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Mario Vargas Llosa hat geschrieben:Ich schrieb Buchbesprechunngen und Reportagen in Kulturbeilagen und Zeitschriften von Lima. Ich publizierte sie unter Pseudonym, um mich weniger darüber schämen zu müssen, wie schlecht sie waren.
Obwohl der Roman viel triviales enthält, ist der Roman nicht trivial, weil er einfach gut geschrieben, also schämen muss sich Vargas Llosa keineswegs. Was kann er auch dazu, wenn das Leben manchmal trivial erscheint. Da heiratet jemand seine Tante, obwohl er noch nicht volljährig ist. Die Suche nach dem Bürgermeister, der sie endlich traut, ist ein Klamauk, eine Comedy auf hohem Niveau. Jahre später heiratet er seine Cousine. Soll man es glauben? Ja,doch, diese autobiografischen Bezüge stimmen.
Tante Julia, eine 32 Jährige Frau aus Bolivien, frisch geschieden, kommt nach Peru, um sich einen neuen Partner zu suchen. Ihr Neffe, der 18 Jahrige Jurastudent Mario, der sich nebenbei Geld als Nachrichtenchefs einem Radiosenders, verdient, verliebt sich in Tante Julia. Es dauert nicht lange, dann schäkern sie im Kino herum. Hinterlässt es schon einen boulevardmäßigen Eindruck, wenn der Text von Nachrichtensendungen aus diversen Zeitungsartikeln zurechtgeschustert wird, um ihn als Nachrichten senden zu können, kommt mir schon ein Schmunzeln auf, wenn Tante Julia ihrem Mario sagt.:
Mario Vargas Llosa hat geschrieben:Das Schreckliche am Geschiedensein ist nicht, daß alle Männer glauben, sie müßten einem irgendwelche Anträge machen...sondern daß sie meinen, nur weil mal geschieden ist, brauche man keine Romantik mehr....
Auf den ersten Blick erscheint das flachhirnig und kitschig, und das im 20 Jahrhundert? Jawohl. In manchen Szenerien geht es ganz allgemein über strenge Sexualmoral, wie man ihnen auch in Ostanatolien oder in anderen Gegenden heute noch findet. Da braucht man eine Frau nur anschauen usw. und muss sie dann gleich heiraten. Gerade habe ich eine Erzählung des kenianischen Schriftstellers Ngũgĩ wa Thiong’o gelesen, in der einer Frau ein unerhörter Makel angelastet wird, weil sie keine Kinder bekommt. Was wissen wir schon von der Sexualmoral im Peru der 50er Jahre des 20 Jahrhunderts? Ich halte es durchaus für möglich, dass dort das Ansehen einer geschiedenen Frau für immer beschädigt war.
Jetzt muss ich noch den Hörspielautoren Pedro Camacho erwähnen, der mit seinen trivialinhaltigen Hörspielen sehr erfolgreich ist (im Gegensatz zu Mario, der davon träumt ein Schriftsteller zu sein, mit seinen Geschichten keinen Erfolg zu buchen hat). Die Menschen lieben triviales und Mario Vargas Llosa lässt die Hörspiele laufen, abwechselnd mit den Szenen um Tante Julia und ihrem Varguitas, und die Hörspiele haben auch mir am besten Gefallen. Der Humor liegt einer grotesken Überhöhung zugrunde. So kritisiert Vargas Llosa die strenge Moral von Zeugen Jehovas, in dem er einen Vergewaltiger aus dieser Sekte auftreten lässt. Grotesk auch, die vergreisten Zieheltern des vergewaltigten Mädchens fordern, der Vergewaltiger müsse nun, weil er der Kleinen die Jungfräulichkeit genommen hat, sie heiraten. Komisch und tragisch. Der Leser wird mit absurdem Horror nicht geschont, auch davor nicht, warum Don Federico Téllez Unzátegui zum perversen Nagetiermörder geworden ist. Dieser Action erscheint trivial birgt aber immer Nachdenkliches und Gesellschaftskritisches, gerade darum mag ich das lesen.
Mir hat auch das Kapitel mit dem Wachtmeister Lituma sehr gefallen, der übrigens in diversen Romanen von Mario Vargas Llosa auftaucht, in „Tod in den Anden“ sogar zum Korporal befördert als Protagonist erscheint. In dem Hörspiel von Camacho ist das Verhalten des Wachtmeisters und der anderen Polizisten äußerst trivial und mit Dummheit geschlagen. Ein schwer verletzter nackter Schwarzer, der nur Laute von sich bringen kann, wird gefunden. Ich vermute, wörüber allerdings bewusst nicht spekuliert wird, der Mann wird Opfer eines Verbrechens geworden sein, Vargas Llosa dem Leser aber aufzeigen will, wie im untersten Niveau eines unsäglichen Klatschblattes infolge unerhörter Vermutungen und Spekulationen ein Mensch zum Tode gerichtet werden soll. Es gibt kein Gerichtsurteil, keine Justiz. Das ist doch Selbstjustiz. Theoretisch denkbar, dass Vargas Llosa auf irgendwelche Ereignisse in Peru anspielt, in dieser Geschichte aber herrlich übertreibt.
„Tante Julia und der Kunstschreiber“ zollt dem Franzosen Honoré de Balzac Referenz, indem Personen in den Hörspielen später in anderen Hörspielen noch einmal auftauchen lässt. Balzac pflegte dieses in seiner „Menschlichen Komödie“ zu tun. Dieses Verfahren wird aber in den Hörspielen insofern überzogen, dass darin diverse Identitäten ineinander verschmelzen, so dass deren wirkliche Identität nicht geklärt werden kann. Hierin vermute ich einen Spaß, den Mario Vargas Llosa sich geleistet hat.
Liebe Grüße
mombour