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Haslinger, Josef - Phi Phi Island




(der Autor/in lebt noch, und spiegelt die heutige Zeit)

Haslinger, Josef - Phi Phi Island

Beitragvon Pippilotta » 01.02.2010, 08:49

Josef Haslinger - Phi Phi Island

Ko Phi Phi ist eine Inselgruppe im Süden Thailands, bestehend aus den Inseln Ko Phi Phi Don und Ko Phi Phi Le. In dieser beschaulichen, idyllischen Gegend, die beim Film "The Beach" als Kulisse diente, wollte der österreichische Schriftsteller Josef Haslinger mit seiner Familie den Weihnachtsurlaub 2004 verbringen. Doch aus der beabsichtigten Reise ins Paradies wurde ein Höllentrip. Am 26.12. bricht die gewaltige Flut herein, zerstört alles und reißt Hunderte von Menschenleben mit sich. Josef Haslinger hatte Glück, großes Glück. Er konnte sich auf ein Dach eines Hotels retten und auch seine Frau und seine beiden Kinder überlebten. Die Flut erreichte dieses Dach nicht.

Schwer traumatisiert von diesem Ereignis legt der Schriftsteller zwei Jahre danach Bericht ab. Er erzählt sehr nüchtern und doch so beeindruckend von den unfassbaren Zuständen, von Menschen, die er in dieser Ausnahmesituation kennen gelernt hat, von Menschen, die er ertrinken hat sehen, für die jede Hilfe zu spät kam und die nicht so viel Glück hatten. Er berichtet aber auch von kleinen zwischenmenschlichen Erfahrungen, von einer ungeheuren Solidarität und Nächstenliebe, von selbstlosen Helfern und von der unendlichen Ohnmacht, Machtlosigkeit und Hilflosigkeit und die Frage, die er sich immer wieder stellt: warum hat gerade er so viel Glück gehabt. Gedankensplitter rund um Land, Kultur und Mentaliätät ergänzen den Bericht, wer allerdings einen "Reiseführer" erwartet, wird enttäuscht sein.

Ein Jahr später kehrt Josef Haslinger mit seiner Frau an den Ort des Geschehens zurück und lässt das Erlebte Revue passieren. Er sucht die Stätten seiner Flucht auf, trifft Menschen, die überlebt haben, stellt Recherchen an. Ergebnis dieser Verarbeitung ist das vorliegende Buch, das in seiner Art einzigartig ist. Anhand von 3 Zeitsträngen (Weihnachten 2004, Weihnachten 2005 und die Zeit dazwischen) werden nüchtern und doch sehr persönlich Gedanken, Erlebnisse, Gefühle reflektiert, liebevolle Details erzählt, und dabei nie vergessen, welches Glück die Familie hatte. Von der Katastrophe blieb neben der Traumatisierung ein unbeweglicher Finger, der Haslinger das Betätigen der Umschalttaste auf der Tastatur erschwert, weshalb das Buch von der ersten bis zur letzten Seite in Kleinbuchstaben geschrieben ist. Aber man hat als Leser das Gefühl, dass er diesen Finger gerne als "Andenken" mit sich herumträgt, als Andenken daran, wie knapp Glück und Unglück beieinander liegen, wie schnell alles ganz anders sein kann, und wie ungecht und willkürlich das Schicksal verteilt ist.

Über den Autor (von amazon.de)

Josef Haslinger, 1955 in Zwettl/Niederösterreich geboren, lebt in Wien und Leipzig. Seit 1996 lehrt Haslinger als Professor für literarische Ästhetik am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. 1995 erschien sein Roman »Opernball«, 2000 »Das Vaterspiel«. Sein letztes Buch, »Zugvögel«, erschien im Frühjahr 2006. Haslinger erhielt zahlreiche Preise, zuletzt den Preis der Stadt Wien und den Ehrenpreis des österreichischen Buchhandels.

:stern: :stern: :stern: :stern: ( :stern: )


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von Anzeige » 01.02.2010, 08:49

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Beitragvon wolves » 01.02.2010, 09:04

Danke für deine Vorstellung, Pippi. Ich war mal eine Zeitlang um das Buch "rumgeschlichen", war mir aber nicht klar, ob es ein Buch für mich sein könnte. Ich konnte mir einfach keinen Eindruck darüber machen, ob es nicht in Richtung "Schicksalsroman" im negativen Sinn abdriftet. Was du darüber schreibst, klingt ganz und gar nicht danach.
Liebe Grüße
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Beitragvon Pippilotta » 01.02.2010, 09:56

nein. Es ist definitiv kein Schicksalsroman. Es ist eine Mischung aus Reportage, Tagebuch, Erzählung, Gedankenspielerei ..... "persönlicher Bericht" trifft es wohl am ehesten.
Herzliche Grüße
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Beitragvon Karthause » 01.02.2010, 10:43

Ich habe das Buch gerade bei Marketplace gekauft. :D
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Beitragvon Susannah » 01.02.2010, 10:49

Vielen Dank für die Vorstellung, Pippi.

Das Buch ist ja seit längerer Zeit auf meiner Wunschliste und ich werde mir wohl die Taschenbuchausgabe zulegen, sobald sie erscheint.

