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Köhlmeier, Michael - Madalyn




(der Autor/in lebt noch, und spiegelt die heutige Zeit)

Köhlmeier, Michael - Madalyn

Beitragvon Pippilotta » 26.10.2010, 07:09

Sebastian Lukasser, jener Schriftsteller, der Köhlmeier-Leser schon aus dem Werk "Abendland" bekannt ist, begleitet seine 14-jährige Nachbarin Madalyn durch deren erste große Liebe. Eigentlich möchte er sich heraushalten, " er sei alt genug", doch das ist nicht so einfach. Seit er der damals 5-jährigen Madalyn nach einem Radunfall zur Hilfe eilte, sieht sie ihn als ihren Lebensretter und Schutzengel und lässt ihn teilhaben an ihrem Leben, er wird zu ihrer Bezugsperson, ihm schenkt sie ihr Vertrauen. Zudem sie bei ihren Eltern, die in erster Linie mit sich selbst beschäftigt sind, nicht die Wärme und das Verständnis findet, das sie braucht.

Als sie sich in Moritz, den Jungen aus der Parallelklasse verliebt, wird Sebastian eingeweiht, die Eltern erfahren nichts. Die Liaison gestaltet sich als schwierig, Moritz ist nicht unbedingt der Traum aller Schwiegermütter; er ist bereits mit dem Gesetz in Konflikt geraten und nimmt es auch mit der Wahrheit nicht so genau, zudem dürfte Madalyn nicht das einzige Mädchen sein, das er auf seinem Fahrrad spazieren fährt. Doch Madalyn diese Liebe ausreden? Sebastian, selbst kinderlos, muss Stellung beziehen und das ist gar nicht so einfach .... Er macht das, was er am besten kann: er arbeitet die Situation literarisch auf, bastelt sich aus den Details, die ihm Madayln erzählt und seinen eigenen Beobachtungen ein Bild, und nähert sich allen Beteiligten schrittweise und sehr einfühlsam. Plötzlich zeigen Madaylns Eltern sympathische Seiten, und auch Moritz ist nicht nur der kleinkriminelle Angeber und Lügner.

Wie in vielen seinen Büchern beschreibt Köhlmeier Alltagsgeschichten, Geschichten aus dem Leben, das wir kennen, bzw. glauben zu kennen. Doch Köhlmeier erzählt sie nicht alltäglich, er erzählt sie spannend, voller Menschlichkeit und Herzenswärme. Er entführt den Leser in die Straßen von Wien,nennt die Schauplätze rund um den Naschmarkt bis zur Donauinsel und auch seine - vermutlich - Lieblingsbuchhandlung wird in diesem Buch verewigt.
Für Köhlmeier Fans ist dieses Buch ohnedies ein "Muss" und allen, die unspektakuläre, aus dem Leben gegriffene Erzählungen mögen, sei dieses Buch ans Herz gelegt!

:stern: :stern: :stern: :stern: :stern:

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Re: Köhlmeier, Michael - Madalyn

Beitragvon Monika » 26.10.2010, 11:23

Ich sehe schon, ich komme um Michael Köhlmeier nicht herum, diese Rezension zwingt einen ja geradezu dazu. Für österreichische Literatur und vor allem für solche, die in Wien spielt, habe ich sowieso eine Schwäche. Ich werde wahrscheinlich erstmal mit "Abendland" beginnen.
Gruß Monika


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Re: Köhlmeier, Michael - Madalyn

Beitragvon Pippilotta » 26.10.2010, 19:06

Köhlmeier ist wirklich eine Lese-Lücke, Monika! Du sollst Dich daran halten, diese Lücke bald zu schließen!! :thumright:
Herzliche Grüße
Pippilotta


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Re: Köhlmeier, Michael - Madalyn

Beitragvon Karthause » 26.10.2010, 20:33

Monika, auch ich kann dir Michael Köhlmeier nur ans Herz legen. Mein erstes Buch von ihm war auch "Abendland", ein Buch, an das ich mich noch heute gern erinnere. "Madalyn" habe ich ja auch gelesen und will auch meine Meinung hier noch kundtun.

