Krümels-Bücherwelt ...

... ein Literaturforum der anderen Art

Shriver, Lionel - Wir müssen über Kevin reden




Shriver, Lionel - Wir müssen über Kevin reden

Beitragvon Karthause » 03.02.2008, 19:37

Gebundene Ausgabe: 560 Seiten
Verlag: List
ISBN-13: 978-3471786796


Kurzbeschreibung www.amazon.de
Wir müssen über Kevin reden wurde durch Mundpropaganda ein Erfolg in Amerika und England, sorgte allseits für Aufsehen und bot Stoff für zahlreiche kontroverse Debatten. Die Autorin wurde für das große Wagnis, das sie mit diesem Roman eingegangen ist, mit dem Orange Prize ausgezeichnet, einem der wichtigsten internationalen Literaturpreise. Evas Sohn Kevin hat eine furchtbare Gewalttat begangen: In der Schule hat er mehrere Menschen getötet. Von allen verurteilt und von jetzt an auf sich selbst gestellt, findet Eva den Mut, sich in aller Offenheit den quälenden Fragen auszusetzen: Hätte sie ihr Kind mehr lieben sollen? Hätte sie das Unglück verhindern können? Hätte sie ihre Ehe retten können? Stilistisch brillant und mit erschütternder Klarheit lotet dieser Roman die Tiefen und Untiefen der modernen Gesellschaft aus. Lionel Shriver erzählt aus der Sicht einer Mutter, die sich auf schmerzhafte und ehrliche Weise mit Schuld und Verantwortung auseinandersetzt.

Meine Meinung
Kevin Khatchadourian war kein Wunschkind. Eva, die Verlegerin von Reiseführern und Franklin, der Location-Scout, entschlossen sich für ein Kind, weil es ihrer Meinung nach zu einer perfekten Familie gehört. Doch mit der Geburt des Jungen wurde alles anders. Damit ist aber nicht nur die normale Veränderung im täglichen Leben nach der Geburt eines Kindes gemeint, die jede junge Familie trifft. Eva konnte für ihr Kind nichts empfinden, Kevin lehnte seine Mutter vom Tage seiner Geburt ab. Diese Situation zieht sich als roter Faden durch den gesamten Roman. Ganz anders ist das Verhältnis Evas zu ihrer Jahre später geborenen Tochter Celia.
„Wir müssen über Kevin reden“ ist ein Briefroman, eine Art Literatur, die ich nicht unbedingt bevorzuge. Aber dieser Roman ist anders. Eva schreibt in diesen Briefen ihre Sicht der Dinge an ihren (Ex-?)Mann Franklin. Darin beschreibt sie ihr Leben bevor sie Franklin kennen lernte und schildert auch, wie es zu der Entscheidung für das Kind kam und welche Zweifel sie ständig hegte. So begleitet der Leser die Familie über einen Zeitraum von fast 20 Jahren, bis Kevin dann wenige Tage vor seinem 16. Geburtstag die unfassbare Tat begeht. Er läuft an seiner Schule Amok. Aus dem Klappentext ging das schon hervor und mit diesem Wissen ausgerüstet, bewertete ich beim Lesen jedes Problem, das bei Kevins Entwicklung auftrat. Mit Eva und ihrer Auffassung, Kevin sei von Geburt an böse, konnte ich mich den ganzen Roman über nicht anfreunden. Unzufrieden war ich über weite Strecken, dass in den Briefen von Eva nie Bezug auf eine Antwort Franklins genommen wurde, auch das löst sich zum Ende hin auf.
Zu Beginn des Buches hatte ich einige Probleme mich in Evas Gedankenwelt zurechtzufinden. Ihre Art mit Kevin umzugehen, war mir nicht immer verständlich. In ihren Briefen geht sie mit sich selbst ins Gericht, sucht die Ursachen für diese Schreckenstat nicht zuletzt bei sich selbst und erscheint erbarmungslos ehrlich dabei.
Lionel Shrivers Stil habe ich als sehr eindringlich empfunden. Der Roman liest sich als würde Eva über ein reales Geschehen schreiben, dem ist aber nicht so. Die Autorin hat sehr realitätsnah geschrieben. Ich habe das Buch nun schon einige Tage beendet, aber in Gedanken bin ich immer noch bei der Familie Khatchadourian. Dieses Buch ist fesselnd, berührend, erschreckend und bedrückend zugleich. Nach der letzten Seite hätte ich gern über Kevin geredet, aber auch über Eva, Franklin und Celia.

:stern: :stern: :stern: :stern:

Bild
Viele Grüße
Karthause

Mein Blog

Fliegen kannst du nur gegen den Wind.
Benutzeravatar
Karthause
SuB-Betreuerin
SuB-Betreuerin
 
Beiträge: 7199
Registriert: 19.04.2006, 19:07
Wohnort: Niederrhein

von Anzeige » 03.02.2008, 19:37

Anzeige
 

Beitragvon Pippilotta » 16.02.2008, 15:03

Der Inhalt wurde von Karthause schon erzählt, darauf möchte ich nicht näher eingehen.

