Krümels-Bücherwelt ...

... ein Literaturforum der anderen Art

Saramago, José - Der Doppelgänger




(der Autor/in lebt noch, und spiegelt die heutige Zeit)

Saramago, José - Der Doppelgänger

Beitragvon Pippilotta » 04.06.2006, 16:20

Inhalt:

Tertuliano Maximo Afonso ist ein unentschlossener, bequemer, leicht depressiver und frustrierter Geschichtelehrer, Ende 30, geschieden, mit der Bankangestellten Maria eher locker liiert. Eigentlich möchte er die Beziehung beenden, ihm fehlt allerdings der Mut dazu.
Von einem Lehrerkollegen bekommt er den Tipp, sich zur Gemütserheiterung einen Film anzusehen. Tertuliano ist von dem B-Movie nur wenig begeistert, aus einer inneren Eingebung heraus aber sieht er ihn doch zu Ende und entdeckt einen Nebendarsteller, der ihm selber aufs Haar gleicht. Seine Neugierde ist geweckt und Tertuliano beginnt mit akribischer Feinarbeit und Detektivsinn, weitere Filme mit diesem Schauspieler zu eruieren und dessen Identität herauszufinden. Mit ungeahnter Besessenheit und totalem Einsatz macht er den Schauspieler ausfindig, er nimmt Kontakt mit ihm auf und erzählt ihm von den herausgefundenen Tatsachen.
Der Doppelgänger gibt sich zuerst unbeeindruckt und möchte die Sache auf sich beruhen lassen, doch es lässt ihm keine Ruhe und die beiden vereinbaren ein Treffen. Sie stellen fest, dass sie wirklich absolut identisch sind. Allerdings ist dieses Treffen von negativen Gefühlen (Neid, Angst, Ehrgeiz, sogar Hass) gezeichnet.
Beiden lässt das Doppelgängertum keine Ruhe und es kommt zu einem Rollentausch mit fatalen Folgen.


Meine Meinung

Beeindruckend war für mich der Erzählstil und die Erzählperspektive. Der Leser fühlt sich mitten im Geschehen und wird auch immer wieder direkt angesprochen und in das Erzählte miteinbezogen.

Gewöhnungsbedürftig die Satzzeichensetzung. Die direkte Rede wird gänzlich ohne Satzzeichen dargestellt, und ist nur erkennbar an aneinandergereihte Sätze mit großem Anfangsbuchstaben.

Die Idee grundsätzlich fand ich ganz großartig. Die Auswüchse der Gentechnik, der Verlust der individuellen Identität, überhaupt die Rolle des Individuums in der Gesellschaft. Wie schnell ist man wirklich ersetzbar, wie austauschbar ist ein Individuum bzw. wie sehr sind wir eigentlich Individuen? Wie genau kennen uns unsere nächsten Mitmenschen, wie oberflächlich sind wir eigentlich.
Einzelne, fast schon ins Philosophische gehende Aspekte (Kassandra-Motiv, Mutterinstinkt) Aspekte begleiten die Geschichte. Das hat mir sehr gut gefallen.

Allein die Umsetzung und Ausarbeitung dieser Themen im Buch enttäuschte mich doch ein wenig. Die Tatsache, warum Tertuliano niemanden von seinem Doppelgänger erzählt, ist absolut nicht begründet und nicht nachvollziehbar. Das Ende ist doch relativ offen und gibt Anlass für Spekulationen und Diskussionen.

Im Großen und Ganzen ein für mich etwas durchwachsenes Buch, aber sicher nicht das Letzte von José Saramago.

:stern: :stern: :stern: bis :stern: :stern: :stern: :stern:

Bild
Herzliche Grüße
Pippilotta


T.C. Boyle - Wenn das Schlachten vorbei ist

Life is what happens to you while you are busy making other plans (Henry Miller)
Benutzeravatar
Pippilotta
Superkrümel
Superkrümel
 
Beiträge: 4894
Registriert: 19.04.2006, 16:52
Wohnort: ... im Himmel ...

von Anzeige » 04.06.2006, 16:20

Anzeige
 


Ähnliche Beiträge


Zurück zu Zeitgenössische-Literatur

Wer ist online?

0 Mitglieder

cron