„Madalyn“ ist das zweite Buch, dass ich nach seinem großen Roman „Abendland“ von Michael Köhlmeier gelesen habe. Zwischen beiden Bücher gibt es als Verbindungsglied den Erzähler Sebastian Lukasser, den ich auch in diesem Buch sofort mit dem Autor selbst personifizierte. Aber anders als bei „Abendland“, wo Köhlmeier eine Fülle von Schauplätzen und Personen ins Spiel brachte, bleibt „Madalyn“ überschaubar, fast intim. Es erscheint geradliniger, weil Köhlmeier sich auf die Kerngeschichte beschränkt. In 34 teilweise kurzen Kapiteln berichtet er über die väterliche Freundschaft des Schriftstellers zu der Schülerin, die ihm vertraut, ihn aber auch ausnutzt und hintergeht. Sie schüttet ihm ihr Herz aus, erzählt ihm von ihrer ersten Liebe und ihrem Liebeskummer. Madalyn zieht ihn zu Rate, wenn es wieder einmal Schwierigkeiten mit ihren Eltern gibt, mit denen Lukasser nie richtig warm wurde. Er erwähnt schreckliche Streitereien, die für das Mädchen sehr qualvoll gewesen sein mussten. Es wird aber auch deutlich, wie überfordert Lukasser mitunter in diesen Situationen ist. Auch in diesem Buch zeigt sich welch großartiger Beobachter und Erzähler Michael Köhlmeier ist. Er beschreibt seine Protagonisten in ihrer Gesamtheit, mit all dem Guten und dem Negativen, dass ihren Charakter ausmacht und schnell hat man das Empfinden, die auf dem Papier skizzierten Wesen als Menschen wahrzunehmen und persönlich zu kennen. Schauplätze beschreibt er so bildhaft und klar, dass ich mich gleich nach Wien in die Nähe des Naschmarktes versetzt fühlte. Seinen Stil empfinde ich als unverkennbar. Das Ende des Buches kommt dann abrupt. Aber auch das ist wie aus dem Leben gegriffen, glaubhaft. In „Abendland“ (Seite 166 Hanser Verlag) schrieb Michael Köhlmeier: „Wann ist eine Geschichte eine gute Geschichte? Wenn sie gebaut ist wie das Leben.“ Genau das trifft auf diesen Roman zu.
Mein Fazit: Michael Köhlmeier erzählt mit Madalyn die Geschichte der ersten Liebe eines Teenagers, sehr gefühlvoll und berührend, aber gleichzeitig sehr glaubwürdig und nachvollziehbar. Allerdings ist dieser Roman viel mehr als eine einfache Liebesgeschichte, er ist ein Roman über Jugend und Alter, Wahrheit und Lüge und er ist äußerst lesenswert.
Viele Grüße
Karthause

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Re: Köhlmeier, Michael - Madalyn

Beitragvon Susannah » 27.10.2010, 18:22

Köhlmeier ist ein großartiger Schriftsteller und eine ganz starke Persönlichkeit. Die letzte Lesung musste ich krankheitshalber leider ausfallen lassen, aber ich hoffe sehr, dass ich ihn bald wieder erleben darf.

Ein wundervolles Buch, in dem man den Menschen Michael Köhlmeier wohl am besten kennen lernt, ist "Idylle mit ertrinkendem Hund". Darin verarbeitet er den Tod seiner Tochter und schreibt wirklich sehr persönlich.

Bei "Madalyn" hat sich mir immer die Frage aufgedrängt, inwieweit Michael Köhlmeier Sebastian Lukasser ist. Ich glaube, dass er sehr viele biographische Züge in der Figur untergebracht hat.

Es gibt im ORF eine Diskussionsrunde ("Club 2"), die (glaube ich) unregelmäßig stattfindet und fallweise von Köhlmeier moderiert wird. Leider wird sie immer sehr spät in der Nacht ausgestrahlt.
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