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Steinbeck, John - Tortilla Flat




Steinbeck, John - Tortilla Flat

Beitragvon chip » 06.02.2012, 10:12

Was benötigt der Mensch um ein angenehmes Leben zu führen? Nicht viel, wenn man die Kleingauner Danny and friends anschaut, die in ein frisch geerbtes Haus einziehen und dem Nichtstun frönen. Saufen, schlafen, prügeln und nach Frauen Ausschau halten. Materielles Eigentum besitzen sie nicht. Menschlichkeit und Freundschaft machen sie dennoch zu reichen Menschen.

"Mit Betrübnis muss zugegeben werden, dass Pilon weder so töricht noch so selbstgerecht oder auf himmlichen Lohn erpicht war, um ein Heiliger zu werden. Ihm genügte, das Gute zu tun und als Lohn den Glanz der menschlichen Bruderschaft wahrzunehmen, die er zustande gebracht."

Pate für dieses Buch stand wohl der heilige Franziskus, der besitzlos durch die Welt zog, Aussätzige aufnahm und Gutes tat. Doch auch Selbstlosigkeit will gelernt sein und so wird durch kurze Episoden dokumentiert, wie sich seine Freunde anfangs schwer tun und vor lauter Gutmütigkeit die eigennützigen Bedürfnisse nicht außer acht lassen. Erst spät erkennen sie, wie materieller Besitz mitunter belasten kann. Erst der Verzicht ebnet den Weg in die Freiheit.

"Wenn Danny an die alten Zeiten dachte, kam ihm in Erinnerung, wie köstlich die gestohlene Nahrung geschmeckt, und er ersehnte die Tage von einst zurück. Seit sein Erbteil ihn sozial gehoben, hatte er nicht viele Raufereien gehabt. Wohl war er betrunken gewesen, aber es hatte ihn nicht zum Abenteuer geführt; immer lastete das Gewicht des Eigentums auf ihm, immer drückte ihn die Verantwortung für seine Freunde."

Steinbeck schreibt einfach und schnörkellos, bisweilen kindisch naiv. Dennoch ein unterhaltsames Buch!
:stern: :stern: :stern: :stern:

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Re: Steinbeck, John - Tortilla Flat

Beitragvon Pippilotta » 06.02.2012, 12:04

Steht schon ewig auf meinem SUB, genauso wie andere Steinbeck Bücher ..... danke für die Rezi!
Herzliche Grüße
Pippilotta


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Re: Steinbeck, John - Tortilla Flat

Beitragvon mombour » 17.02.2012, 09:43

Hallo,

ich mag John Steinbeck sehr. "Tortolla Flat" war das erste Buch von ihm, welches ich vor knapp drei Jahren gelesen habe. ich mag auch die Lebenseinstellung, die John Steinbeck in seinen Romanen vertritt.

Tortilla Flat

John Steinbeck ließ sich in dem 1935 geschriebenen Roman von eigenen Erlebnissen inspirieren, die er als Gelegenheitsarbeiter in einer Zuckerfabrik mit mexikanischen Mitarbeitern erlebte. Steinbeck verlegt die Geschichte ins kaliforische Monterey, deren oberer Hügelbezirk „Tortilla Flat“ genannt wird. Dort leben Paisanos, Leute, mit einer „Mischung aus spanischem, mexikanischem und erlesenem kaukasischem Blut“. Der Roman handelt von Danny und seinen Freunden, einer Clique von Tagedieben, Habenichtsen, Landstreichern. Steinbeck zieht ausdrücklich eine Verbindung zu König Artus und seiner Tafelrunde.

Danny kehrt aus dem ersten Weltkrieg heim und erbt von seinem Großvater zwei Häuser. Für Danny, der in seinem Leben noch nie etwas besessen hatte, ist das natürlich etwas besonderes und sein Freund Pilon mahnt die Gefahren materiellen Besitzes: Besitz verändere den Menschen. Vorhaben, sein Eigentum mit seinen Freunden zu teilen, wenn man etwas hat, verfliegen, wenn man wirklich Eigentum besitzt. Danny werde nun seine Freunde verlassen, den Branntwein nicht mehr teilen. Danny verspricht das Gegenteil und schwingt sich zum Wohltäter auf. Ein Vagabund nach dem anderen wird irgendwo aufgelesen und zieht in das Haus ein. Großartige Stärke beweist Danny, als ein Haus infolge von Leichtsinn abbrennt. Das verlockt Danny zu einer Überlegung über die Vergänglichkeit irdischen Besitzes.

Auf den ersten Seiten des Buches ist schon klar, Steinbeck will nicht einfach eine Geschichte von Abenteurern erzählen, sondern er will den Lesern eine Botschaft vermitteln. Der Roman teilt sich in siebzehn einzelne Geschichten auf, manche könnten auch für sich alleine stehen, aber sie stellen letztlich doch ein Ganzes da. Die philosophischen Gedanken, die dem Roman sorgsam eingestreut sind, ohne das sie moralisierend wirken, machen den Roman lesenwert. Aber nicht nur das. Anstatt mit Moral sind die Abenteuer mit Humor gewürzt und einer manchmal seltsamen köstlichen Landstreicherlogik.

Der Roman hat einen religiösen Touch. So ist es unübersehbar, dass der Pirat, einer von Dannys Freunden, wie Franz von Assisi mit Tieren redet, und eine Frau, die nicht mehr weiß, von welchen Männern sie ihre Kinder hat, war zeitweise überzeugt, sie brauche dazu keinen Liebhaber mehr. Was für ein schelmischer Wink zur Jungfrau Maria. Manche Geschichten sind sehr wundersam und wirken mystisch.

Ganz bewusst gebe ich an dieser Stelle kaum Romaninhalt preis, weil ich der Meinung bin, damit einigen künftigen Leser um die Lesefreude zu bringen. Der Roman ist herzlich ironisch und ihr werdet bestimmt eure Freude an Steinbecks feinsinnigen Humor haben.

Im Fernsehen kann man gelegentlich Halbleichen-Promis sehen, die sich mit Gesichtsoperationen jung halten wollen und dicke Klunker um den Hals tragen. Was für eine widerliche Welt und schön sahen diese Frauen nicht aus. Natürlich denke ich dann an die Clique von „Tortilla Flat“, die solchen Mist nicht brauchen, auf Eigentum verzichten und trotzdem glücklich in den Tag hineinleben.

Am 27. Februar 2012 wäre er 110 Jahre alt geworden.

:stern: :stern: :stern: :stern:
Liebe Grüße
mombour
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