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Begley, Louis - Ehrensachen




(der Autor/in lebt noch, und spiegelt die heutige Zeit)

Begley, Louis - Ehrensachen

Beitragvon Katia » 20.03.2007, 22:51

[center]Louis Begley - Ehrensachen (Matters of Honor)[/center]

Drei Freunde stehen im Mittelpunkt des Romans, Zimmergenossen während des Studiums in Havard in den 50er Jahren. Henry White ist polnischer Jude, kam erst nach dem Krieg in die USA, Archie Palmer, aus wohlhabender Offiziersfamilie stammend, sowie der Icherzähler Sam Standish, im Gegensatz zu den anderen aus einer alteingesessenen neuenglischen Familie, war auf der "richtigen" Schule. Dass er "nur" adoptiert ist und der Rest der Familie seine Eltern mit ihrem Alkoholproblem schneiden, schadet im weniger, als den andern beiden ihre falsche Herkunft. Insbesondere der Jude Henry erlebt immer wieder Zurücksetzungen, trotz seine intensiven Bemühungen sich anzupassen - die seinen Eltern ein Dorn im Auge sind. Der Roman begleitet die Freunde nicht nur durch ihre Studienzeit, sondern auch durch ihr weiteres Leben.
Begley hat seine eigenen Berufe (er war bis vor wenigen Jahren Anwalt in NY) zwischen Henry und Sam geteilt: Sam wird erfolgreicher Autor, Henry ein nicht minder erfolgreicher Anwalt, seine jüdische Herkunft spielt scheinbar keine Rolle mehr für ihn als Erwachsener.

Ich gebe zu: ich bin voreingenommen an diesen Roman herangegangen. Begleys Erstling "Lügen in den Zeiten des Krieges" hat mich mehr als beeindruckt, ich mag die amerikanischen Campus-Novels und eine Autorenlesung, die ich vorige Woche besucht habe, hat mich noch positiver gestimmt. Der Roman hat alle meine Erwartungen erfüllt - Begley schöpft aus dem Erfahrungsschatz seines Lebens, erschafft dabei interessante und vielschichtige Figuren. Er selbst legt Wert darauf, dass keine davon autobiographisch ist und dass Henry auch nicht ein erwachsener Maciek ist. Henry fühlt sich nicht als Jude, und doch kann (und will) er seine Herkunft nicht abstreifen.
Ungewöhnlich an dem Roman, dessen Protagonist eigentlich Henry ist, ist, dass er aus der Sicht Sams erzählt wird - Begley selbst meinte dazu, er habe den Roman öfter begonnen und erst als Sam sich "eingemischt" habe, sei es ihm möglich gewesen ihn auch zu schreiben. Vielleicht weil er so eine größere Distanz zu Henry wahren kann?
Ein nachdenklich machender, gesellschaftskritischer Roman, spannend zu lesen, mit vielen kleineren Handlungssträngen - eine unbedingte Empfehlung.

:stern: :stern: :stern: :stern: :stern:

Katia

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Beitragvon marilu » 21.03.2007, 06:08

Hört sich gut an! Mal sehen, ob ich es in der Bibliothek bekommen kann oder ob es monatelang vorbestellt sein wird.
Scharfsinnig bin ich von Montag bis Freitag. Übers Wochenende leiste ich mir den Luxus der Dummheit.
- Henry Slesar: Die siebte Maske -
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Beitragvon wolves » 18.06.2007, 13:55

@Katia: In der Buchhandlung bin ich auch wieder meine Ehrenrunden um das Buch geschlichen. Bin mal gespannt wie lange es beim schleichen bleibt. :wink: Deine Rezi macht so richtig Appetit auf das Buch. Und es ist ein Thema das mich interessiert.

@marilu: Hast du mittlerweile in der Bibliothek schon Erfolg gehabt?
Liebe Grüße
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Beitragvon Karthause » 20.08.2007, 15:44

Im vergangenen Jahr las ich gemeinsam mit Katia "Lügen in Zeiten des Krieges", dieses Buch hat auch mich sehr beeindruckt und so war wie bei Katia auch bei mir der Anspruch an den neuen Begley sehr hoch. Eigentlich kann ich ihre Rezi nur noch unterstreichen, Louis Begley hat alle meine Erwartungen erfüllt. Auch dieses Buch hat mich voll in seinen Bann gezogen. Die Protagonisten hat Louis Begley so wunderbar beschrieben, als wären es auch seine Freunde, sie waren voller Leben. Und trotz mancher kritischer Töne drückt Begley mit diesem Buch in erster Linie seine Liebe zu Amerika aus.

Vor Kurzem las ich ja Owen Meany, beide Romane spielen in der gleichen Zeit und beziehen sich auf historische Ereignisse während der Zeit der Handlung. Während Irving ein eher amerikakritisches Bild bei mir hinterließ, ist das von Begley beschriebene trotz recht kritischer Anmerkungen positiv untersetzt. Ich möchte die Bücher auch nicht miteinander vergleichen, sondern nur den Nachklang beschreiben, den beide bei mir hinterlassen haben.

:stern: :stern: :stern: :stern: :stern:
Viele Grüße
Karthause

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Re: Begley, Louis - Ehrensachen

Beitragvon wolves » 06.04.2011, 09:03

Mittlerweile habe ich mit dem "schleichen" aufgehört und habe das Buch gelesen. Eine meiner persönlichen Favoriten in diesem Jahr :D

Da empfand ich ein paar Themen spannend. Begley muss wohl (siehe seine Lebensgeschichte) aus eigenen Erfahrungen geschrieben haben. Er beschreibt aus der Sicht eines Ich-Erzählers über die Freundschaft und das Leben von drei jungen Männern, die sich in Harvard kennen gelernt haben. Und es stellen sich noch mehr Fragen.
Wie geht die Gesellschaft mit einem Juden um, der eigentlich keiner mehr ist. Wie wird man angenommen? Wo ist die Grenze der wirklichen Toleranz. Ich meine, ich würde mich niemals vorstellen mit „Guten Tag, mein Name ist so und so und ich bin evangelisch.“. Tatsächlich geht es dem einen Protagonisten genau so. Letztendlich ist seine religiöse Herkunft immer wieder Thema. Aber auch die Frage nach Herkunft überhaupt. Bist du reich oder arm, ist deine Familie einflussreich oder nicht, wohnst du im richtigen Viertel. Ein sehr empfehlenswertes Buch!
Liebe Grüße
wolves


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