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Wolf, Christa - Der geteilte Himmel




Wolf, Christa - Der geteilte Himmel

Beitragvon marilu » 29.03.2007, 07:44

Ich hoffe, die Kategorie "Klassiker" passt, aber da es den Staat, den Christ Wolf beschreibt (DDR) nicht mehr gibt, bin ich mir sicher, dass "Der geteilte Himmel" hier gut reinpasst.

Inhalt:

Erzählt wird vordergründig die Geschichte von Rita Seidel und ihrem Freund Manfred Herrfurth und dabei beinhaltet der Roman so viel mehr. Die beiden lernen sich 1959 in Ritas Dorf kennen, wo sie arbeitet und gelangweilt ist. Auch Manfred, Besuch aus der Stadt, ist gelangweilt und abgestumpft. Ihre gemeinsame Sehnsucht nach Wärme, Geborgenheit und Liebe verbindet sie.

Nach dreimonatiger Fernbeziehung beschließt Rita, ihren Job zu kündigen und sich dem Lehrerseminar in der Stadt anzuschließen. Sie zieht zu Manfred in das Haus seiner Eltern ein (entgegen der Wünsche seiner Mutter) und beginnt ein für sie neues und aufregendes Leben.

Bevor sie allerdings mit ihrer eigentlichen Ausbildung beginnen darf, muss sie mehrere Monate in der Mildner-Waggonba-GmbH verbringen, weil "jeder Lehrer heutzutage einen Großbetrieb kennen muss" (1959). Dort fällt sie natürlich sehr auf. Sie wird aber bald akzeptiert und agiert als stummer Beobachter der Situation vor Ort: Mangelwirtschaft, stagnierende Produktion, dann wieder Produktion im Überfluss und über allem der sich "formende Sozialismus".

Unter diesen Gegebenheiten lebt sie sich in der Stadt (Halle?) ein und wird erwachsen. Manfred ist und bleibt lange Zeit ihr Lebensmittelpunkt. Auch wenn sie Freundschaften schließt und unabhängig von ihm wird. Doch Manfred ist dem Druck, der Heuchelei und der Propaganda der neuen Gesellschaft nicht gewachsen und wird zunehmend verzweifelter. Er sieht nach langem Abwägen seine einzige Chance zu überleben, darin in den Westen zu gehen. Und so kommt er eines Tages im Jahr 1961 von einem Chemikerkongress in Berlin nicht wieder...

Meine Meinung:

Ich habe dieses Jahr schon einige sehr gute Bücher gelesen, aber dieses hier lässt mich gar nicht mehr los! Der Leser weiß von Anfang an, dass die Beziehung zwischen Manfred und Rita gescheitert ist, denn die Geschichte wird in Rückblicken erzählt. Man muss schon sehr genau lesen, um sich in den wechselnden Zeit- und Erzählformen nicht zu verlieren, aber wer durchhält wird mit einem außerordentlich vielseitigem Roman belohnt.

Wie gesagt, erzählt Christa Wolf vordergründig eine Liebesgeschichte, die sehr anrührend und lebensnah beschrieben ist. Sie findet tolle Beschreibungen für das Verhältnis von Manfred und Rita, deren Zusammenleben nicht immer einfach ist.

Daneben spielt der Arbeitsalltag von - vor allem Rita - eine bedeutende Rolle. Aber auch andere Personen "berichten" ihre Erfahrungen. Besonders hervorheben muss man hier wohl die Figuren Rolf Meternagel, Ernst Wendland und Erwin Schwarzenbach. Ritas Einstellung zu ihrer Arbeit möchte ich gerne zitieren, sagt er doch auch viel über ihre Erwartungen und Gedanken aus:

S. 21 hat geschrieben:Beim Schreiben merkte sie beschämt, dass sich ihr ganzes Leben auf einer halben Seite unterbringen ließ. Jedes Jahr, dachte sie, müsste man seinem Lebenslauf wenigstens einen Satz zufügen können, der das Aufschreiben wert ist.


