Krümels-Bücherwelt ...

... ein Literaturforum der anderen Art

Hardy, Thomas - Am grünen Rand der Welt




Hardy, Thomas - Am grünen Rand der Welt

Beitragvon mombour » 23.01.2013, 15:13

Thomas Hardy: Am grünen Rand der Welt (1874)

Bild

Schon auf den ersten Seiten habe ich das Gefühl, einen großartigen Erzähler vor mir zu haben. Der Mensch in der Natur. Hardy lässt viel Raum für Naturbeschreibungen und für die Charakterisierung des Protagonisten. Damals, als dieser Roman entstand, im Jahre 1874, galt es schon als etwas besonderes, wenn Menschen „die Zeit an den Sternen und an Sonne und Mond ablesen“ (Kap.XV) können. Nach Kap. XV galt Oak als sehr gebildet. Dieses Einssein mit der Natur, was bei Oak noch vorhanden ist, gilt nicht mehr für selbstverständlich. Der Farmer Gabriel Oak, von dem der Roman handelt, besitzt eine Uhr, die älter ist als sein Großvater. Minuten lassen sich noch ablesen, aber es war nicht sicher, zu welcher Stunde sie gehörten. Also schaute er in den Himmel. Zur Sonne und den Sternen. Der Himmel, d.h. der Kosmos wird als ein zusammenhängendes Gebilde betrachtet, es heißt

Hardy hat geschrieben:das Funkeln all der Sterne schien wie der Rhythmus eines einzigen Körpers, im Takt eines allumfassenden Pulsschlags
(Kap.II).

In einem fiktiven Landstrich, den Thomas Hardy „Wessex“ nennt, dort in der Ortschaft Norcombe besitzt der Farmer Gabriel Oak eine kleine Schaffarm. Er ist 28 Jahre alt und Junggeselle.

Es mutet schon wie ein Märchen an. Das Mädchen Bathsheba Everderne kümmert sich um die Kühe ihrer Tante. Die Kühe grasen auf Gabriel Oaks Weide. Das Mädchen verliert eines Nachts ihren Hut, den Oak findet und ihr wieder zurückgibt. Die zweite Begegnung ist noch märchenhafter. Oak hat in seiner Hütte fasst das Bewusstsein verloren, weil die Luftzufuhr in dem Raum verhindert war und wacht im Schoß von Bathsheba auf. Sie hat ihm wohl das Leben gerettet, und er verliebt sich in sie. Es geht ziemlich schnell, wie ihm Märchen. Der 28 jährige Bauer möchte Bathscheba heiraten. Darum geht er zu ihrer Tante, und bittet Bathsheba sprechen zu dürfen. Die Tante sagt, Bathsheba habe schon Verehrer, deswegen Oak keine Chance mehr sieht, das Mädchen zu bekommen Er geht wieder. Batheba läuft Oak aber nach, was für ihn bedeutet, sie wolle ihn heiraten. Warum sollte sie ihm sonst hinterherlaufen? Bathscheba lehnt aber eine Heirat ab, weil sie ihn nicht liebe und sich nicht binden wolle. Sie sei ihm nur nachgelaufen, weil die Tante fälschlicher Weise ihr einige Verehrer angehängt hatte. Sie wollte nur richtigstellen, dass das nicht stimmt. Gabriel Oak fühlt sich an der Nase herumgeführt. Der Leser bekommt den Eindruck, er sei beleidigt. Als ob er schon alles Menschenmögliche versucht hat, sie umzustimmen, sagt Oak am Ende des vierten Kapitels, er werde sie nicht mehr fragen.

Durch eine tragischen Zwischenfall verliert er seine Schafherde und gerät in Armut. Als er sich mit diesem Schicksal arrangiert hatte, ist er froh, dass er keine Frau hat, wie sollte sie auch diese Armut ertragen. In Kap. VI heißt es:

Hardy hat geschrieben:Hof und Herde waren dahin, aber er hatte zu einer Gelassenheit gefunden, die er vorher nicht gekannt hatte, und dazu jenen Abstand zu den Wechselfällen des Schicksals, der zum festen Grund für menschliche Größe wird, wenn er den Betreffenden nicht, wie das oft geschieht, auf schlimme Wege bringt. So war Gabriel in seiner Erniedrigung erhöht worden, und sein Verlust wurde zum Gewinn.
(Kap. VI).

Trotz dieser Gelassenheit hat er aber Bathsheba nicht vergessen. Er hat mitbekommen, dass sie nicht mehr bei ihrer Tante lebt, sondern in Weatherbury. Seine Suche nach Arbeit führt ihn durchaus gewollt an diesem Ort. Bathsheba ist dort, weil ihr Onkel gestorben ist, zu einer Farmersfrau aufgestiegen und Oak wird ihr Untertan, wird Schäfer ihres Betriebes. Bathshebas Verhalten ihm gegenüber ist sehr kühl. Thomas Hardy erläutert das so:

Hardy hat geschrieben:Wenn Zeus und seine Familie in den Schriften der späteren Dichter plötzlich aus ihrer engen Behausung auf dem Gipfel des Olymp in den weiten Himmel darüber erhoben werden, wird auch ihre Rede entsprechend arroganter und distanzierter.
(Kap. X).

Trotz des tragischen, ernsten Inhaltes zeigt sich Thomas Hardy auch von der humoristischen Seite. So gibt es ein Gespräch zwischen Männern in einer Mälzerei, heute Kneipe, in dem einer über den anderen herzieht. Leicht spöttelnd, schmunzelerregend.

