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Stendhal - Die Kartause von Parma




Stendhal - Die Kartause von Parma

Beitragvon mombour » 13.08.2011, 11:57

Hallo,

Stendhal: Die Kartause von Parma

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Die Kartause ist ein spannender Actionroman. Die ersten Kapitel handeln von Napoleonischen Kriegen, vom Einmarsch der Franzosen in Mailand (1796), zu dieser Zeit der Protagonist unseres Romans, Fabricio del Dongo, noch ein sehr kleines Kind ist und von Napoleons letzter Schlacht bei Waterloo, an deren Fabricio freiwillig teilnimmt. Dieses Waterloo hat Stendhal literarisch gut gestaltet. Besonders im ersten Kapitel hatte ich doch den Eindruck, historische Begebenheiten werden dem Leser einfach so vor die Nase gesetzt, weiterhin verwirrten mich die vielen Namen. Erst mit dem aktiven Auftreten Fabrizios gewinnt der Roman an Fahrt.
Der Erste Teil des Romans ist von einem rapiden Szenenwechsel gezeichnet, er wirkt gehetzt wie Fabrizio selbst, der innerhalb von etwa zwei Stendhalsätzen die Entfernung von Italien nach Paris zurücklegt, nur um Napoleon vor die Augen zu treten, was ihm allerdings nicht gelingt. Übrigens verpasst Fabrizio Napoleon dreimal, zuletzt in der Schlacht bei Waterloo, da er, als der Kaiser vorüberzieht, total betrunken ist. Vielleicht ist dieses Verpassen ein Stendahl'scher Fußtriitt gen Napoleon, Stendhal schon zu Beginn des Romans auf den Größenwahn Napoleons hinweist, Stendhal allerdings selbst mit Napoleon nach Moskau gezogen ist. Natürlich ich mich frage, warum ein Siebzehnjähriger kriegsbegeistert ist, auch noch, als so ziemlich neben ihm zwei Husaren zu Tode stürzen, ein Pferd sich in einer Blutlache quält. Fabrizio kommt erst zur Besinnung, als er soviel Blut verliert, dass ihm die französische Sprache hops geht Merkwürdig, gibt es so etwas oder hat Stendhal ein wenig fantasiert? Vielleicht war es einfach ein Volumenmangelschock.
Nach der Schlacht beginnt die Hetzjagd. Von seinem Bruder wird er denunziert, „weil er Napoleon Vorschläge einer weitverzweigten, im ehemaligen Königreich Italien organisierten Verschwörung hinterbracht habe.“ Natürlich stimmt das nicht. Der zweite Grund, warum Fabrizio im Ersten Teil des Romans gejagt wird, liegt darin, er hat einen Nebenbuhler ermordert. Dass es Notwehr war, interessiert seine Gegner am Hofe Ernestos IV. zu Parma nicht. Der Hof des Fürsten ist ein Nest von Intriganten.

