Krümels-Bücherwelt ...

... ein Literaturforum der anderen Art

Márai, Sandor - Wandlungen einer Ehe




Márai, Sandor - Wandlungen einer Ehe

Beitragvon Pippilotta » 09.07.2007, 14:03

[center]Sandor Márai - Wandlungen einer Ehe [/center]

Ungarn, vor Ausbruch des 2. Weltkrieges. 3 Personen, 3 Schicksale, eine Geschichte. Peter, Fabrikserbe aus adeligem Haus fühlt sich in der Rolle des „Großbürgers“ nicht wohl, er will ein Zeichen setzen und macht dem Dienstmädchen Judit einen Heiratsantrag. Diese lehnt ab und Peter heiratet Ilonka, ein Mädchen aus kleinbürgerlichen Verhältnissen. Ilonka vergöttert Peter, ein Sohn wird geboren, der allerdings im Kleinkindalter stirbt. Ilonka erkennt, dass ein Schatten über der Ehe liegt und ihre Nachforschungen ergeben Hinweise auf eine Beziehung zum Dienstmädchen Judit.

Diese „Dreiecksgeschichten“ wird aus 3 Blickwinkeln erzählt. Zum einen von Ilonka, deren Antrieb ihre Liebe zu Peter ist, zum anderen von Peter selbst, von seinem Hin- und Hergerissensein zwischen Pflicht, Leidenschaft und moralischem Anstand, sowie zuletzt von Judit, die von ganz anderen Gelüsten getrieben wurde. Auch stilistisch unterscheiden sich diese 3 Teile – von atmosphärisch dicht bei Ilonka, über karg, fast schon verhärmt bei Peter, bis locker-leicht bei Judit. Jede der drei Ansichten und Haltungen ist nachvollziehbar und es wird auch auf keiner Seite langweilig, denn jeder der Erzähler legt sein Hauptaugenmerk auf eine andere Phase und gibt Einsicht nicht nur in das eigene Leben, sondern auch in das Leben der anderen Protagonisten. Diese meisterhafte Verwebung und dieses "Weitererzählen" hat mich sehr fasziniert.

Es wurde schon mehrere Male leise angedeutet, dass sich Marais Werke recht gleichen. Auch ich habe das schon festgestellt. Mit diesem Buch kann Entwarnung gegeben werden. Obwohl auch hier die Themen Liebe, Leidenschaft und Freundschaft die Angelpunkte bilden, unterscheidet sich dieses Buch doch erheblich von den anderen (zumindest von mir gelesenen „Das Vermächtnis der Eszter“, „Die Glut“). Der politische und gesellschaftliche Hintergrund, der Zusammenbruch der europäischen Ordnung bilden eine nicht unwesentlichen Teil der Handlung.
Für mich bis dato das beste Buch von Sandor Marai!

:stern: :stern: :stern: :stern: :stern:

Bild
Herzliche Grüße
Pippilotta


T.C. Boyle - Wenn das Schlachten vorbei ist

Life is what happens to you while you are busy making other plans (Henry Miller)
Benutzeravatar
Pippilotta
Superkrümel
Superkrümel
 
Beiträge: 4894
Registriert: 19.04.2006, 16:52
Wohnort: ... im Himmel ...

von Anzeige » 09.07.2007, 14:03

Anzeige
 

Beitragvon alwin03 » 09.07.2007, 14:20

Den fünf Sternen und Deiner Rezi ist nichts hinzuzufügen.

Ich bewerte die Marais nicht gegeneinander, sondern versuch jedes Buch für sich zu betrachten. Auch mir gefällt der Roman sehr gut.
Die Schreibform, eine gleiche Geschichte in unterschiedlichem, dreifachen Blickwinkel zu sehen, war sehr interessant. Auch die Schreibweise zu jeder Person, die Du beschrieben hast, ist sehr gelungen.
Man ist geneigt Partei für die jewilige Person zu ergreifen und erfährt im Verlauf des Buches, WARUM der andere so, und nicht anders gehandelt hat.
Vielleicht erhöht sich bei dem einen, oder anderen der SUB um einen Marai!!! :D


Danke @Pippi :wink:
Ich lese zur Zeit:

--------------------------------------- ???


wENN nUr meinE sCHleChte recht(s)SchreIbunG nICHT wÄr :cry:
Benutzeravatar
alwin03
Krümel
Krümel
 
Beiträge: 2305
Registriert: 31.05.2007, 19:14
Wohnort: Ostrand des Harz

Beitragvon Salome » 09.07.2007, 15:27

"Wandlungen einer Ehe" ist ja auch in meiner SuB - Wettbewerbsliste, mein letztes Wettbewerbsbuch.
Scheinbar wird das ja ein toller Ausklang :D Freue mich schon darauf!
Salome
 