Amüsant ist auch, wie der junge Cain Ball, der auf der Farm Unterschäfer werden soll, zu seinem Namen gekommen ist:
Hardy hat geschrieben:Seine arme Mutter war keine besonders bibelfeste Frau und hat sich bei der Taufe geirrt. Sie hat geglaubt, es sei der Abel gewesen, der den Kain getötet hat, und darum hat sie den Jungen Cain genannt, obwohl sie den Abel gemeint hat.
(Kap. X).

Was Bathshebas Beziehung zum Farmer Boldwood betrifft, so gilt sie als leichtfertig, unernst und unreif. Aus purem Spaß schickt sie Boldwood eine Valentinskarte, die mit einem Siegel versehen ist, auf dem „HEIRATE MICH“ steht. Bathsheba denkt sich nichts dabei, für den Farmer ist es aber ein Auslöser, dass er sich für sie interessiert und ihr einen Antrag macht, der von Bathsheba abgelehnt wird.

Über Bathsheba heißt es:

sie
Hardy hat geschrieben:wußte einigermaßen, wie sich Liebe äußerst; aber von dem, was Liebe bewirkt, hatte sie keine Ahnung
(Kap. XIII)

Thomas Hardy ist ein feiner psychologisch tiefsinniger Beobachter. Darin zeichnet sich der Roman aus. Sehr sorgfältig bildet er Charaktere und lässt den Leser in innerpsychische Vorgänge blicken.

Bathshebas Gespaltenheit in ihrer Beziehung zu Boldwood kommt in der ersten Begegnung mit dem Farmer sehr schön zum Ausdruck, und zeigt auch, dass Bathsheba mit der Liebe verantwortungslos herumspielt:

Hardy hat geschrieben:„Ich habe mich nicht in Euch verliebt, Mr. Boldwood – das muß ich offen aussprechen.“ Zum ersten Mal erlaubte sie sich ein winziges Lächeln, und in den weißen Zähnen, zusammen mit dem dezidierten Schnitt der Lippen, deutete sich ein Gefühlskälte an, die sofort von der Wärme des Blicks widerlegt wurde.
(Kap. XIX).

Wenn sich Boldwood und Bathsheba erstmals von der Ferne aus betrachten, erzählt Hardy ganz wunderbar, was in den Personen vor sich geht. (XVIII).

Dann taucht Sergeant Frank Troy in Bathshebas Leben auf. Troy macht sie mit Komplimenten völlig kirre (Kap XXVI). Wie herrlich Hardy Dialoge formt, kann der Leser u.a. auch hier genießen. Lebendig, realistisch, unterhaltsam. Doch ist Frank Troy ein Blender. Bathsheba aber lässt sich blenden und verliebt sich in diesem Exentriker. Diese Liebe steht unter keinem guten Stern.

Gabriel ist der Ruhepol der turbulenten Handlungen und Geschehnisse und ist gleichzeitig Bathshebas vertrauter Freund. Das zeigt sich inbesondere in den Kapiteln um das Gewitter. Francis Troy und die Arbeiter der Farm schlafen ihren Rausch aus, in dieser Nacht aber ein starkes Gewitter die Weizenernte gefährdet. Der einzige der sich um die Gefahr kümmert ist Gabriel Oak und Bathsheba kommt hinzu. Die Kapitel um das Gewitter (Kap. XXXVI – VII) sind vielleicht der Höhepunkt des Romans. Gabriel, der Naturmensch, der die Uhrzeit an den Gestirnen abließt, riecht auch das aufkeinemde , unheilbringende Gewitter und handelt verantwortungsvoll. Hardys Beschreibung des Gewitters finde ich einmalig schön. Desweiteren erfährt der Leser, die Vertrautheit zwischen Gabriel und Bathsheba, welche hier schon einen Grundstein für den Romanschluss legt.

Thomas Hardy ist ein ausgezeichneter Schreiber von Dialogen, denen es an dramaturgischer Spannung nicht fehlt. Zusammengefasst lässt sich sagen, ein Roman, der den Spannungsbogen bis zum Schluss hält. Unterhaltung auf hohem Niveau, damit meine ich, ein hervorragender Schmöker. Hardy ein wunderbarer Erzähler, der sein Handwerk versteht.

:stern: :stern: :stern: :stern:

Liebe Grüße
mombour
Thomas Hardy: Herzen in Aufruhr
Fernando Pessoa: Buch der Unruhe
mombour
Der Poet
Der Poet
 
Beiträge: 762
Registriert: 30.11.2009, 09:06
Wohnort: Regensburg

von Anzeige » 23.01.2013, 15:13

Anzeige
 

Re: Hardy, Thomas - Am grünen Rand der Welt

Beitragvon Monika » 23.01.2013, 18:04

Danke, mombour, für Deine ausführliche Rezension, die meine Vorfreude auf "Tess" noch um einiges gesteigert hat. Dieser Roman wird dann sicher mein zweiter Hardy werden.
Gruß Monika


Sigrid Damm - Ich bin nicht Ottilie
Jean-Luc Bannalec - Bretonische Verhältnisse
Jung Chang - Wilde Schwäne

Benutzeravatar
Monika
Buchstaplerin
Buchstaplerin
 
Beiträge: 831
Registriert: 19.01.2009, 10:35
Wohnort: Italien



Ähnliche Beiträge


Zurück zu Weltliteratur/Klassiker

Wer ist online?

0 Mitglieder

cron