Interessant ist für mich auch gewesen, dass hier aufgrund der Zeit, in der es spielt, drei Generationen aufeinandertreffen, die kaum Verbindungen zueinander haben, z. B.

Ulrich Herrfurth (Jahrgang 1910), Manfreds Vater
Manfred Herrfurth (Jg. 1930)
Rita Seidel (Jg. 1940)

Die auftretenden Generationenkonflikte sind natürlich geschichtsbedingt, aber in einer Weise eindringlich, die mir mal wieder vor Augen führte, wie stark geschädigt damals alle vom Krieg und seinen Folgen waren.

Man muss bedenken, dass der Roman zu einer Zeit geschrieben wurde, als die Schriftsteller der DDR durch die Bitterfelder Doktrin aufgefordert waren, in den Betrieben des Landes die Arbeiter klennenzulernen und ihre Erfahrungen in ihren Schriften zu verarbeiten. Ziel war natürlich, den Arbeiter zu erreichen und ihm Literatur nahezubringen (bzw. ihn zum künstlerischen Schaffen zu animieren). Dies scheint in "Der geteilte Himmel" immer wieder durch. Zudem geht es aber auch darum, seine Zweifel an der neuen Ordnung "einordnen zu lernen". Christa Wolf macht ganz klar, dass von Anfang an nicht alle der SED hörig waren und zieht Grenzen zwischen den Funktionären, Kommunisten und den Politikverdrossenen. Ehrlich gesagt, war ich erstaunt, wieviel Kritik in dem Roman steckt. Naiverweise dachte ich, dass sei verboten gewesen und Grund für Zensur und Publikationsverbot. Aber in den 50er und frühen 60ern war man wohl noch etwas freier in seiner Meinungsäußerung als später.

Es gäbe noch soooooo viel anzumerken, aber wo anfangen, wo aufhören?! Deshalb nur noch mein Fazit:
:stern: :stern: :stern: :stern: :stern: :thumleft:

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Beitragvon Voltaire » 29.03.2007, 08:10

Ich finde ganz persönlich, dass die Bücher von Christa Wolf eigentlich immer ein Leseerlebnis sind. Leider, leider wird diese brillante Autorin oftmals nur auf ihre DDR-Vergangenheit reduziert, gerade auch von den Leuten, die nicht in der DDR gelebt haben.

"Der geteilte Himmel" ist ohne Frage ein ganz wichtiges Teil der deutschen Nachkriegsliteratur, und braucht sich auch nicht hinter Grass, Böll, Walser oder Lenz zu verstecken. Auch die DDR hatte durchaus ihre Literaturhighlights.
Voltaire
 

Beitragvon Welf » 29.03.2007, 08:46

Hallo marilu,

nun hast Du mich aber richtig neugierig auf diesen Roman gemacht, welchen ich bei einem meiner letzten Buchhandlungsbesuche erstanden habe.
Ich denke, das Buch wird nun aufgrund deiner tollen Beschreibung nicht mehr besonders lange auf meinem SUB verweilen müssen.

Gruß
Richard
Welf
 

Beitragvon marilu » 29.03.2007, 09:55

@Welf:
Dir gefällt das Lesen des Romans bestimmt!
Nimm dir viel Zeit und halt deinen Kopf frei, dann lässt er sich gut verstehen! :thumright:
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Beitragvon Karthause » 29.03.2007, 11:13

Als gelernte DDR-Bürgerin sollte ich mir dieses Buch vielleicht auch mal vorknöpfen. Aber ich habe ein ganz massives Vorurteil gegen die Autorin. :roll: Naja, das könnte ich dann ja gleich mal bekämpfen.
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Beitragvon marilu » 29.03.2007, 19:31

karthause hat geschrieben:Als gelernte DDR-Bürgerin sollte ich mir dieses Buch vielleicht auch mal vorknöpfen. Aber ich habe ein ganz massives Vorurteil gegen die Autorin. :roll: Naja, das könnte ich dann ja gleich mal bekämpfen.


