich nichts ereignet, aber das Wetter beständig besser wird.

Immer mehr Korrespondenten erscheinen in Ishmaelia und niemand bekommt etwas von Spannungen, geschweige denn Kriegsvorbereitungen mit. Alle sitzen herum, warten auf eine Zuspitzung der Lage und somit auf ihre Spitzenstory. Als diese nicht kommen will, erfindet einer der Journalisten ein ministeriales Treffen an einem Ort, der gar nicht existiert und alle spielen das Spiel mit - alle bis auf William. Der Kampf um das erste Fahrzeug, das sich auf den Weg zum Geschehen macht, ersetzt die Langeweile und misstrauische Atmosphäre des Wartens. Zeit ist Geld ist Nachricht und so geht der Kampf um die Schlagzeilen in eine neue Runde.

Alle verlassen die Hauptstadt des Landes, nur William weigert sich zu folgen, weil er die ganze Chose absurd findet. Diese Entscheidung erweist sich für sein Leben und die Nachrichtenwelt als schicksalsträchtig!


Dieser Roman hat mehr als nur einen Hauch Slapstick zu bieten, doch brilliert durch Spannung, Witz und Geschwindigkeit. Ich habe lange schon nicht mehr so viel beim Lesen geschmunzelt - dass der Spaß auf einer eigentlich unmoralischen Berufseinstellung beruht, wirkt zusätzlich beschwingend. Obwohl Waugh auf direkte Kritik an dem sehr fragwürdigen Ethos verzichtet, beschreibt er viele verschiedene Aspekte ins Kleinste und lässt den Leser selbst urteilen. Zwischen den Zeilen stellt sich immer wieder die Frage, wer den Medien erlaubt, die Weltauffassung der Leser so stark zu beeinflussen, dass sie allmächtig entscheiden, was in der Welt vor sich geht - unabhängig davon, ob es sich um Tatsachen handelt oder nicht.

Alles in allem einer meiner Mai-Höhepunkte! :thumleft:
Leichtfüßig, elegant und sehr charmant gelingt es Waugh eine runde Geschichte zu erzählen und dabei sicher auch eigene Erfahrungen seines Journalistenlebens in Äthiopien zu verarbeiten. Locker-flockige Unterhaltung mit ernstem Hintergrund!

:stern: :stern: :stern: :stern: :stern:

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