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Jünger, Ernst – Auf den Marmorklippen




Jünger, Ernst – Auf den Marmorklippen

Beitragvon tom » 03.12.2008, 22:55

INHALT: Bruder Minor und Bruder Otho leben gemeinsam zurückgezogen in ihrer Klause in der Marina, einer Gegend, die an mediterrane Landschaften erinnert, an den Schwarzwald und die Region um den Bodensee: eine arkadische Landschaft, deren Verbindung von nordeuropäischen und südeuropäischen Elementen einen mythischen Raum entwirft. Hier erforschen die Brüder die Botanik und legen in jahrelanger Arbeit ein umfangreiches Herbarium an. Bedroht wird die Idylle durch den Oberförster, dessen im tiefen Wald versteckte Reviere Zufluchtsort für Verbrecher und Ausgestoßene aller Art sind – auch der Rattenfänger von Hameln soll mit den verführten Kindern dort hin gezogen sein. Auf einer ihrer Exkursionen in die Wälder entdecken die Brüder die »Köppelsblek«, das hier als »Schinderhütte« genannte Konzentrationslager des Oberförsters. Zunächst schleichend – dann aber in eine kurze erbarmungslose Schlacht zwischen den Bewohnern der Marina und den Horden des Oberförsters mündend, wird das Land und seine Gesellschaft zerstört. Auch die Klause mit dem Herbarium geht in Flammen auf – die Brüder selbst stecken sie durch einen Strahl des aus Kristall geschnittenen »Spiegels des Nigromontanus« in Brand und sichern so den Fortbestand ihres Werks in der »Sicherheit des Nichts«. Durch ihre guten Beziehungen gelingt ihnen die Ausreise über das Meer in das nicht weit entfernte Alta Plana, wo sie von früheren Freunden warmherzig empfangen werden. Das Schicksal der Marina hingegen bleibt im Dunkeln.

Die Erzählung „Auf den Marmorklippen“ gehört zu den meistgelesenen Werken von Ernst Jünger. Als symbolistische und vorausblickende Schilderung der Zerstörung Europas durch den Zweiten Weltkrieg gilt es vielen als Zeugnis der inneren Emigration des Autors und als kaum verschlüsselter Angriff gegen das NS-Regime. (Quelle: Buch der 1000 Bücher, Harenberg Verlag)

EINDRÜCKE: Der Name Jüngers lief mir schon öfters über den Weg, doch ich hatte irgendwie ein Vorurteil. Welche Entdeckung war es dann, dieses bekannte Buch nun in zwei, drei Tagen zu verschlingen mit angespanntem Genuss. Da ich dem Buch eventuell nicht gerecht werde, habe ich oben einen Ausschnitt aus einem renommierten Werk hineinkopiert.

Was zunächst besonders in den ersten Kapiteln auffällt ist die besondere, romantische, sehr schöne und präzise Sprache. Der Stil erinnert wirklich an eine nordische Sage, oder einen Schriftsteller wie Knut Hamsun. Die Natur ist in ihrer Schönheit erster Bezugspunkt für die beiden Brüder der Erzählung: sie vermittelt eine gewisse Harmonie. So spricht aus diesen Zeilen eine große (romantische) Naturverbundenheit: „wie alle Dinge dieser Erde wollen auch die Pflanzen zu uns sprechen“. Der auftauchende Aggressor erscheint wie ein Zerstörer dieser Ordnungen, bar jeder alten Auffassung von wahrer Ehre und Tapferkeit. Nur Grauen und rohe Gewalt gehen von ihm aus. Die ehemaligen Kämpfer und jetzigen Botaniker fragen sich, wie sie sich in diesem Streit verhalten sollen. Eine Antwort erscheint an diesem Punkte nicht mehr allein die pure Waffengewalt, sondern eine Geistesmacht. Doch da mag man sich drüber streiten, wie Jünger hier die Alternativen darstellt!

