Krümels-Bücherwelt ...

... ein Literaturforum der anderen Art

Waugh, Evelyn - Wiedersehen mit Brideshead




Waugh, Evelyn - Wiedersehen mit Brideshead

Beitragvon marilu » 06.02.2009, 13:27

Originaltitel: Brideshead revisited (überarbeitete Fassung von 1959)
Untertitel: The Sacred and Profane Memories of Captain Charles Ryder


Charles Ryder zieht die Bilanz seines Lebens und seiner Verbindung zu der adligen katholischen Familie Marchmain in der Zeit zwischen dem 1. und 2. Weltkrieg.

Der Roman beginnt mit einem Prolog im Jahr 1943 oder 1944 als Charles erkennt, dass seine letzte Liebe gestorben ist:

S. 3 hat geschrieben:Here my last love died [...] as I lay in that dark hour, I was aghast to realize that something within me, long sickening, had quietly died and felt as a husband might feel, who in the fourth year if his marriage, suddenly knew that he had no longer any desire, or tenderness, or esteem, for a once-beloved wife; no pleasure in her company, no wish to please, no curiosity about anything she might ever do or say or think; no hope of setting things right, no self-reproach for the disaster...


Er realisiert, dass er gegenüber seiner Kompanie seine Pflicht erledigen wird, aber ohne die Überzeugung und Begeisterung, die ihn zuvor angetrieben hat. Es ist Zeit für eine Umquartierung und zu seiner Überraschung stellt er fest, dass das neue "Heim" Brideshead ist - einst Mittelpunkt seines Lebens. Charles beginnt sich zu erinnern.

Aus den 40ern springen seine Erinnerungen in die goldenen 20er - in die Zeit seines Studiums am Hertford College, Oxford. Hier lernt er Lord Sebastian Flyte kennen - Spross der landadligen Familie Marchmain. Sebastian ist ein exzentrischer, charmanter, liebenswerter und weicher Charakter, der an seiner Herkunft verzweifelt und letztendlich von ihr zerstört wird.
Sebastian macht Charles mit einer lebensfrohen, schwärmerischen Gruppe an jungen Adligen und Abenteurern bekannt, die ihm ein neues Leben versprechen. Er lässt sich blenden und rutscht in ihr Leben aus Poesie, Alkohol, Nachtklubs und Zigarren. Er, alleiniger Sohn eines exzentrischen Bürgers genießt die Kameradie und das Vertrauensverhältnis dieser jungen strahlenden Gesellschaft:

S. 39 hat geschrieben:I was given a brief spell of what I had never known, a happy childhood, and though its toys were silk shirts and liqueuers and cigars and its naughtiness, there was something of nursery freshness about us that fell little short of the joy of innocence.


Dieser Teil des Romans ist überschrieben mit "Et in Arcadia ego" (frei übersetzt: "Ich bin in Arkadien") und Waugh entwirft ein idyllisches Panorama einer sorgenfreien Zeit. Doch jedes Paradies ist vergänglich und bald machen sich die ersten Risse bemerkbar: sei es, dass Charles realisiert, dass er über seine (durchaus großzügigen) Verhältnisse lebt und einen überaus unangenehmen Besuch bei seinem Vater überstehen muss oder feststellt, dass er Sebastian nicht so viel bedeutet wie dieser ihm... Aber das Schicksal meint es gnädig mit ihm und so kann er sich noch einige Zeit länger im Paradies aufhalten und kommt dessen Zentrum näher. Sebastian lädt ihn nach Brideshead ein, wo er auch den Rest der Familie kennenlernt:
Lady Marchmain, die von ihrem Mann Lord Marchmain verlassen wurde, als er wegen des 1. Weltkriegs gen Europa aufbrach und nie wiederkam. Aufgrund ihrer Religion stimmt sie keiner Scheidung zu, obwohl sie weiß, die gemeinsame Zukunft ist beendet. Lord Brideshead (ältester Sohn der Familie und das schlichteste Mitglied der Familie). Sebastians Schwester Julia - stark, unabhängig, bewundernswert und verführerisch. Außerdem Cordelia, die jüngste, unkomplizierteste Figur des Romans.