Ich hatte auch extreme Probleme mit Eva, der Mutter von Kevin. Unter diesen Voraussetzungen wäre es wohl besser gewesen, sie wäre kinderlos geblieben, es kann ja nur schiefgehen. Ihr Verhalten fand ich auf weite Strecken hin ebenfalls unverständlich, wie kann ein erwachsener Mensch nur so egoistisch, egozentrisch, unnachgiebig und eigensinnig sein. Für eine Mutterschaft die denkbar schlechtesten Voraussetzungen! Auch die Entscheidung, ein zweites Kind zu bekommen, halte ich zwar für nachvollziehbar (sie wollte beweisen, dass sie doch fähig ist, einen Menschen zu erziehen und ein Kind zu lieben), entspringt aber letztendlich trotzdem auch ihrem unfassbaren Egoismus.

Wie Karthause schon erwähnt hat, wirft dieses Buch sehr viele kritische Fragen auf. Inwieweit ist die Erziehung schuld? Kann man als Eltern so etwas verhindern? - Ich bin normalerweise seeeehr vorsichtig damit, den Eltern die Schuld zu geben, wenn ein Kind auf die falsche Bahn gerät, so viele Einflüsse entziehen sich der elterlichen Aufsicht. Doch in diesem Fall bin ich fast schon geneigt zu sagen, dass Eva und auch Franklin zumindest eine Teilschuld trifft. Aber im Nachhinein ist man immer klüger.

Das Buch ist sehr realistisch geschrieben, es hätte sich in der Tat so zutragen können. Mir gefällt, dass sich die Schriftstellerin nicht der gängigen Klischees bedient sondern sogar mit diesen "aufräumt". So distanziert sie sich davon, dass gewalttätige Filme und Computerspiele die Wurzeln allen Übels sind oder dass der Privatbesitz von Waffen solche Taten fördert. Es sind vielmehr die Langeweile, die Übersättigung an Dingen, das Fehlen von Herausforderungen, was Kevin zu dieser Tat schreiten ließ.

Insgesamt habe ich das Buch recht gerne gelesen, wenn es auch für mich ein bisschen "zu amerikanisch" - sprich "fast hysterisch" war. Manche Wiederholungen (v.a. die Schilderung der vielen Amokäufen in div. Schulen) hätte man sich vielleicht sparen können, das Buch wäre dadurch etwas straffer, aber es ist ansonsten durchaus sehr lesenswert!

:stern: :stern: :stern: ( :stern: )
Herzliche Grüße
Pippilotta


T.C. Boyle - Wenn das Schlachten vorbei ist

Life is what happens to you while you are busy making other plans (Henry Miller)
Benutzeravatar
Pippilotta
Superkrümel
Superkrümel
 
Beiträge: 4894
Registriert: 19.04.2006, 16:52
Wohnort: ... im Himmel ...

Beitragvon Nerolaan » 05.04.2008, 15:25

Eva schreibt Briefe an ihren Mann Franklin und versucht in diesen die Vergangenheit zu bewältigen. Eine Vergangenheit die man wohl nie bewältigen kann: am 8.April 1999 richtet ihr Sohne Kevin kurz vor seinem 16. Geburtstag ein Blutbad an seiner Highschool an. Seit dem sitzt Kevin im Gefängnis und Eva muss ihren Alltag und all die Blicke alleine ertragen.
In ihren Briefen an ihren Mann versucht sie, die schwere Tat ihres Sohnes zu verarbeiten und ihre Schuld in der Vergangenheit sucht.

Lionel Schriver hat mit ihrem Roman ein Thema angesprochen, dass gerade in unserer Zeit fast nicht aktueller hätte sein können.
In diesem Briefroman wird die Sicht einer verzweifelten Mutter aufgegriffen, die sich immer wieder fragt, was sie falsch gemacht hat.
Doch leider wirkt diese Erzählperspektive gerade am Anfang eher ungeschickt: Eva kommt anfänglich als kalte, berechenbare Mutter herüber, die im Selbstmitleid nur so zergeht. Das macht das Lesen anfänglich doch sehr schwer.
Doch wer durch hält wird belohnt: nach einer Zeit fängt man immer mehr an, Eva zu verstehen und findet sich in ihrer verqueren Familienwelt immer mehr zurecht und ist einfach sprachlos, wenn Eva über ihren Sohn Kevin spricht.

Wir müssen über Kevin reden ist sicherlich ein Roman, der nicht für jedermann etwas ist und der mich in zwei Lager spaltet: auf der einen Seite kann ich dem Roman nicht viel abgewinnen: die Personen – grade Eva und Kevin – bleiben mir zu sehr auf der Strecke und ich hätte mir diesbezüglich mehr Tiefe gewünscht. Auch hatte das Buch meiner Meinung nach auch ein paar Längen; an einigen Stellen hätte eine Kürzung sicherlich mehr als gut getan.
Aber auf der anderen Seite ist das Buch ein Buch das jeden zum Nachdenken anregen sollte, denn Schulmassaker und generell Gewalt unter Jugendlichen drohen zum Alltag zu werden.
Eine Tatsache, die wir nicht zulassen sollten.

:stern: :stern: :stern:
Benutzeravatar
Nerolaan
Weltenwandlerin
Weltenwandlerin
 
Beiträge: 2975
Registriert: 08.11.2007, 18:41
Wohnort: Aachen



Ähnliche Beiträge


Zurück zu Belletristik/Unterhaltungsliteratur/Erzählung

Wer ist online?

0 Mitglieder

cron