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Hardy, Thomas - Der Bürgermeister von Casterbridge




Hardy, Thomas - Der Bürgermeister von Casterbridge

Beitragvon mombour » 15.02.2013, 09:25

Der Bürgermeister von Casterbridge
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Der Roman beginnt, „als das neunzehnte Jahrhundert sein erstes Drittel noch nicht voillendet hatte,“ als kurz bevor das Viktorianische Zeitalter anbricht. Ein junges Ehepaar ist in südenglischer Landschaft auf Wanderschaft, auf dem Weg nach Weyden-Priors, einem größerem Dorf in Upper Wessex. Die Frau trägt ihr Baby in einem Korb, welchen sie vor dem Bauch gebunden hat. Schweigsam gehen sie des Weges. Es sind Michael Henchard, der Heubinder und seine Frau Susan.

In den Beschreibungen zu Beginn des Romans lässt Thomas Hardy Beobachtungen einfließen, die auf die Charaktere der Personen hindeuten. So erzählt er über Michael, „in dem Heben und Aufsetzen der Füße lag auch eine verbissene und zynische, ihm eigentümliche Gleichgültigkeit...“ (Kap. 1). Die Frau dagegen, „hielt ihre Augen meist starr nach vorn gerichtet“ (dto). Das sagt schon vieles. Das Verhältnis zwischen den beiden ist innerlich schon zerbrochen, bevor Michael Henchard im betrunkenen Zustand auf dem Markt von Weyden-Priors seine Frau leichtfertig an einem Seemann verkauft. Im nüchternen Zustand bereut Henchard diese Tat, seine Frau bleibt aber verschwunden. Erst zwanzig Jahre später taucht sie mit ihrer Tochter Elisabeth-Jane in Casterbridge auf, dem Ort, an dem Michael Henschard inzwischen Karriere gemacht hat. Er ist Bürgermeister, Getreidelieferant und Friedensrichter, hat alles erreicht, was ein Mensch an Ansehen erreichen kann. Damals, als er seine Frau aus den Augen verlor, schwor er, die nächsten einundzwanzig Jahre( „das sind so viele Jahre, wie ich gelebt habe“, Kap 2) in Abstinenz zu leben. Er trank keinen Alkohol mehr und konzentrierte sich auf seine Karriere. Doch als seine Frau nach 19 Jahren wieder in sein Leben tritt, wird er von seiner Vergangenheit eingeholt, und sein ungehobelter, leichtsinniger Charakter tritt wieder in den Vordergrund. Die einundzwanzig Jahre Abstinenz sind abgesessen, und er beginnt, sich wieder dem Alkohol hinzugeben. Alle seine menschlichen Schwächen, sein übler Charakter zeigt sich wieder, bringt Kummer, Leid und Tod.

In Kapitel 17 verweist Hardy auf ein Zitat des Romantikers Novalis: „Charakter ist Schicksal“, das bedeutet, nach Novalis Ansicht und auch Hardy vetritt in diesem Roman diese These, ist der Mensch seinem Charakter ausgeliefert. Auch Michael Henchard kann seinem Charakter nicht entfliehen. Es gelingt ihm nur einundzwanzig Jahre. Er hat eine Auseinandersetzung mit seinem Assistenten Donald Farfrae, der sich dann selbständig macht und Henchard im Getreidegeschäft zum ernsthaften Konkurrenten wird. Michael Henchard wird von Missgunst getrieben und versucht vergeblich seinen Widersacher in den Konkurs zu jagen. Thomas Hardy kann sicherlich auch deswegen Farfrae nicht in den Niedergang rutschen lassen, weil dieser Getreidelieferant moderne Maschinen benutzt, Farfrae im Roman als Symbolfigur des aufkommenden Industriezeitalters ist.

Hardy hat geschrieben:Es war ein neumodisches landwirtschaftliches Gerät, Sämaschine genannt, das bis dahin in diesem Teil des Landes in seiner modernen Form unbekannt gewesen war, da hier wie in den Tagen der Heptarchie der ehrwürdige Saatkorb zum Säen benutzt wurde.
(Kap. 24).

Michael Henchard, Vertreter der älteren weniger fortschrittlich eingestellten Generation muss auch aus diesem Grunde ins Verderben stürzen.Über die vielgestaltigen zwischenmenschlichen Kontroversen und Probleme Henchards lasse sich der Leser des Romans überraschen und mitreißen.

Interessant finde ich Hardy's Konsumkritik:

Hardy hat geschrieben:Denn nichts ist heimtückischer als das Wecken von Wünschen aus einer bloßen Laune heraus, sowie von Bedürfnissen aus bloßen Wünschen.
(Kap. 15).

Dazu gibt Hardy ein eindrucksvolles Beispiel, was ich als Falle des Konsums bezeichnen möchte:
Henchard schenkt Elisabeth-Jane ein Schachtel zartfarbener Handschuhe. Elisabeth hatte aber keinen passenden Hut dafür und kaufte sich einen. Dann musste sie sich auch noch ein Kleid kaufen und einen passenden Sonnenschirm. All das nur wegen ein paar Handschuhen.

Auch mit diesem Roman hat mich Thomas Hardy fesseln können. Sehr bildhaft beschreibt er Landschaft, Häuser, Charaktere. Der Leser bekommt einen Eindruck davon, wie Menschen damals gelebt haben. Die Handlung ist mitreißend.

:stern: :stern: :stern: :stern: :stern:
Liebe Grüße
mombour
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Re: Hardy, Thomas - Der Bürgermeister von Casterbridge

Beitragvon Coco » 15.02.2013, 09:35

vielen Dank ... jetzt bekomme ich noch mehr Lust auf "Tess".

aber, so etwas kann nur ein Mann schreiben:

mombour hat geschrieben:Dazu gibt Hardy ein eindrucksvolles Beispiel, was ich als Falle des Konsums bezeichnen möchte:
Henchard schenkt Elisabeth-Jane ein Schachtel zartfarbener Handschuhe. Elisabeth hatte aber keinen passenden Hut dafür und kaufte sich einen. Dann musste sie sich auch noch ein Kleid kaufen und einen passenden Sonnenschirm. All das nur wegen ein paar Handschuhen.


:mrgreen:
Liebe Grüsse
Coco

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Re: Hardy, Thomas - Der Bürgermeister von Casterbridge

Beitragvon Monika » 15.02.2013, 17:19

Coco hat geschrieben:aber, so etwas kann nur ein Mann schreiben:

mombour hat geschrieben:Dazu gibt Hardy ein eindrucksvolles Beispiel, was ich als Falle des Konsums bezeichnen möchte:
Henchard schenkt Elisabeth-Jane ein Schachtel zartfarbener Handschuhe. Elisabeth hatte aber keinen passenden Hut dafür und kaufte sich einen. Dann musste sie sich auch noch ein Kleid kaufen und einen passenden Sonnenschirm. All das nur wegen ein paar Handschuhen.


:mrgreen:

:mrgreen: :mrgreen: :mrgreen: Sie werden uns nie verstehen, Coco.

Danke, mombour. Mit Deinen Rezensionen zu zwei Romanen Thomas Hardys hast Du uns nicht zu viel versprochen. Ich habe heute Morgen mit „Tess“ begonnen und mir scheint, dass jetzt endlich das Ende meiner wochenlangen Leseflaute erreicht ist.
Gruß Monika


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