Nach diesem Urlaub entwickeln sich Charles' und Sebastians Wege schleichend aber unausweichlich auseinander. Der Fokus des Romans verschiebt sich dadurch ebenfalls bis Charles Beziehung zu Julia im Mittelpunkt steht - um am Ende zu Charles Gegenwart in der englischen Armee zurückzukehren. Zwischen diesen beiden Lichtpunkten seiner Existenz (Sebastian und Julia) findet er über Umwegen zu sich selbst. Unerbittlich und beständig verliert der Roman die Leichtigkeit der Jugendjahre bis er die Melancholie des Prologs wieder einfängt.


Für mich war "Brideshead Revisited" das Highlight des Monats. Es ist brilliant konstruiert und die Sprache, auf die ich sonst nicht so achte, hat mich total gefesselt. Die Grammatik und Vokabelwahl des Originals ist anspruchsvoll, aber dem Inhalt entsprechend. Manchmal scheint es, als wenn Waugh mit seinen Lesern plaudert und man fragt sich, ist dies notwendig. Aber gerade in diesen Stellen verbirgt sich ein stiller Humor und eine feine Ironie, die mich sehr ansprach (unvergesslich für mich der Teddybär Aloysius, den der erwachsene Sebastian mit sich herumträgt oder die Kämpfe zwischen Vater und Sohn Ryder, die nie als solche bezeichnet werden und so subtil ausgeführt werden, dass man sich fragt: was passiert hier eigentlich genau?!).
Die Beschreibung der Studienjahre in Oxford haben in Atmosphäre und Stil eine große Ähnlichkeit zu "Die geheime Geschichte" von Donna Tartt. Doch dieser Eindruck beschränkt sich tatsächlich auf diesen Teil.

Waugh spricht eine Unzahl an Themen an:
Alkoholismus, der Untergang des Adels und Aufstieg des Kommerzes, Verhältnisse zwischen Bürgertum und Adel, Männerfreundschaften, Unschuld, Liebe, Schuldgefühl und Moral. Eine weitere Ebene, die er einfügt, ist die Auseinandersetzung mit dem Katholizismus der Marchmains und Ryders Agnostizismus.

Mir gefiel vor allem ein kleiner Halbsatz, der eigentlich alles sagt und doch nichts verrät:

S. 39 hat geschrieben:[...] to know and love another human being is the root of all wisdom.


Wenn man sich die Lebensgeschichte von Evelyn Waugh ansieht, stellt man fest, dass er vieles, das ihn beschäftigt hat, in "Brideshead revisited" untergebracht hat (z. B. seine eigenen Kriegserlebnisse, sein Übertritt zum Katholizismus, der von vielen kritisiert wurde, die Studienzeit in Oxford, Eheprobleme... ). Beim Lesen drängt sich einem der Eindruck auf, als wolle Waugh gerade im ersten Teil seine eigene Jugend erneut heraufbeschwören und sie noch einmal genießen. An einer Stelle "besingt" er quasi die "Schwäche der Jugend". :wink:

S. 71 hat geschrieben:The languor of Youth - how unique and quintessential it is! How quickly, how irrevocably, lost! The zest, the generous affections, the illusions, the despair, all the traditional attributes if Youth - all save this - come and go with us through life. These things are part of life itself; but languor - the relaxation of yet unwearied sinews, the mind sequestered and self-regarding - that belongs to Youth alone and dies with it.


Seine Jugend war wahrscheinlich auch seine "große Zeit" und der Rest seines Lebens ein immerwährendes Streben nach dem Glücksgefühl, das er damals erlebte. Der "alte Waugh" muss recht kompliziert und exzentrisch gewesen sein - umso beeindruckender, dass er sich selbst überwinden und mit Charles Ryder einen Charakter schaffen konnte, der reift und offen für neues bleibt.