Ja, es ist definitiv kein „einfaches“ Buch und vielen mögen es angesichts einer eventuellen vordergründigen Preisung „männlicher“ Eigenschaften und der Sprache dann dazu, als etwas schwülstig oder unzeitgemäß empfinden. Doch für den so vorgewarnten Leser mag dieses Büchlein einen Einblick geben, wie klarsichtig Jünger einerseits den Hitlerwahnsinn kommen sah und dabei doch auch über die eigenen Grenzen universaler schrieb. In manchen Naturbeschreibungen vermittelt Jünger eine tiefe Verbundenheit mit ihr.

ZUM AUTOR: Ernst Jünger (* 29. März 1895 in Heidelberg; † 17. Februar 1998 in Riedlingen) war ein deutscher Schriftsteller, Philosoph, Offizier und Insektenkundler. Er ist vor allem durch seine Kriegstagebücher, Essays, phantastischen Romane und Erzählungen bekannt. Jünger war ein prominenter Vertreter der extremen politischen Rechten. Mit seinem Frühwerk wird er der sogenannten Konservativen Revolution zugerechnet. Nach einem zunächst ambivalenten Verhältnis zum Nationalsozialismus distanzierte er sich von diesem in den späten 1930er-Jahren aufgrund seines Massencharakters und seines geistlosen Totalitarismus. In der Bundesrepublik blieb Jünger literarisch wie politisch ein Außenseiter (Quelle Wikepedia, siehe dort noch weiter: http://de.wikipedia.org/wiki/Ernst_J%C3%BCnger )
Dahingegen zählt er z.B. hier in Frankreich zu den größten deutschen Schriftstellern überhaupt und wird sehr geschätzt!

:stern: :stern: :stern: :stern:

Taschenbuch: 150 Seiten
Verlag: Ullstein Tb; Auflage: 5., Aufl. (1998)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3548237045
ISBN-13: 978-3548237046

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tom
 

von Anzeige » 03.12.2008, 22:55

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Beitragvon Krümel » 03.12.2008, 23:09

Ui, das klingt gut, ich werde mir Jünger im Hinterkopf behalten :D
BildLiebe Grüße,
Krümel



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Beitragvon wolves » 04.12.2008, 08:01

Krümel hat geschrieben:Ui, das klingt gut, ich werde mir Jünger im Hinterkopf behalten :D

Geht mir auch so! Danke für deine Rezi Tom! Meinst du es wäre was für mich?
Liebe Grüße
wolves


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Beitragvon tom » 04.12.2008, 09:10

Ich weiß wirklich nicht..., es kann sein, dass das Buch etwas "hochmütig, viril" daherkommt. Einige sahen darin die Verherrlichung einer, wenn auch eher gemeisterten, Gewalt und Kraft.
Doch in der Art, die Nähe und heilende Kraft des Seins in der Natur zu beschreiben ist das Buch sicherlich auch für Euch eine Entdeckung!?
tom
 

Re: Jünger, Ernst – Auf den Marmorklippen

Beitragvon Krümel » 23.07.2011, 21:18

Ups, jetzt sehe ich, dass ich dieses Büchlein schon mal im Hinterkopf hatte und dennoch vergessen wurde :oops:
BildLiebe Grüße,
Krümel



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Re: Jünger, Ernst – Auf den Marmorklippen

Beitragvon mombour » 24.07.2011, 02:40

Hallo,

Auf den Mamorklippen :jep:

