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Eça de Queiroz, José Maria - Das Verbrechen des Paters Amaro




Eça de Queiroz, José Maria - Das Verbrechen des Paters Amaro

Beitragvon chip » 24.04.2009, 11:57

Von seinem Vormund begünstigt, erhält der Pater Amaro eine Stelle in Leiria. Er wird in einer frommen Pension untergebracht, wo er Bekanntschaft mit der Witwe Joaneira und ihrer schönen Tochter Amélia macht. Die Pension ist allabendlicher Treffpunkt der ortsansässigen Pfarrer der Region. Es dauert nicht lange, bis Amaro sich verliebt, was sich durch sein Amt als Pfarrer als Problem entpuppt.

War es auszudenken, dass das Blut eines starken jungen Mannes zu Eis erstarren sollte, nur weil ein alter Bischof sagt: „Du sollst keusch sein!“ Und dass ein lateinisches Wort – accedo - das ein eingeschüchterter Seminarist zitternd herausstößt, genügen sollte, um in ihm für immer die furchtbaren Stürme des Blutes zu beschwichtigen? Ja, wer hat denn dies alles ausgeheckt? Ein Konzil altersschwacher, abgelebter Bischöfe, die aus den Tiefen ihrer Klöster stiegen, aus dem Frieden ihrer Schulen … wie Pergament ausgetrocknet … unfruchtbar wie Eunuchen!

Heimlich verflucht er sein Amt, doch schafft er es nach und nach, aus ihm seinen Profit zu schlagen. Seine naiv-fromme Gemeinde lässt sich wie Wachs in seinen Händen bearbeiten. Kleine erfundene Märchen über Gottes Zorn helfen ihm, die Gemeinde nach seinen Gunsten zu lenken und gelegentlich seine Kasse zu füllen. Die Beichtgeheimnisse werden zum Werkzeug, seine heilige Aura wird zum Abwehrschild, keine seiner Handlungen wird hinterfragt. Ihm gelingt es, seine Begierde zu stillen, seinem schwachen Fleisch nachzugeben, versteckt im alten Glöcknerhaus. Er entwickelt sich zum Despoten, der keinen Widerspruch gewöhnt ist. Und sie bemüht sich als gute Katholikin.

Der gute Katholik, wie dein Mädchen auch, gehört sich nicht selbst an; er hat keine eigene Vernunft, keine eigenen Neigungen, keine Willensfreiheit, kein eigenes Empfinden; sein Seelsorger denkt, will, entscheidet, fühlt für ihn.

Doch das Weib kooperiert nicht zu seiner Zufriedenheit. Sie wird von Alpträumen heimgesucht, ihre Gewissheit, eine Sünde zu begehen, macht die Zweisamkeit zur Folter. Immer wieder muss er sich neue Geschichten ausdenken, um sie zu beruhigen: über die Reinheit der Seele, über Gottes Entzückung, einem Pfarrer gefügig zu sein. Längst geht es nicht mehr um die Erwiderung einer Liebe, sondern nur noch um die Befriedigung seiner unersättlichen Gelüste.

Queiroz schrieb seinerzeit drei Fassungen dieses Buches, die völlig unterschiedlich aufgebaut waren und demnach anders enden. Doch ganz gleich welche Fassung man liest, am Ende wird auch der unsensibelste Leser feststellen, dass Amaro es faustdick hinter den Ohren hat. Ein Mann, der über Leichen geht – nicht rein sprichwörtlich zu verstehen. Sie verhalfen Queiroz zu einem handfesten Skandal, weil er die portugiesische Frömmigkeit derart an den Pranger stellte. Die lauernde Nachrede auf den Straßen, sobald man eine Messe versäumt oder sich eigensinnig verhält, sowie die Kritik an den diktierenden Klerus, wird im Buch von seinen Gegnern sehr detailliert veranschaulicht. Auch die erotische Komponente, die sehr ausgeprägt vorhanden ist, trägt sicherlich ihren Teil bei. So stellt Amaro sich die Jungfrau Maria an der Wand nackt vor, während er einsam im Bett liegt. Überhaupt ist das Buch sehr sinnlich geschrieben worden, die Lust Amaros wurde sehr realitätsnah wiedergegeben. Daneben kann man den religiösen Eifer der Gesellschaft miterleben, deren Sünden im Beichtstuhl für heutige Verhältnisse eher zum Lachen animieren. Nach der Lektüre kann man die ungeheure Macht des Katholizismus in etwa nachvollziehen.
Ein geniales Buch über ein entscheidendes Kapitel der Vergangenheit unseres Kontinents.

Worin besteht denn die Erziehung eines Priesters? Erstens: man bereitet ihn auf die Ehelosigkeit und ein keusches Leben vor – das heißt auf die gewaltsame Unterdrückung der natürlichen Gefühle. Zweitens: man hält ihm jedes Wissen von ihm fern, das den katholischen Glauben in ihm erschüttern könnte – das heißt, man erstickt absichtlich in ihm den Forschertrieb und den kritischen Sinn, schließt ihn also von jeder realen und allgemeinmenschlichen Wissenschaft aus …
:stern: :stern: :stern: :stern: :stern:

Gruß,
chip
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von Anzeige » 24.04.2009, 11:57

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Beitragvon wolves » 24.04.2009, 14:48

@chip: Danke für deine Rezi. Das klingt sehr interessant, mich wundert es überhaupt nicht, dass das Buch 1875 einen Skandal ausgelöst hatte. :wink: Wie ich sehe, ist das Buch "nur" noch gebraucht erhältlich. Hier noch ein Link zu Amazon:

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Liebe Grüße
wolves


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