Beitragvon schnecke » 09.07.2007, 18:02

Das hatte ich als Mängelexemplar schon in der Hand - und habs weggelegt.
Da hatte ich aber auch noch keine Rezension in absolut vertrauenswürdigen Bücherforen gelesen.
Jetzt darf ich eh bald wieder nachkaufen, da läufts mir hoffentlich hinein.
schnecke
 

Beitragvon Salome » 26.07.2007, 12:06

Ich poste mal meine Rezi vom Blog:

[center]Bild[/center]

Abrechnung eines Schriftstellers

“Wandlungen einer Ehe” ist der zweite Roman von Márai den zu lesen ich die Ehre hatte.
Auf den ersten Blick die Geschichte zweier Ehen aus drei Perspektiven :Die der Ehefrau, sie erzählt als erste das Geschehene aus ihrer Sicht; die Perspektive des Mannes folgt darauf und schließlich die des Dienstmädchen, beziehungsweise der zweiten Ehefrau. Ich sagte auf den ersten Blick, denn in diesem Buch steckt so viel mehr als nur eine typische ménage à trois.
Der Roman, so kann man einer editorischen Notiz am Anfang entnehmen, besteht aus drei eigenständigen Teilen, die sogar zu verschiedenen Zeiten veröffentlicht wurden, später wurden die Teile erst zur endgültigen Form zusammengefügt.

Der Kampf einer Kleinbürgerlichen

Im ersten Teil schildert die Ehefrau einer gesichtslosen Bekannten ihre Sicht vom Leben und ihrer gescheiterte Ehe.
Sie stammt aus kleinbürgerlichen Verhältnissen, lebt mit den Eltern in einer kleinen Mietwohnung, bis sie in die betuchte großbürgerliche Industriellenfamilie ihres Mannes einheiratet. Schnell lernt die schöne Frau sich in dieser Welt zurecht zu finden und doch wird es immer den Unterschied machen, dass sie nicht in die Welt der Reichen hineingeboren wurde wie ihr Mann. Dieser ist zuvorkommend zu seiner Frau, auch liebt er sie offenkundig, und doch spürt sie, dass er sie nicht so bedingungs- und vorbehaltlos liebt, lieben kann. Sie beginnt eine Suche nach der Ursache und einen Kampf um ihre Ehe, parallel zu ihrem unterschwelligem Kampf um die Akzeptanz und den Respekt einer anderen Welt, doch es ist keine simple Affäre auf die sie stößt.

Reichtum und Schuld

Der zweite Teil, er wird aus der Perspektive des Ehemanns geschildert, war mir persönlich der Unangenehmste. Gedanken, Grübeleien, teils auch Gejammer eines Mannes, der in seiner Klasse tief verwurzelt ist, für den der Weg von Geburt an in Wohlstand und großbürgerlichem Leben vorgezeichnet ist. Er erfüllt seine Pflicht, hält sich an die gesellschaftlichen Konventionen, doch gleichzeitig verabscheut er dieses gleichförmige, langweilige Leben, diesen selbstverständlichen Reichtum, die innere Einsamkeit, die besitz von ihm ergreift.

Ich habe mir das Leben, das ich aus der Nähe betrachten konnte, sehr genau angeschaut… … Auch ich hatte gedacht der Fehler liegt bei mir. Ich erklärte es mir mit Gier, mir Egoismus, mit Genußsucht, mit den gesellschaftlichen Schranken, mit dem Lauf der Welt… was? Na eben, den Bankrott. Die Einsamkeit, in die früher oder später jedes Leben hineinfällt wie der nächtliche Wanderer in die Grube. … Wir sind Männer, wir müssen allein leben und über alles genau abrechnen, wir müssen schweigen und die Einsamkeit, unseren Charakter und das Gesetz des Lebens ertragen.

(Seite 156)

Die Richtige für ihn scheint Judit, das Dienstmädchen, zu sein, anzunehmen gerade weil sie aus einer bitterarmen Familie stammt; er macht ihr einen Antrag. Von ihr erhofft er die Linderung der Einsamkeit, aber auch hier erweist er sich als zu feige, um mit den Konventionen zu brechen. Judith, die dies spürt, weist ihn zurück. Er heiratet schließlich die oben erwähnte bürgerliche Ehefrau, bekommt mit ihr ein Kind, welches früh stirbt. Kurz darauf stirbt auch die Ehe.