Wie Fabrizio überhaupt an den Hof zu Parma gelangt ist, dazu muss ich weiter ausholen, meine Buchvorstellung aber, keine Bange, nicht zur zur Inhaltsangabe ausartet, aber durchaus interessant zu wissen, die Gräfin Signora Pietranera, Fabrizios Tante, für ihren Neffen geschwärmt, fast verliebt, aber wohl mehr platonisch, ach, er doch noch so jung, und, da Fabrizio nun in die Schlacht zog, die Grafin arg gelangweilt war, deswegen sie sich in den Graf Mosca verliebte, der in Parma Minister war. Meine Überlegung natürlich dahin geht, ob sich feine Damen heute auch noch aus Langeweile verlieben. Da die Liebe in Stendhals Werk wie auch in seinem Leben eine große Rolle spielt, muss Herr Stendhal das doch wissen. Ich drohe vom Strang abzudriften, aber , da wir bei der Liebe sind, bleiben wir vorerst bei der Liebe, denn Fabrizio gehetzt, wirkt auch gehetzt in der Liebe, er geht von Frau zu Frau, dass mir im wahrsten Sinne des Wortes schwindelig wird, ein Libertin, der nach einer Eroberung Ausschau nach der nächsten Eroberung hält, eine bedauernswerte Gestalt, von Einsamkeit geprägt, ähnlich wie Stendhal selbst kein Kostverächter war. Der abrupte Szenenwechsel im Ersten Buchteil sicher nicht der Unruhe Fabrizios geschuldet, sondern wohl eher darin, weil Stendhal den Roman innerhalb von 52 Tagen diktierte. Trotz berechtigter Kritik, Stendhal habe hier und dort geschluhrt, ist der Roman so spannend, dass ich gerne leichtfüßig über solche Fehler hinweggehe. Da studiert Fabrizio in Neapel Theologie, er soll Erzbischof in Parma werden, damit er nicht mehr wegen Spionageverdacht verfolgt werde, vom Studium der Leser aber gar nichts mitbekommt, wir bekommen auch gar nicht mit, ob er irgendwann ein Keuschheitsgelübde oder ähnliches ablegen muss, wir bekommen nur mit, Fabrizio beschäftige sich mit Frauen. Liebe Leser, ob sich Stendhal selbst in diesen Frauengeschichten spiegelt, das wird noch geklärt. Ich lese gerade die Biografie von Johannes Willms. Allerdings, und das verriet mir das Nachwort, Stendhal war archäologisch sehr interessiert und kaufte im Jahre 1832 in Misenum eine Büste des Tiberius, im Roman entdeckt Fabrizio, der sich der Archäologie widmet, eine Tiberius-Büste.
Interessant ist die Entstehungsgeschichte des Romans, auf der im Nachwort eingegangen wird (unbedingt die Übersetzung von Elisabeth Edl mit dem ausführlichen Anhang lesen). Im Frühjahr 1835 entdeckte Stendhal alte Handschriften aus dem 16. und 17. Jahrhundert, Geschichten von Liebe, Tod, Ehebruch, Inzest, Rache, Leidenschaft. Stendhal ließ sie kopieren. Aus diesem Fundus plante er diverse Erzählungen zu gestalten. Eine Geschichte ist darunter, die von der Jugend des Papstes Paul III. (Alessandro Farnese) handelt. Eine Geschichte handelt vom „Ursprung der Größe der Familie Farnese“, die diverse moralische Verfehlungen auflistet: krumme Wege auf dem Weg zum Reichtum und zur Macht usw. In dieser Geschichte finden sich viele Elemente, die der Leser in der Karthause von Parma, allerdings stark verfremdet, wiederfindet.

Im Roman wird immer wieder auf die Historie verwiesen, die offenbar in ehrwürdiger Erinnerung gepflegt wird:

„Dieser Turm, von den Farnese, den Enkeln Pauls III., nach dem Vorbild des Hadrian-Grabmals in Rom zu Beginn des 16. Jahrhunderts errichtet...,“
(der Turm gehört zum Gefängnis zu Parma)

Die Idee, Fabrizio soll Erzbischof zu Parma werden, gründet sich darauf, Fabrizio habe Vorfahren gehabt, die dieses Amt schon bekleidet hatten.

Für viele Herrscher, auch für Ernesto IV. zu Parma, galt Ludwig XIV., der Sonnenkönig, zum Vorbild.

„Die Herzogin fand, daß beim Fürsten die Nachahmung Ludwigs XIV. In manchen Augenblicken etwas zu auffällig war; zum Beispiel, wenn er gütig lächelte und dabei den Kopf zurückwarf...“

An dieser Stelle Stendhal natürlich herrlich ironisiert. Köstlich insgesamt, wie Stendhal die Sitten am Hofe Ernestos umschreibt, und wir erfahren nebenbei, warum sich die Untergebenen gepudert haben:

„...er hätte noch gut ausgesehen, wäre er nicht durch eine Schrulle seines Fürsten gezwungen gewesen, sich die Haare zu pudern, als Beweis aufrechter politischer Gesinnung.“

Wenn Fabrizio im Zweiten Teil im Gefängnis harrt, die Liebesgeschichte zwischen ihm und Clelia sich entfaltet, meiner Meinung, der Höhepunkt des Romans (man lese selbst) so assoziiere ich das gerne mit alten Ritterromanen, Clelia auch so etwas wie eine Märchenprinzessin, die viele Männer abweist, der Vater, der sie verheiraten will, deswegen sehr aufgebracht ist, allerdings Stendhal Clelias Weg in die Liebe ganz anders als im Märchen zu Ende bringen lässt , das Romanende mich in vieler Hinsicht enttäuscht hat, Stendhal, seinen doch lesenswerten Roman zum Ende hin einfach nur abwürgt. Offenbar hatte Stendhal keine Lust mehr, wie Tolstoi am Ende von „Auferstehung“. Trotz einiger Schwächen, mir der Roman im Gedächtnis bleiben wird. Stendhal fasziniert irgendwie doch.

Liebe Grüße
mombour
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