Ganz neugierig gefragt: Was für Vorurteile hast du denn?
Ich kenne mich zu wenig mit ihrer Biografie aus (habe nur mal gelesen, dass sie auch IM war :?:, und eine gute Beziehung zu ihrem Mann hat, aber dann hört es dann schon auf). Vielleicht sollte ich mal beginnen, mich intensiver mit den Autoren zu befassen, die ich lese...

Du wirst das Buch aufgrund deiner Geschichte bestimmt ganz anders lesen als ich. Für mich kam halt durch, dass sie sich sehr für Einzelschicksale interessiert und an das Humane im Leser appelliert, auch wenn alles um ihn herum zerfällt.
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Beitragvon Karthause » 29.03.2007, 21:50

Ich habe Christa Wolf als Jugendliche im Literaturclub unserer Stadt live erlebt. Sie war mir zu überzeugt. Heute frage ich mich, ob das wirklich echt war, oder lediglich der Imagepflege diente. Sie war mir auch nicht sonderlich sympathisch. Also kam daraus die Schlussfolgerung einer 16-(?)-jährigen, deren Bücher ignoriere ich. Das hat nichts damit zu tun, dass sie IM gewesen soll. Mir oder meiner Familie hat sie keinen Schaden zugefügt. Wie ich schrieb, es sind blanke, eigentlich unfundierte Vorurteile.

Ich werde mich mit ihr doch mal näher befassen. "Störfall" steht seit etwa 20 Jahren angelesen im Regal. Vielleicht sollte ich damit beginnen. :wink:
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Beitragvon marilu » 30.03.2007, 05:26

Danke für deine Antwort!

Das mit dem Bauchgefühl ist so eine Sache - bei mir ist davon diese selbstherrliche Männerriege betroffen: Walser, Karasek, Reich-Ranicki. Da kannst du mir noch so viel von ihnen schenken: lesen würde ich nichts von ihnen. 8)
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Beitragvon tom » 11.05.2007, 06:55

Nun, inzwischen habe ich "Der geteilte Himmel" gestern zuende gelesen und mir schwirrt noch der Kopf. Ohne Zweifel weiss die Frau zu schreiben!!! Ich bereue es nicht, ihr also "nochmals eine Chance gegeben zu haben".

Erst einmal gelingt es Marilu echt gut, die ja nicht lineare Geschichte einzufangen und den Inhalt zusammenzufassen.
Bei der Interpretation, dem mir zugesprochenen Stellenwert des Geschriebenen, empfinde ich aber leicht anders, bzw. will hier meinen Senf zugeben.

Die vermeintliche offene Kritik ist stets (?) eine Kritik an den Menschen, an JENEN Menschen, die sei es eigentlich als Wendehälse noch halb Erben der braunen Vergangenheit sind oder aber als reine "Schmarotzer" möglichst an der Niedrigkeitsgrenze z.B. des Arbeitseinsatzes leben. Diese Menschen werden oft als die eigentlichen Hemmschuhe der wahren Entwicklung des Sozialismus dargestellt. Sie sind "ohne Ideale", auf sich aus, oft noch halb in der braunen Vergangenheit lebend, die immer wieder sehr geschickt durchleuchtet.

Die von Fezzig erwähnten Personen Wendland, Schwarzenbach und Meternagel dahingegen sind die Verkörperungen des engagierten Arbeiters. Sie stehen für einen "Idealismus" und einer besseren Gesellschaft, die in diesem Buch alleine dem Soialismus zugeordnet sind. Der Westen wird nicht einfach mit rein höhnischen Argumenten niedergekämpft, so wie die anscheinende Kritik an den Missständen im eigenen Land nicht einfach schöngeredet werden, doch es bleibt kein Zweifel, wo "die Wahrheit" ist, bzw. auch das Leben, die Ideale etc. Bei meinem Lesen versuchte ich aufzupassen, welche Attribute wem zugeordnet waren..., das war schon sehr bezeichnend. Rita wird von diesen einfachen Figuren angezogen/fühlt sich "geistig" ihnen nahe: neben (?) der Beziehung zu Manfred (der nicht nur als Verzweifelter dargestellt wird, sondern auch als auf seine eigene Verwirklichung Strebender in der Forschung; "kalt", "unberührbar", ohne Ideale, Hoffnung etc..., auch - trotz des oberflächlichen Bruches mit seinen ehedem rechts angesiedelten Eltern - als eben deren Erbe und Fortführer = Bild der "BRD"...) gewinnt in ihr die Gewissheit Raum, dass ihr Platz nicht in diesem Westen ist (siehe Berlintour), wo die Menschen letztlich nur sich selbst nachlaufen.