Die dritte Klasse

Im dritten Teil kommt dann das Dienstmädchen Judit zu Wort. Hier findet man durch Judits Mund die ehrlichsten, gesundesten Worte des Romans. Dieser Teil des Buches ist von Márai später als die ersten beiden fertiggestellt worden. Ich finde dies ist deutlich zu spüren, es ist der gehaltvollste Teil. Hier finden sich die echten Probleme: Krieg, Verlust, Hunger, Angst, Tod. Natürlich auch ihre Schilderungen der vorgenannten Ereignisse, die Sicht des Proletariats und doch die präzisesten Beobachtungen; aber dies fast nur am Rande. Judit rechnet mit dem Bürgertum an sich ab.

Noch wichtiger, oder bewegender ist im dritten Teil, die nähere Betrachtung der Nebenfigur des Schriftstellers Lázár und ihrer tragischen Wendung. Denn in dieser Nebenfigur hat Márai selbst offenbart. Man versteht Marai, seine Gedanken und seine Tragik sehr gut, wenn man Lázárs Lebensgeschichte betrachtet.
Bitter hier seine Abrechnung mit Faschisten und Kommunisten in Ungarn, die ja seine Werke nicht nur verboten, sondern auch vernichtend beurteilten, was ihn schrecklich verletzte und ihn veranlasste sich immer mehr aus der Welt zurückzuziehen.

Verstehen Sie nicht? Schönheit wird eine Beleidigung sein. Begabung eine Provokation. Charakter ein Attentat. Denn jetzt kommen sie, aus allen Richtungen kriechen sie hervor, Hunderttausende und noch mehr. Von überall her. Die Grobschlächtigen. Die Unbegabten. Die Charakterlumpen. Und sie werden das Schöne mit Vitriol übergießen. Und Und die Begabung mit Pech und Schwefel und übler Nachrede verfolgen….

Zuweilen das Schicksal der Begabung

Es war also letztlich auch das Schicksal des begnadeten Erzählers Márai, aus der Heimat verstoßen und herabgewürdigt zu werden, das ihn so verbittert hat. Man kann es beim Lesen sehr gut nachvollziehen, denn Márai versteht es wunderbar Gefühle zu vermitteln. Darüber hinaus hat er mit “Wandlungen einer Ehe” ein bildhaftes und einprägsames Portrait der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts gezeichnet.
Negativ wären für mich einzig die teilweise doch sehr langen Exkurse über dieses und jenes zu erwähnen, die schon einige Geduld zuweilen erfordern. Doch vermag es das Buch locker solche Längen mit seiner famosen Erzählung auszugleichen.

“Wandlungen einer Ehe” hat, wie ich finde, mit “Die Glut” wenig gemein und sollte daher auch nicht direkt verglichen werden. “Die Glut” ist wesentlich lockerer und runder, auch nicht ganz so kritisch.

:stern: :stern: :stern: :stern:
Salome
 

Beitragvon Coco » 26.07.2007, 20:53

Ich denke so bei mir: Ich möchte wohl auch bald etwas von Marai lesen ....


.... wie alt muß ich werden um all die Bücher lesen zu können, die ich lesen möchte ?????????? :mrgreen:
Liebe Grüsse
Coco

-----------

:studie:

Charlotte Bronte - Villette
Gerhard Henschel - Abenteuerroman
Benutzeravatar
Coco
Susi Sunshine
Susi Sunshine
 
Beiträge: 4718
Registriert: 04.04.2007, 07:44
Wohnort: Darmstadt

Beitragvon alwin03 » 27.07.2007, 06:21

@Salome, danke für die gelungene Rezi :wink:
Ich lese zur Zeit:

--------------------------------------- ???


wENN nUr meinE sCHleChte recht(s)SchreIbunG nICHT wÄr :cry:
Benutzeravatar
alwin03
Krümel
Krümel
 
Beiträge: 2305
Registriert: 31.05.2007, 19:14
Wohnort: Ostrand des Harz

Beitragvon Nerolaan » 10.11.2007, 20:21

Ich habe das Buch am Anfang des Monats gelesen und war hin und weg.

Ungarn nach dem Ersten Weltkrieg: Ilonka sitzt mit einer Freundin in einem Café in Budapest, als sie sieht wie ihr Exmann Peter in einer Konditorei kandierte Orangenschalen kauft. Sofort drängen sich ihr die Erinnerungen hoch: das sie Peter liebte, aber er sie nicht und dass es immer eine Frau gab, die zwischen ihnen stand. So fängt Ilonka an, ihrer Freundin alles zu erzählen.

Auch Peter sitzt eines Abends in einem Café mit einem Freund, der lange Zeit in Peru gelebt hat, als er seine zweite Exfrau Judit aus einer Konditorei kommen sieht. Auch er fängt an seinem Freund von seinem Leben und seinen gescheiterten Ehen zu erzählen.