Von mir für diese großartige Herausforderung: :stern: :stern: :stern: :stern: :stern: + :thumleft: LESEHIGHLIGHT :thumleft:

Bild Bild
Zuletzt geändert von marilu am 06.02.2009, 13:42, insgesamt 1-mal geändert.
Scharfsinnig bin ich von Montag bis Freitag. Übers Wochenende leiste ich mir den Luxus der Dummheit.
- Henry Slesar: Die siebte Maske -
Benutzeravatar
marilu
Hilfskrümel
Hilfskrümel
 
Beiträge: 2183
Registriert: 23.04.2006, 20:46
Wohnort: Hannover

von Anzeige » 06.02.2009, 13:27

Anzeige
 

Beitragvon marilu » 06.02.2009, 13:41

Ich versuche mich mal an Übersetzungen der Zitate (manches ist etwas frei übersetzt, aber ich hoffe, ihr erkennt worum es geht):

S. 3 hat geschrieben:Here my last love died [...] as I lay in that dark hour, I was aghast to realize that something within me, long sickening, had quietly died and felt as a husband might feel, who in the fourth year if his marriage, suddenly knew that he had no longer any desire, or tenderness, or esteem, for a once-beloved wife; no pleasure in her company, no wish to please, no curiosity about anything she might ever do or say or think; no hope of setting things right, no self-reproach for the disaster...


Hier starb meine letzte Liebe [...] als ich in den dunklen Stunden der Nacht wach lag, wurde mir widerstrebend bewusst, dass etwas in mir - lange kränkelnd - plötzlich gestorben war und ich fühlte mich wie ein Ehemann sich fühlen würde, der im vierten Ehejahr plötzlich weiß, dass er nicht länger irgendeine Leidenschaft oder Zärtlickeit, oder Hochachtung für seine einst geliebte Ehefrau hat; kein Genuss in ihrer Partnerschaft, kein Wunsch zu gefallen, keine Neugier auf irgendwas, das sie jemals tun oder sagen oder denken mag; keine Hoffnung auf die Aufklärung von Dingen, keine Selbstvorwürfe für das Desaster....

S. 39 hat geschrieben:I was given a brief spell of what I had never known, a happy childhood, and though its toys were silk shirts and liqueuers and cigars and its naughtiness, there was something of nursery freshness about us that fell little short of the joy of innocence.


Mir wurde eine kurze Zeitspanne dessen gegönnt, was ich nie gekannt hatte, eine glückliche Kindheit, und obwohl deren Spielzeuge Seidenhemden und Alkohol und Zigarren waren und deren Ungezogenheit, umgab uns doch so etwas wie die Frische eines Kinderzimmers, die dicht an die Freuden der Unschuld erinnerte.

S. 39 hat geschrieben:[...] to know and love another human being is the root of all wisdom.


... einen anderen Menschen zu kennen und zu lieben ist die Wurzel der Weisheit.

S.71 hat geschrieben:The languor of Youth - how unique and quintessential it is! How quickly, how irrevocably, lost! The zest, the generous affections, the illusions, the despair, all the traditional attributes if Youth - all save this - come and go with us through life. These things are part of life itself; but languor - the relaxation of yet unwearied sinews, the mind sequestered and self-regarding - that belongs to Youth alone and die with it.


Die Schwäche (Mattheit) der Jugend - wie einzigartig und lebenswichtig sie ist! Wie schnell, wie unwiderruflich, verloren! Der Antrieb, die großzügigen Zuneigungen, die Illusionen, die Verzweiflung, all diese traditionellen Eigenschaften der Jugend - alles außer diesem - kommen und gehen mit uns durchs Leben. Diese Dinge sind Teil des Lebens selbst; aber die Schwäche (Mattheit) - die Entspannung bisher unermüdlicher Sehnen, der Geist abgesondert und selbstbezogen - das gehört allein zur Jugend und stirbt mit ihr.
Scharfsinnig bin ich von Montag bis Freitag. Übers Wochenende leiste ich mir den Luxus der Dummheit.
- Henry Slesar: Die siebte Maske -
Benutzeravatar
marilu
Hilfskrümel
Hilfskrümel
 
Beiträge: 2183
Registriert: 23.04.2006, 20:46
Wohnort: Hannover

Beitragvon tom » 06.02.2009, 17:39

Ganz toll, Marilu!

Ich hatte ja von diesem Autor desletzt anderweitig gehört und mir den Namen notiert. Danke! Das war jetzt aber eine Bestätigung durch Dich!
tom
 



Ähnliche Beiträge


Zurück zu Weltliteratur/Klassiker

Wer ist online?

0 Mitglieder

cron