Bei aller eingeräumten Kritik an der eigenen Wirklichkeit wird in gewissem Sinne nie das System an sich in Frage gestellt. "Man gebe uns noch... Jahre." Geduld, Geduld.
Gab es aber nicht auch gewisse Werte auf der anderen Seite, sprich dem Westen?

Ich teile die Sehnsucht nach einer Gesellschaft, in der der Einzelne sich auch voll hineingibt UND der Staat eine gewisse Grundsicherheit, Gerechtigkeit verkörpert. In diesen ersten Jahren der 60iger sah dies Christa Wolf in der DDR anscheinend gegeben, angestrebt.

Ich glaube, dass wir heute mit dem Abstand der Jahre, auch noch anderes sagen können...

(Ich kann mir vorstellen, dass sich dieses Buch gut für eine Leserunde eignen würde! Ich empfehle es als Lektüre und Zeitzeuge. Glaube aber, dass man wirklich zwischen den Zeilen fein lesen muss, um zu unterscheiden zwischen Kritik am Äußeren und der eigentlichen Ausrichtung. )

Was Deine Zwischenbemerkung anbetrifft, dass Wolf an Einzelschicksalen interesiert sei... will ich nicht böse widersprechen, "aber": Rita wird ihre Beziehung abbrechen nicht so sehr, weil sie Manfred nicht mehr lieben würde,m.E., sondern - was ich irgendwo auch gut finde oder verstehe - weil sie zurück an den Ort gehen will, wo sie auch "GESELLSCHAFTLICH" zu Hause ist. Es geht ben nicht nur um "Einzelne" in gewisser Hinsicht. Die Personen des Romans stehen irgendwie auch als "Typen", Metaphern für verschiedene Einstellungen zu sich selbst und der Gesellschaft. (Oder was meintest Du als Du andeutetest, dass es nur "vordergründig" um eine Liebeseziehung geht etc.?)

GENUG für heute, aber mir kribbeln die Finger immer noch.
tom
 

Beitragvon marilu » 12.05.2007, 07:59

Hallo Tom!

Entschuldige, dass ich mich erst heute zu Wort melde. Ich habe deinen Kommentar zwar gestern schon gelesen, hatte aber keine Gelegenheit direkt zu antworten.
tom hat geschrieben:Rita wird ihre Beziehung abbrechen nicht so sehr, weil sie Manfred nicht mehr lieben würde,m.E., sondern - was ich irgendwo auch gut finde oder verstehe - weil sie zurück an den Ort gehen will, wo sie auch "GESELLSCHAFTLICH" zu Hause ist. Es geht ben nicht nur um "Einzelne" in gewisser Hinsicht. Die Personen des Romans stehen irgendwie auch als "Typen", Metaphern für verschiedene Einstellungen zu sich selbst und der Gesellschaft. (Oder was meintest Du als Du andeutetest, dass es nur "vordergründig" um eine Liebeseziehung geht etc.?)


Was ich sagen wollte, ist, dass man das Buch oberflächlich lesen kann und dann die Liebesbeziehung im Mittelpunkt steht. Macht man sich allerdings die Mühe tiefer zu schauen, erkennt man, dass die Beziehung ein Sinnbild für die Aufbaujahre der DDR sind. Anhhand der einzelnen Figuren wird die private Auseinandersetzung mit der neuen Gesellschaftsordnung veranschaulicht. Das ist wahrscheinlich das, was du als "Typen" bezeichnest.