Judit liegt nach dem Zweiten Weltkrieg mit ihrem Freund einem Schlagzeuger in einem Hotelbett in Rom, als er das Foto ihres Exmanns findet und sie auffordert von dieser Zeit zu erzählen.

Sandor Marai erzählt in seinem Roman Wandlungen einer Ehe von drei Menschen mit drei verschiedenen Schicksalen, die nur durch zwei Sachen miteinander verbunden sind: einer Ehe und einem Mann.
Marai lässt in diesem Buch alle drei zu Wort kommen und jeder darf sein Schicksal, seine Sichtweise auf die Dinge schildern.
Und schnell wird klar: nur weil Menschen ein gemeinsames Leben führen heißt das noch lange nicht, dass ihr Denken und ihr Handeln Parallelen aufweist. Es bedeutet genauso wenig, dass Gefühle und die Realität für beide das selbe bedeuten.
Ilonka wird von ihren Gefühlen und den Erinnerungen an ihr Leben mit Peter geleitet. Peter selbst scheint nicht so sehr über diese Zeit nach zu denken, sondern zeigt sich eher eingeengt von seinen Pflichten als Bürger, von einer herrschenden Moral und seiner Leidenschaft zu einer Frau, die er gar nicht lieben dürfte: dem Dienstmädchen Judit. Judit selbst beschäftigt sich mit anderen Gelüsten.
Diese unterschiedlichen Ansprüche und Erinnerungen an einen Abschnitt in einem gemeinsamen Leben unterstreicht Marai sehr schön auch mit seinem Schreibstil: von einer dichten Atmosphäre bei Ilonka, über eine karge, spartanische bei Peter bis hin zu einer lockeren, fröhlichen Atmosphäre bei Judit.
Doch in diesem Buch geht es nicht „nur“ um Beziehungskisten, sondern auch um den Zusammenbruch der europäischen Ordnung im Zweiten Weltkrieg und um die Rollen von Gesellschaftsklassen.

Dieses Buch steckt voller Melancholie, Ironie und Lebensweisheiten und ist es durchaus wert gelesen zu werden!

:stern: :stern: :stern: :stern: :stern:
Benutzeravatar
Nerolaan
Weltenwandlerin
Weltenwandlerin
 
Beiträge: 2975
Registriert: 08.11.2007, 18:41
Wohnort: Aachen

Beitragvon Welf » 27.12.2007, 18:22

Dieser Roman, den ich nun als 9. Buch meines diesjährigen SUB - Wettberwerbes gelesen habe, hat mich mit seiner sehr dichten und athmosphärischen Sprache wieder einmal absolut in seinen Bann gezogen.
Von der ersten Seite an hat es Marai wieder einmal verstanden, den Vorhang zu einer längst vergangenen Zeit zur Seite zu ziehen und uns tiefe Einblicke in die Persönlichkeitsstrukturen der einzelnen Protagonisten ermöglicht.

Er beschreibt die einzelnen Personen und ihr Handeln mit solch einer Akribie und Tiefe, daß sich die Motive für das Handeln des Einzelnen für den Leser aus jedem der drei verschiedenen Sichtweisen sehr nachvollziehbar darstellen.
Und gerade dieser Umstand macht diesen Roman so besonders interessant, gerade weil jeder für sich in seinem eigenen kleinen Kosmos recht hat.
Ich denke, er versucht dem Leser zu vermitteln, daß es keine allgemeingültige Formel für das Leben gibt, zu verschieden ist der Mensch in seiner Individualität des Denkens und Handelns.
Hinzu kommt , wie hier sehr gut beschrieben, der in der damaligen Zeit noch viel krassere Unterschied der verschiedenen Stände und der damit einhergehenden Dogmen und Weltbilder.

Alles in allem ein sehr gelungener Roman, welcher den Status Sandor Marais als einen meiner Topautoren wieder ein Stück gefestigt hat.


:stern: :stern: :stern: :stern: ( :stern: )

Gruß
Richard
Welf
 

Beitragvon alwin03 » 27.12.2007, 18:29

@Welf, mich freut`s wenn es für meinen Lieblingsautor Sterne regnet

(... finde grad keinen passenden Smilie)

Eines meiner wenigen Reiseziele, die ich in meinem Leben noch besuchen möchte ist übrigens dieser Stuhl ...


Bild
Ich lese zur Zeit:

--------------------------------------- ???


wENN nUr meinE sCHleChte recht(s)SchreIbunG nICHT wÄr :cry:
Benutzeravatar
alwin03
Krümel
Krümel
 
Beiträge: 2305
Registriert: 31.05.2007, 19:14
Wohnort: Ostrand des Harz



Ähnliche Beiträge


Zurück zu Weltliteratur/Klassiker

Wer ist online?

0 Mitglieder

cron