Nun habe ich das Buch ohne Minileserunde gelesen (schade eigentlich, denn der Roman bietet einiges an Diskussionspotential). Die 530 Seiten haben sich teilweise etwas gezogen, aber insgesamt hat sich der Kampf mit dem Anfang sehr gelohnt, so dass ich mich Wirbelwinds Bewertung von
anschließe.
Auf mehreren Zeitebenen wird das Leben von vier Hauptpersonen geschildert:
den Engländern
Queenie und Bernard Bligh einerseits und den Jamaikanern
Hortense und Gilbert Joseph andererseits. Ihre Leben kommen im Jahr 1948 im Haus der Blighs am Earl's Court zusammen. In Rückblenden und Kapiteln aus unterschiedlichen Perspektiven werden ihre Vergangenheiten beleuchtet.
Die Gegenwartsebene (1948) ist geprägt vom Nachkriegsengland. London erholt sich vom Blitz, viele Arbeitsplätze können nicht gefüllt werden und so erinnert sich das Commonwealth an seine Kolonialbürger - billige Arbeitskräfte sollen ins Land gezogen werden und möglichst nur eine Saison bleiben.
Die "
Empire Windrush" bringt in diesem Jahr auf ihrem Rückweg von Australien 492 Jamaikaner ins "Motherland". Andere Schiffe folgen und wenn auch viele der Passagiere anfangs dachten, England bald wieder den Rücken zu kehren, blieb letztlich doch die Mehrheit in London und Südengland. Eine Situation, die über die folgenden Jahrzehnte zu enormen Spannungen führte...
Aber zurück zu "
Eine englische Art des Glücks":
Die Engländerin Queenie heiratet Bernard Bligh, weil er ihr die Möglichkeit bietet, sich zu etablieren. Nicht aufgeklärt, glaubt sie, dass jede Ehe so abläuft wie die ihre: ruhig, beständig, mitunter etwas dröge und langweilig mit klaren Rollenverteilungen. Bernard versorgt sie und seinen Vater und sie spielt Hausfrau. Der 2. Weltkrieg bietet ihr die Möglichkeit, tätig zu werden und Bernards Weltanschauung zu umgehen: sie beginnt als Hilfskraft in den Hilfsunterkünften der Ausgebombten zu arbeiten. Als Bernard sich zum Kriegsdienst meldet, ist sie erschüttert, lernt ihre neue Selbständigkeit aber bald zu genießen. Als er nach Ende des Krieges nicht zurückkehrt, weiß sie nicht, wie sie damit umgehen soll und erklärt ihn letztlich für tot. Als er überraschend wieder auftaucht, sorgt er für viel Unruhe...
Bernard selbst kommt erst im letzten Drittel des Romans zu Wort und führt die Handlung nach Indien, wo er stationiert war. Seine Erlebnisse dort untermauern sein zuvor latent imperialistisch geprägtes Weltbild mit all seinen Vorurteilen negativ. Man kann sich vorstellen, was er empfindet, als er nach seiner Heimkehr nach London feststellen muss, dass seine Frau Räume seines Hauses an westindische Immigranten vermietet hat...
Zwei dieser Mieter sind Hortense und Gilbert Joseph. Die beiden haben sich in Kingston, Jamaika, kennengelernt und dort einen Handel abgeschlossen. Hortense schenkt Gilbert ihr Gespartes, um ihm die Überfahrt nach London mit der "Empire Windrush" zu ermöglichen, während er sie heiratet und verspricht, sie nachzuholen. Aus den Rückblicken erfährt der Leser, dass Gilbert bereits während des Krieges für die Royal Air Force gekämpft hat und in England stationiert war. Dieser Aufenthalt hat ihn zwar seiner Illusionen über die Engländer beraubt, aber den Wunsch dorthin zurückzukehren, nicht unterdrückt. Hortense, ausgebildete Lehrerin und Dame, erhofft sich ein großes Haus mit Klingel und ein ehrenwertes Leben als Engländerin. Als Gilbert sie 6 Monate nach ihrer Heirat nachholt, muss sie jedoch erkennen, dass ihre Ziele und Wünsche so bald nicht erfüllt werden.
Diesen Roman zusammenzufassen, ist sehr schwierig, weil er prall gefüllt ist mit kleinen Episoden, Querverbindungen und Anspielungen. Deshalb belasse ich es hierbei.
Meine Eindrücke waren die, dass Andrea Levy hier ein Werk geschaffen hat, das jeden Leser, der genug Durchhaltevermögen zeigt, mit einem fesselnden Roman beschenkt, der sehr persönlich ist und unter die Haut kriecht. Die Hauptbotschaft drückt Gilbert Joseph aus, als er gegen Ende des Romans Bernard Bligh entgegenschleudert:
Small Island - S. 525 hat geschrieben:You know what your problem is, man? [...] Your white skin. You think it makes you better than me. You think it give you the right to lord it over a black man. But you know what it make you? You wan' know what your white skin make you, man? It make you white. That is all, man. White. No better, no worse than me - just white.
(Weißt du, was dein Problem ist, Mann? Deine weiße Haut. Du denkst, sie macht dich zu etwas besserem als mich. Du denkst, sie gibt dir das Recht, über einen schwarzen Mann zu richten. Aber weißt du, was es dich macht? Willst du wissen, was deine weiße Haut bewirkt, Mann? Sie macht dich weiß. Das ist alles, Mann. Weiß. Nicht besser, nicht schlechter als mich - nur weiß.)
Viele Erlebnisse, die Gilbert erlebt, sind zutiefst verachtlich, herabwürdigend und ungerecht. Mir ist eine Szene in Erinnerung geblieben, die vor seiner Rekrutierung bei der RAF spielt: als sein älterer Bruder sich für den Kriegsdienst meldet, wird dieser abgewiesen - man glaubte noch, ohne die farbigen Kolonialbürger den Krieg gewinnen zu können. Als Gilbert alt genug ist, sich zu melden, haben sich die Zeiten geändert und wird eingezogen...
es wird aber ganz klar gesagt, dass er seine Arbeit zu leisten hat und ansonsten nicht auffallen soll. Doch wie soll man das bewerkstelligen, wenn die Hautfarbe gegen die fahlen Engländer heraussticht und daran nun mal nichts zu ändern ist?!
Hortense dagegen dient als Beispiel dafür, dass Vorurteile und Hierarchiedenken nicht auf die Kolonialherren beschränkt sind. Ihre hohen Erwartungen und tiefen Überzeugungen von dem, was ihr zusteht, sind auch nicht ohne...
"Eine englische Art des Glücks" lässt mich nachdenklich und beeindruckt zurück. Die neutrale und gradlinige Darstellung der Erlebnisse war sehr gelungen.
Ich wünsche dem Roman noch viele Leser!
LESETIPP!
Scharfsinnig bin ich von Montag bis Freitag. Übers Wochenende leiste ich mir den Luxus der Dummheit.
- Henry Slesar: Die siebte Maske -