Ich finde die Perspektive sehr interessant, denn Rita/Christa stehen ja für den "reinen Glauben" an den Sozialismus - im Kontrast zu den Parteichargen, den Illusionslosen und den Ewiggestrigen. Sie ist wie ein Licht in der "Gegenwart", übt wenn nötig Kritik an den Zuständen, glaubt aber daran, eine gerechte, soziale Welt entestehen lassen zu können. Aus ihren Augen scheint alles möglich, wenn man nur etwas Zeit hat...

Was daraus geworden ist, weiß man ja. Aber die damalige Hoffnung werden sicher einige - ich sage jetzt mal Träumer - gehabt haben, gab es doch bereits früh Anzeichen dafür, dass der Sozialismus nicht in reiner Form entstehen würde.

tom hat geschrieben:Die vermeintliche offene Kritik ist stets (?) eine Kritik an den Menschen, an JENEN Menschen, die sei es eigentlich als Wendehälse noch halb Erben der braunen Vergangenheit sind oder aber als reine "Schmarotzer" möglichst an der Niedrigkeitsgrenze z.B. des Arbeitseinsatzes leben. Diese Menschen werden oft als die eigentlichen Hemmschuhe der wahren Entwicklung des Sozialismus dargestellt. Sie sind "ohne Ideale", auf sich aus, oft noch halb in der braunen Vergangenheit lebend, die immer wieder sehr geschickt durchleuchtet.


Da hast du recht, aber diese Menschen leben nunmal in der Gesellschaft. Wie will man ihre Illusionslosigkeit brechen und sie davon überzeugen, dass in der Zukunft eine bessere Welt auf sie wartet? Christa Wolf gelang es auch sehr gut, die Gründe greifbar zu machen, warum Manfreds Generation z. B. so illusionslos ist. Wie kann der Staat da greifen und die Vergangenheit vergessen machen, um den Boden für eine sozialistische Gesinnung zu legen, wenn es niemanden und nichts mehr gibt, an das sie glauben? Oder die Kriegsgewinnler, bzw. -verbrecher? Was kann/soll mit ihnen geschehen?
Dass es nicht gelang, diese großen Schichten zu erreichen, macht den Sozialismus zur Utopie. Menschen in der Masse sind nunmal nicht edel und gut - zwei Voraussetzungen für einen funktionierenden Kommunismus.

"Der geteilte Himmel" wirft viele Fragen auf und lässt den Leser selbst zu Antworten kommen. Das hat mir sehr gut gefallen!
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Beitragvon tom » 12.05.2007, 13:30

Hallo Marilu!

Ich habe ja auch schon auf eine Reaktion von Dir gewartet!!! Danke also nun für Deine Gedanken.

Ganz bestimmt schreibt Wolf nicht aus Zwängen allein heraus, sondern verkörpert mit Rita einen Idealismus. Ich glaube, dass wir uns da verstanden haben und einig sind. Es ist nicht fair, wenn man im Nachhinein oder aus dem Abstand der erlebten Erniedrigungen heraus dem/der anderen die guten Motive abspricht. Man sieht es in den Anfängen gewisser Gesellschaftsutopien immer wieder... Auch die dann totalitäre UdSSR brachte Menschen hervor, die an einen Fortschritt, eine "bessere" Gesellschaft glaubten... Ich denke besonders an Platonov oder teils auch Gorki, andere "Utopiker" etc. Für mich hat das was überaus Anziehendes: wer möchte nicht für eine bessere Gesellschaft eintreten?

Aber sieht Frau Wolf, dass die Verweigerung in der konkreten DDR eben nicht nur vom Einzelnen kam, sondern quasi durch die Gegebenheiten aufgezwängt wurden? Dass der Staat freiheitsliebende Menschen "rausgeekelt" hat? Muss ich konkret werden und die Geschichte meiner Eltern erzählen, die quasi gezwungen wurden, ihre Heimat zu verlassen, weil ihnen die Zukunft verbaut wurde von seelenlosen Apparatchiks? Im Buch - das ist mein Kritikpunkt - liegt der Grund des Auseinanderfallens zwischen Utopie und dann den diese Gesellschaft den Rücken Kehrenden immer an denen. In Wirklichkeit hat dieser Staat aktiv gute Menschen ins Exil geschickt, bzw. durch seine Scheinheiligkeit Menschen die Illusionen genommen...
Will auch sagen: Der Verlust der Ideale, "Illusionen" (das klingt ja immer schon direkt negativ) ist nicht nur der Grund für das Versagen der Gesellschaft, sondern diese konkrete DDR hat Menschen ihre Ideal verlieren lassen...