Haslinger war mir bei der Doku, die ich im Fernsehen gesehen habe, sehr sympathisch und ich hatte damals schon den Eindruck, dass er sachlich berichtet und keine Mitleidhascherei betreibt. Es ist ja eigentlich wirklich unglaublich, dass alle vier Mitglieder der Familie überlebt haben, während hundertausende von Menschen gestorben sind.
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Beitragvon Pippilotta » 01.02.2010, 12:17

@susannah: gibts bereits als TB, hab auch das TB gelesen
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Beitragvon Krümel » 01.02.2010, 12:25

Kommt ins Blog :D
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Beitragvon Susannah » 01.02.2010, 13:52

Oh danke! Dann kommts auf die nächste Bestellung.
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Beitragvon wolves » 02.02.2010, 08:52

Karthause hat geschrieben:Ich habe das Buch gerade bei Marketplace gekauft. :D
:mrgreen: Zwei Geister, ein Gedanke :D Ich habe mir das Buch auch bei Marketplace bestellt.
Liebe Grüße
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Re: Haslinger, Josef - Phi Phi Island

Beitragvon Karthause » 11.02.2010, 13:35

Gerade habe ich mir deine Rezi noch einmal durchgelesen. "Phi Phi Island" lese ich ja gerade und es bewegt mich sehr. Ich habe immer wieder die Bilder von der Katastrophe vor Augen, die uns via TV erreichten und habe eine Gänsehaut. Es ist für mich schon recht erstaunlich, wie nüchtern Haslinger darüber schreibt. Ein wenig war ich verwundert, warum alles in Kleinbuchstaben geschrieben ist, hätte ich deinen Betrag richtig gelesen, hätte ich gewusst warum. Aber da war ich wohl schon in Gedanken mit dem Buchkauf beschäftigt. :oops:
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Re: Haslinger, Josef - Phi Phi Island

Beitragvon Pippilotta » 11.02.2010, 20:18

Karthause hat geschrieben:Es ist für mich schon recht erstaunlich, wie nüchtern Haslinger darüber schreibt.


Aber dennoch fand ich es extrem bewegend. dieses Phänomen habe ich schon öfter festgestellt, dass an sich solche Erlebnisse ohnedies nicht angemessen in Worte zu fassen sind, und deshalb kann für mich dieses Unfassbare in einer nüchternen, distanzierten Sprache viel eindrucksvoller transportiert werden.

Ein wenig war ich verwundert, warum alles in Kleinbuchstaben geschrieben ist, hätte ich deinen Betrag richtig gelesen, hätte ich gewusst warum.


Es gibt eine Passage im Buch wo er auf diese Fingerverletzung näher eingeht und die habe ich so ausgelegt. Aber vielleicht habe ich es nur hineininterpretiert, denn einige Rezensenten bei Amazon haben dies nicht so herausgelesen und stoßen sich eher an der Kleinschreibung.
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Re: Haslinger, Josef - Phi Phi Island

Beitragvon Karthause » 11.02.2010, 21:20

@Pippi
Die Stelle, weshalb er alles klein schreibt, habe ich heute Abend gelesen. :D An der Kleinschreibung stoße ich mich eigentlich gar nicht. Ich war zu Beginn ein wenig verwundert, aber als störend empfinde ich das nicht.

Das Buch ist wirklich extrem bewegend. Ich musste gerade Pause machen, weil ich regelrecht einen Kloß im Hals hatte. Er hat gerade Emine gefunden und gemeinsam haben sie Claude gesucht. Aber auch als sie ihre Kinder schon leben sahen und dann nicht mehr fanden ... Gänsehaut. Es ist ergreifend ohne irgendwie pathetisch zu sein.

Eigentlich hatte ich mir dieses Buch gekauft und wollte es dann bei Tauschticket einstellen. Aber es bekommt einen Dauerplatz in meinem Regal. Hast du schon andere Bücher von Haslinger gelesen? Ich kenne nur die Verfilmung von "Opernball".
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Re: Haslinger, Josef - Phi Phi Island

Beitragvon Karthause » 01.03.2010, 13:31

Ich habe noch ein Interview zu dem Thema gefunden. Hier ist der Link.
Viele Grüße
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Re: Haslinger, Josef - Phi Phi Island

Beitragvon wolves » 01.03.2010, 13:45

Danke für den Link, Karthause.
Liebe Grüße
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Re: Haslinger, Josef - Phi Phi Island

Beitragvon Pippilotta » 01.03.2010, 15:24

Das ist ein wirklich sehr interessantes Interview, ich kannte es noch nicht. Danke dafür, Karthause. Und es entspricht auch ziemlich meinen Bild von Josef Haslinger und seiner Einstellung zu dem ganzen, die er für mich in diesem Buch transportiert. V.a. was die im Buch tatsächlich nur am Rande erwähnte Kritik an der AUA-Fluglinie. Ich denke, dass es wirklich so wahr, dass das wirkliche Ausmaß der Tragödie einfach nicht ermessbar und ersichtlich war. Er sagt ja selber auch im Buch, dass seine ersten Gedanken waren "ich werde halt dann einfach einen Arzt aufsuchen", ohne dass ihm eigentlich bewusst war, dass es zu diesem Zeitpunkt einfach keinen Arzt gab, der seinen Finger oder seine Wehwehchen anschauen konnte....
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