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Saramago, José: Hoffnung im Alentejo




Saramago, José: Hoffnung im Alentejo

Beitragvon mombour » 28.07.2010, 10:19

Hallo

"Hoffnung im Alentejo"

Im Dorf Azinhaga gibt es ein kleines Museum und ein Denkmal, denn hier ist José Saramago am 16. November 1922 geboren. Das Gymnasium musste er abbrechen, weil seine Eltern, obwohl Saramagos Vater Polizist war, dieses nicht mehr finanzieren konnten. So ist es doch die Armut, die José Saramagos Lebensweg eine andere Richtung vorgegeben hat. Er wird Maschinenschlosser.

Mit den Romanen "Hoffnung im Alentejo" und "Das Memorial" erlangte er seinen schriftstellerischen Durchbruch. In "Hoffnung im Alentejo" entfaltet sich erstmals die Kunstsprache, die seine kommenden Romanwerk durchwebt. Saramago war Atheist, Blogger und Attac-Mitglied. Den Roman "Das Evangelium nach Jesus Christus" hielt die katholische Kirche für blasphemisch, wegen diesem Roman die portugiesische Regierung dem Autor den europäischen Kulturpreis versagte.

In "Hoffnung im Alentejo" erzählt Saramago die Geschichte einer Tagelöhnerfamilie über vier Generationen, begonnen um 1900 bis zur Nelkenrevolution. Die Landbevölkerung ist geprägt von unsäglicher Armut. Unter Großgrundbesitzern leisten sie Fronarbeit von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. Domingos Mau-Tempo, der erste Spross der Familie, zieht mit Esel. Karren, Frau und Kind über das Land. Es regnet fürchterlich. Man könnte leicht denken, ganz Portugal weine in Strömen, denn Domingos, der Schuster, wird in seinem Leben nichts erreichen, nur, er ist ein Säufer, der eine Nachkommenschaft leerer Mägen hinterlässt.

Saramago hat geschrieben:...was soll ein Mann sonst tun, wenn er Frau und Kind hat - diese Gesichter mit vor Hunger großen Augen - die ihr Kinn über den kärglich gedeckten Tisch recken und die mit angefeuchtetem Zeigefinger die Krümel jagen, als wären es Ameisen.


Also Streik. Es soll nur das gefordert werden, was den Arbeitern zusteht, doch wird der Aufstand von der Guarda, den Handlangern der Diktatur niedergeschlagen.

Saramago hat geschrieben:...sie halten die Gewehre im Anschlag, ohne sie fühlen sie sich nicht als Menschen.


Es folgt Gefängnis, Folter, manche finden den Tod.

Saramago hat geschrieben:Die Ameisen erschrecken sich, als diese große Masse plötzlich von oben herabfällt, aber sie werden nicht getroffen, nicht einmal gestreift. In der Zeit, in der sie ihn liegenlassen, hält sich eine Ameise an seiner Kleidung fest, sie will ihn von nahem sehen, dumm ist sie, denn sie wird zuerst sterben. Genau dort, wo sie gerade ist, fällt der erste Knüppelschlag herab, den zweiten spürt sie bereits nicht mehr....


"Jedes Jahr zur gleichen Zeit ruft die Heimat ihre Söhne." Jeder weiß, Krieg bringt Verderben, Kriegswaffen sind Erzeugnisse von Unmenschlichkeit. Saramago braucht dieses gar nicht so direkt sagen sondern zielt bewusst auf die Wirkung des Textes ab. Genau so entsteht gute Literatur. Saramago lässt eine Stimme sprechen, die immer lauter und eindringlicher zu werden scheint, als ob diese Stimme mit voller Wucht die Schädeldecke des Lesers durchdringen will, sich im Schädel festnageln will. Meine Zusammenfassung der ersten paar Zeilen dieser Passage wirkt sehr lächerlich, wenn ich sie den Worten Saramagos gegenüberhalte. Schließlich gehe ich teilweise doch in Saramagos Text über, weil ich es nicht lassen kann. António Mau-Tempo soll den Dienst an der Waffe antreten. "Die Heimat ruft ihre Söhne." Bisher waren sie ja nichts wert gewesen. An der Tür des Gemeindehauses hängt ein Zettel auf dem Namen geschrieben stehen. Da António nicht lesen kann, tippt einer "mit dem Zeigefinger auf die Linie, die sich wellt wie ein schwarzer Regenwurm, das bist du, dieser Regenwurm ist dein Name, den der Schreiber des Rekrutierbezirks geschrieben hat..."

