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Eliot, George - Middlemarch




Eliot, George - Middlemarch

Beitragvon chip » 24.02.2008, 07:54

George Eliot – Middlemarch

Middlemarch stellt hier eine fiktive englische Provinzstadt dar. Dort können wir einer Handvoll Menschen während seinen Handlungen und Überlegungen über die Schulter schauen – an deren Leben teilhaben. Eliot berücksichtigt bei der Auswahl ihrer Figuren alle sozialen Schichten und Altersklassen. Der entscheidende Punkt jedoch ist für mich Eliots Verweigerung, überzeichnete Figuren auftreten zu lassen, Effekthascherei durch überzogene Handlungen zu erzielen. Das Buch hält uns das doch recht langweilige Leben vor Augen, in all seinen Facetten.

Sie führt uns die allzu menschlichen Reaktionen vor, ihre Schwächen, die typischen Denkmuster, die sich seit 200 Jahren nicht geändert haben. Sie zeigt, wie Missverständnisse und Gerüchte entstehen, wie Ängste und Stolz einschränken und wie Übermut von Mitmenschen aufgefasst wird. Eliot hat die Gesellschaftsstudie schlechthin vorgelegt. Immer wieder werden Überlegungen und Entscheidungen ihrer Figuren durch moralische Definitionen der Autorin ergänzt, die Aphorismen gleichkommen. Sie erklärt uns, wieso der Mensch eben so handelt, wieso das Nahliegende nicht immer das Rechte ist.

Mehrere Handlungsstränge laufen nebeneinander her, verknüpfen sich später unscheinbar gegen Ende des Buches, wo es nicht an Dramatik fehlen wird. Missglückte Eheschließungen, ehrgeizige Wissenschaftler, engagierte Politiker, gutherzige Landwirte … alle sind sie hier vertreten, zusätzlich von Außenstehenden begutachtet und kommentiert. Ein gelungenes Panorama einer vergangenen Epoche, ein historisches Abbild ihrer Zeit.

Gruß,
chip

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chip
 

von Anzeige » 24.02.2008, 07:54

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Beitragvon marilu » 24.02.2008, 08:50

Danke chip, für diese Rezension! "Middlemarch" steht schon länger auf meiner Wunschliste und die Lektüre von "Riven Rock" (T. C. Boyle) hat es auf einen der vorderen Plätze katapultiert. Es wird darin nämlich erwähnt. Allerdings habe ich mir vorgenommen, es erst zu kaufen, wenn ich "North and South" (E. Gaskell) gelesen habe und somit vom SUB streichen konnte.

Was du jedoch dazu schreibst, legt meinen Lesplan neu fest: bald "North and South" und dann ein paar Monate später "Middlemarch"! Danke für die Erinnerung.
Scharfsinnig bin ich von Montag bis Freitag. Übers Wochenende leiste ich mir den Luxus der Dummheit.
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Beitragvon Katia » 24.02.2008, 10:13

Ich habe eine englische Ausgabe von Middlemarch. Mit Anfang 20 habe ich angefangen zu lesen und nach 250 aufgegeben - es war einfach sprachlich zu anstrengend für mich.
Aber es spukt in meinem Hinterkopf immer noch herum, wegen der Dicke habe ich mich nur immer noch nicht rangetraut.
Vielleicht nächstes Jahr auf die SUB-Liste stecken? Oder mit Marilu zusammen lesen?
Da "Riven Rock" auf meine SUB liegt und bald gelesen wird (meinem Wichtel hier nochmal zuwinkend), bekomme ich vielleicht noch etwas Antrieb.

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Beitragvon marilu » 24.02.2008, 10:39

@Katia: momentan möchte ich mich zwar zeitlich nicht festlegen, aber vielleicht ergibt sich eine Gelegenheit für eine gemeinsame Leserunde. Bis dahin wünsche ich dir aber erstmal Lesevergnügen mit "Riven Rock".
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Re: Eliot, George - Middlemarch

Beitragvon Krümel » 16.11.2011, 10:56

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Ein ermüdendes Gesellschaft.- und Sittenprotrait der Provinz im Viktorianischen England!

Über 1200 Seiten umfasst dieser meiner Meinung nach „historische Schinken“, der aus der Feder einer Frau entsprang – Mary Ann Evans – jedoch unter dem o.g. männlichen Pseudonym bekannt wurde. Der Roman umspannt vorwiegend das Thema Liebe, aber auch Standesdünkel, Politik und Gesellschaft, sowie Kunst und Religion. Drei Liebesverhältnisse tragen die Handlung, wobei Dorothea Brooke im Mittelpunkt steht.

Diese schöne junge Dame ist moralisierend wie eine Heilige, doch tief im Herzen lodert eine große Leidenschaft in ihr. Sie schwärmt für den Geistlichen Casaubon, der ihr Vater sein könnte und ein großes historisches Werk in Arbeit hat. Die Protagonistin verliebt sich in ein Bild, der dienenden Gattin, die ihren Mann zur Seite steht und mit ihm gemeinsam sein Lebenswerk vollbringen möchte. Also ihr Sein völlig aufopfert für sein Wohl.
Doch schon auf der Hochzeitsreise muss die junge Dame erkennen, dass ihr Gatte ihre bereitwillige Selbstaufgabe missversteht und ablehnt. Auch dass sein historisches Werk schon längst überholt ist, da er sich selbstüberschätzend Innovationen verwehrt.

>>Ich wenigstens habe viel damit zu tun, gewisse menschliche Schicksale zu verwirren und herauszufinden, wie sie gewoben und miteinander verwoben sind, so daß alles mir zu Verfügung stehende Licht auf dieses besondere Gewebe konzentriert werden muß über jene verlockende Reihe wichtiger Einzelheiten, das Universum genannt, zerstreut werden darf.<<

Dr. Lygate heiratet unterdessen die wunderschöne Rossamond, die mehr seiner adeligen Abstammung anhimmelt als seiner Berufung, der Medizin.
Und so tut sich um den Ort „Middlemarch“ ein gesellschaftliches Leben auf mit tiefen Charakterdarstellungen, Einblicke in die damalige politische Lage, das Leben in der Provinz zum Stadtleben. Alles in Allem trägt dieser Roman die Anlage eine fesselnde Lektüre zu sein, wenn nicht diese Protagonistin eine Heilige verkörpern würde.

Sie erzählt mit erhobenem Finger wie eine Moralapostelin, ihr Ton ist anklagend, drohend und belehrend, und das ermüdet. Ferner sind die Figuren im Roman entweder Schwarz oder Weiß und bleiben es auch. Grautöne gibt es nicht. Überraschende Wendungen sucht man vergebens, die Handlung ist immer voraussehbar!

Bewertung: :stern: :stern: :stern: / :stern:
BildLiebe Grüße,
Krümel



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