Na, auf jeden Fall ein "reiches" Buch, das viel Stoff in sich birgt!
Zuletzt geändert von tom am 13.05.2007, 18:20, insgesamt 1-mal geändert.
tom
 

Beitragvon marilu » 13.05.2007, 06:17

Nur kurz an dieser Stelle:
Ich fahre in 30 Minuten zu einer Fortbildung. Ich werde erst morgen nacht zurück sein. Wahrscheinlich werde ich dir dann Dienstag nachmittag hier antworten. Im Moment passt es mir leider nicht, noch eine Antwort zu schreiben.

Aufgeschoben ist nicht aufgehoben...
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Beitragvon marilu » 16.05.2007, 05:44

tom hat geschrieben:Ganz bestimmt schreibt Wolf nicht aus Zwängen allein heraus, sondern verkörpert mit Rita einen Idealismus. Ich glaube, dass wir uns da verstanden haben und einig sind. Es ist nicht fair, wenn man im Nachhinein oder aus dem Abstand der erlebten Erniedrigungen heraus dem/der anderen die guten Motive abspricht. [..] Für mich hat das was überaus Anziehendes: wer möchte nicht für eine bessere Gesellschaft eintreten?


Für mich erhöhte diese Hoffnung der Autorin ganz klar den Charme des Buches. Obwohl man beim Lesen weiß, dass alles Hoffen müßig war, wird man - rein unterbewusst - dennoch dazu angehalten, mitzuhoffen.

tom hat geschrieben:Aber sieht Frau Wolf, dass die Verweigerung in der konkreten DDR eben nicht nur vom Einzelnen kam, sondern quasi durch die Gegebenheiten aufgezwängt wurden? Dass der Staat freiheitsliebende Menschen "rausgeekelt" hat? Muss ich konkret werden und die Geschichte meiner Eltern erzählen, die quasi gezwungen wurden, ihre Heimat zu verlassen, weil ihnen die Zukunft verbaut wurde von seelenlosen Apparatchiks?


Mir war auch zu wenig Kritik in dem Roman. Deshalb möchte ich gerne einige spätere Werke von Christa Wolf lesen, um einen Eindruck davon zu bekommen, wie sie vom Leben in der DDR beeinflusst wurde.

1961 hatte sie ja gerade ihre Zeit in dem Waggonwerk hinter sich und war noch stark davon beeinflusst. Außerdem schien sie sich an das literarische Programm der SED zu halten - Aufnahme von den Fragen, die Arbeitern beschäftigen und gleichzeitiges Beschwichtigen der Sorgen. Mir stellte sich beim Lesen die Frage: in wie weit lässt sie dabei ihre eigene Meinung einfließen?

tom hat geschrieben:Im Buch - das ist mein Kritikpunkt - liegt der Grund des Auseinanderfallens zwischen Utopie und dann den diese Gesellschaft den Rücken Kehrenden immer an denen. In Wirklichkeit hat dieser Staat aktiv gute Menschen ins Exil geschickt, bzw. durch seine Scheinheiligkeit Menschen die Illusionen genommen...


Das kann ich nur bestätigen. Aber du musst dir halt auch vor Augen führen, wer das Buch wann geschrieben hat. Dass es hier um Werbung für die DDR geht, war mir bereits bei der Aufnahme der Lektüre klar. Vor dem Hintergrund hatte ich eigentlich noch stärkere "Werbung" erwartet und weniger Auseinandersetzung mit den verschiedenen politischen und wirtschaftlichen "Strömungen".
Ein kritisches, objektives Buch war zu der damaligen Zeit wohl eher Mangelware, oder?
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