José Saramago hat ein Roman über das Leiden Portugals geschrieben, nicht nur über geflossenes Blut des zwanzigsten Jahrhunderts, sondern dieses Blut schließt das geflossene Blut der Jahrhunderte davor mit ein. Es ist auch kein Zufall, dass die Sippschaft von Domingos Mau-Tempo der Frucht eines vergewaltigten Mutterschoßes aus dem fünfzehnten Jahrhundert entstammt.

Über weiteste Strecken des Romans könnte der Leser den Eindruck gewinnen, Saramago hätte seinen Roman lieber Hoffnungslos im Alentejo nennen können, doch glaubte der Autor an die Möglichkeit einer besseren Welt. Einzigartige Kunstsprache, authentisch. José Saramago war ein großer Kenner der Geschichte seines Landes.

Liebe Grüße
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Re: Saramago, José: Hoffnung im Alentejo

Beitragvon Krümel » 28.07.2010, 10:25

Hier mal die Verlinkung:

Bild

Hört sich ja recht interessant an. Wenn ich da im Hinterkopf nicht die ekelerregende Sensationslust von "Stadt der Blinden" hätte :grübel2: Bah war das :kotz:
BildLiebe Grüße,
Krümel



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Re: Saramago, José: Hoffnung im Alentejo

Beitragvon mombour » 29.07.2010, 13:59

Hallo Krümel,

lass dich durch "Die Stadt der Blinden" nicht kirre machen. Das ist zwar das populärste Buch von Saramago, aber sicher nicht das beste. ich habe einen neuen Autor gefunden. :mrgreen:

Liebe Grüße und danke für das Coverbild. Im Internetcafé war mir das zu aufwendig.

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Re: Saramago, José: Hoffnung im Alentejo

Beitragvon Pippilotta » 29.07.2010, 17:13

Ich mag ja Saramago sehr, und lese gerade, nach "Der Doppelgänger" (das mir nicht besonders gefiel), "Stadt der Blinden" (das ich sehr gut fand), "Eine Zeit ohne Tod" (das ich fantastisch fand) mein 4. Buch von ihm, "Die Stadt der Sehenden". Das Evangelium von Jesus Christus" subt bei mir noch (ebenso "Das Zentrum") , darauf bin ich sehr gespannt, weil mich gerade so biblische Auseinandersetzungen sehr interessieren.

Danke jedenfalls für die Rezi, klingt sehr interessant, und kommt auch mal dran. Irgendwann.
Herzliche Grüße
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Re: Saramago, José: Hoffnung im Alentejo

Beitragvon mombour » 30.07.2010, 15:00

Pippilotta hat geschrieben: Das Evangelium von Jesus Christus" subt bei mir noch (ebenso "Das Zentrum") , darauf bin ich sehr gespannt, weil mich gerade so biblische Auseinandersetzungen sehr interessieren.


Bei beiden Büchern bin ich durchaus für Leserunden offen. :clap:
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Re: Saramago, José: Hoffnung im Alentejo

Beitragvon Pippilotta » 30.07.2010, 15:11

Ich werde auf jeden Fall darauf zurückkommen! Hast Du irgendwelche Terminvorstellungen?
Herzliche Grüße
Pippilotta


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Re: Saramago, José: Hoffnung im Alentejo

Beitragvon mombour » 30.07.2010, 15:40

Terminvorstellungen habe ich keine. Du kannst mir einfach etwa eine Woche vorher bescheidgeben, dann lese ich spontan mit. :D
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Re: Saramago, José: Hoffnung im Alentejo

Beitragvon Pippilotta » 30.07.2010, 16:29

alles klar!!
Herzliche Grüße
Pippilotta


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