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Coetzee, J.M. - Warten auf die Barbaren




Coetzee, J.M. - Warten auf die Barbaren

Beitragvon mombour » 17.07.2010, 19:12

Hallo,

"Warten auf die Barbaren"

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J.M. Coetzee, Literaturnobelpreisträger des Jahres 2003, schrieb diesen Roman schon 1980. Die deutsche Erstausgabe von 1984 blieb ziemlich unbeachtet. Warum, das weiß ich nichts. Auf jedenfall ist „Warten auf die Barbaren“ ein ganz großartiger Roman, der den dunklen Seiten, dem bösen Tier im Menschen, auf die Spur kommen will.

Erzählt wird von einem Grenzbereich eines unbestimmten Reiches, in das Barbaren einfallen, das Land berauben und verwüsten. In einem Ort in diesem Bezirk gibt es einen Magistraten, der die Funktion eines Bürgermeisters und Richters hat.

Die Ruhe in dem Ort findet ein Ende, als General Joll von der Geheimpolizei eintrifft, um gegen die Barbaren vorzugehen. Da Coetzee Südafrikaner ist und auch von Notstandsgesetzen erzählt wird, können wir davon ausgehen, der Autor beschreibe Ereignisse, die auf eine bestimmte Zeit in der Ära des Arpartheidsregimes in Südafrika anspielen.

Die böse Macht ist der Geheimdienst, der unschuldige Menschen willkürlich verhaftet und foltert. Sie benehmen sich wie wilde Tiere, die auch das Land verwüsten, das Schilfgras abroden, um die Barbaren leichter aufzuspüren. Das böse Tier ist aber auch im Magistraten selber, der zu schwach ist, sich für eine gerechte Behandlung der gefangengenommenen Barbaren einzusetzen. Im entscheidenen Moment bringt er kein Wort aus der Kehle und wird selber gefoltert. Das böse Tier ist auch in der Masse. Ein Kind wird in die Höhe gehoben, damit es über den Köpfen anderer hinweg die Folterungen sehen kann, ein Mädchen darf sogar selber zuschlagen.

In der Zwickmühle ist tatsächlich der Magistrat, dessen Name unbekannt bleibt. Es wär ihm am liebsten, er würde das alles gar nicht mehr mitmachen müssen. Er wünscht sich einen ruhigen Dienst so kurz vor der Rente, kann aber die Gewalt gegen die sog. Barbaren nicht verhindern.

An der Figur des Magistraten zeigt J.M. Coetzee in erschütternder Weise, wie schnell der Mensch durch Folter und Schmerzen gebrochen werden kann, alle Menschlichkeit gebrochen, wie ein Hund vegetiert, der in irgendeinem Winkel vielleicht bedeutungslos zu Tode kommt. Coetzee findet Worte, die unter meine Haut gehen, die erschüttern vor der grausamen Brutalität der Kolonialherren.

Der Roman wird gerne mit Kafkas "Proceß" verglichen. Bei Kafka gehe es um die Schuld und K. verhält sich immer falsch, und hier, der Magistrat: "Ich wollte nie mehr als ein ruhiges Leben in ruhigen Zeiten."

Um euch noch auf den Geschmack zu bringen, ein Zitat, was mich u.a. auch sehr beeindruckt hat:


Coetzee hat geschrieben:Ich starre den ganzen Tag lang die leeren Wände an, weil ich nicht glauben kann, dass die Spuren der in diesen Mauern zugefügten Schmerzen und Demütigungen sich unter einem Blick, der eindringlich genug ist, nicht offenbaren werden; oder ich schließe die Augen und versuche, mein Gehör zu schärfen für die unendlich leisen Töne, die von den Schreien aller, die hier gelitten haben, stammen müssen und noch von Wand zu Wand wiederhallen. Ich bete, dass der Tag kommt, an dem diese Mauern eingerissen werden und die ruhelosen Echos schließlich entweichen können; obwohl es schwer ist, das Geräusch von Ziegel zu Ziegel beim Mauern ganz in der Nähe zu ignorieren.


:stern: :stern: :stern: :stern: :stern:

Liebe Grüße
mombour
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von Anzeige » 17.07.2010, 19:12

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Re: Coetzee, J.M. - Warten auf die Barbaren

Beitragvon Pippilotta » 17.07.2010, 20:29

Jaaaaa! Danke! "Warten auf die Barbaren" liegt auf meinem SUB und soll mein nächster Coetzee werden! Ich habe ja bisher - neben den eben beendeten "Jungen Jahren" nur "Schande" gelesen, und das ist - wie ich gerade feststellte - bereits 5 Jahre her. Jedenfalls erwarte ich mir von den "Barbaren" sehr viel ... und durch Deine Rezi bin ich mir sicher, dass es meinen Erwartungen entsprechen wird! Danke!
Herzliche Grüße
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Re: Coetzee, J.M. - Warten auf die Barbaren

Beitragvon Susannah » 17.07.2010, 21:25

Pippilotta hat geschrieben: Jedenfalls erwarte ich mir von den "Barbaren" sehr viel ... und durch Deine Rezi bin ich mir sicher, dass es meinen Erwartungen entsprechen wird! Danke!


Auf jeden Fall. Ich habe die "Barbaren" letztes Jahr gelesen und fand es großartig. Leider habe ich sonst (noch) nichts von Coetzee, aber dieses Buch hat mich wirklich nachhaltig beeindruckt. Großes Kino!!
Nichts ist schöner und nichts erfordert mehr Charakter als sich in offenem Gegensatz zu seiner Zeit zu befinden und laut zu sagen: Nein!
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