Mich würde es interessieren, ob Jünger immer in solch einer poetischen Sprache schreibt, wie er es in den Mamorklippen tut. Allein schon durch diese poetische Kraft, wird man der Wirklichkeit enthoben und flieht in eine idyllische Welt, in der sich zwei Brüder in einer Rautenklause bei den Mamorklippen ein Herbarium errichten und Bibliotheksarbeit verrichten. Das Sammeln von Pflanzen erinnert daran, das Ernst Jünger ein fleißiger Käfersammler war. Das Erforschen der umgebenden Natur steht für die Kultur des Menschen. Die Natur wird intensiv umschrieben, da denkt man gerne an Adalbert Stifter, obwohl Ernst Jüngers Stil natürlich ein völlig anderer ist. Man kann durchaus sagen, dass die Prosa der Mamorklippen nicht weit entfernt von Lyrik ist. Dadurch wird alles ästhetisiert, auch die Gewalt. Die Gewalt bricht nämlich in die Idylle ein. Vom Oberförster wird die Idylle bedroht und schließlich vernichtet. Der Oberförster, da mag man an Hermann Göring denken, der Reichsjägermeister in der Rominter Heide (Ostpreußen) war (hierzu vgl. man Michel Tournier „Der Erlkönig“) und auf seine Initiave hin, die ersten Konzentrationslager erbauen ließ. In den Mamorklippen ist „Köppelsbleek“ die „Schinderstätte“, von der es heißt:

"Über dem dunklen Tor war am Giebelfelde ein Schädel festgenagelt, der dort im fahlen Lichte die Zähne bleckte und mit Grinsen zum Eintritt aufzufordern schien. "

Übrigens ist „Köppelsbleek“ ein kleines Wäldchen bei Goslar, in dem im Mittelalter der Scharfrichter seinen Dienst tat. Ob Jünger davon gewusst hat, weiß ich nicht, möglich wäre es.

Auch ein anderes Zitat weist eindeutig auf den Nationalsozialismus hin:

"Dann wiederholten sich die Banditenstreiche, die man schon aus der Campagna kannte, und die Bewohner wurden bei Nacht und Nebel abgeführt. Von dort kam keiner wieder, und was wir im Volk von ihrem Schicksal raunten hörten, erinnerte an die Kadaver der Perlenechsen, die wir geschunden an den Klippen fanden, und füllte unser Herz mit Traurigkeit."

In dem biographischen Lexikon „Literatur in Nazi-Deutschland“ von Hans Sarkowicz und Alf Mentzer (Europa-Verlag, 2002) wird Ernst Jünger so zitiert:

„Der Öberförster sollte bald Hitler, bald Göring, bald Stalin sein. Dergleichen hatte ich zwar vorausgesehen, doch nicht beabsichtigt" (Sämtliche Werke, Bd. 3, S.436).

Neben dem Bezug zum Nationalsozialismus, bieten die Mamorklippen auch noch andere Interpretationsmöglichkeiten. Jünger umschreibt den natürlichen Vorgang des Werdens und Vergehens, den er dann in einem Nebensatz ins mythisch-religiöse erhöht:

"Es wird kein Haus gebaut, kein Plan geschaffen, in welchem nicht der Untergang als Grundstein steht, und nicht in unseren Werken ruht, was unvergänglich in uns lebt."

"Oft meinte Bruder Otho, wenn wir auf der Höhe der Marmorklippen standen, dass dies der Sinn des Lebens sei - die Schöpfung im Vergänglichen zu wiederholen, .."

Bruder Otho meint die Wiederholbarkeit der Schöpfung (wie im Koran):

„Allah ist es, der die Schöpfung bewirkt, also wiederholt er sie“ (Koran, Sure IV,4)

Das Aufblühen einer Kulturlandschaft und dessen Zerstörung wiederholt sich auch. Auf die rituelle Handlung bezogen, die ein göttliches Model als Urbild hat, sagt man in Indien: „So haben die Götter getan, so tun die Menschen“(Taittiriya-Brahmana, zitiert in Mircea Eliade, Kosmos und Geschichte).

Wie wir gesehen haben, können sich interessante Gedankengänge aus dieser Lektüre entwickeln, trotzdem wirkt die Erzählung auf mich recht seltsam und abgehoben. Das mag an der äshetischen Sprache liegen, die aus einer jenseitigen Welt zu kommen scheint.

Liebe Grüße
mombour :thumleft:
Thomas Hardy: Herzen in Aufruhr
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mombour
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