Dieses Buch war für mich wie ein Sog.
Alex, der sich selbst nicht wahr nehmen kann, der sich ein freies Leben wünscht, aber keine Ahnung hat, wie er dieses leben soll. Er läuft mit und funktioniert, bleibt dabei in der Mittelmässigkeit stecken, merkt zwar, dass es nicht das ist was er möchte, weiß nicht wie anders und wenig Energie hat, einen Weg zu finden. Er gibt eine mittelmässige Diplomarbeit ab, erst danach fließt es aus ihm heraus, kommen die Ideen, erst ohne alle Zwänge kann er wirklich zum Gestalter werden. Er stürzt sich ohne große Erwartungen und Vorstellungen in eine Beziehung mit Soja, er kennt sie, irgendwie wird erwartet, dass die beiden zusammen kommen. Er hinterfragt nichts. Auch sein Verhältnis zu Iwona lebt er einfach aus, denkt kaum darüber nach, merkt nur, er "braucht" sie, daher benutzt er sie, kann sich mit ihr wenigstens ab und an frei fühlen. Aber Iwona fordert auch nicht.
Alex schafft sich ständig sein eigenes Gefängnis - vielleicht fühlt er sich daher auch bei der Besichtigung des Gefänisses Chateau d'If eher geborgen als eingesperrt. Sonja ist wohl für ihn insofern die richtige Frau, da er ihre Lebensentwürfe einfach mitleben kann; heiraten, eigenes Büro, Erfolg, großes Auto, Haus am See, Kind.
Auch Sonja steht sich selbst im Weg. Eigentlich träumt sie davon, Architektur zu leben. Mit Alex sucht sie sich einen Mann, der ihr, egal was sie tun wird, nicht im Weg stehen wird, der mitläuft. Aber letztendlich schafft auch sie es nicht, ihren Weg zu gehen. Sie kommt aus Marseille zurück und funktioniert ebenfalls. Ich bin überzeugt, dass sie Alex auf ihre Art liebt; und doch kann ich nachvollziehen, warum sie ihm sein Verhältnis zu Iwona immer wieder verzeihen kann. Besitzanspruch an den Partner, glühende Leidenschaft, Familienglück sind nicht die Dinge, die wichtig für sie sind, und doch beginnt sie mit Alex ein Leben, das dies behinhalten sollte.
Am fatalsten stellt sich in dem Buch Iwona dar. Iwona, die irgendwann beschließt, sie liebt Alex und er ist ihr Mann. Nichts, aber auch gar nichts kann sie davon abbringen. Wahrscheinlich sieht sie die Demütigungen, die Alex ihr zufügt gar nicht. Sie erwartet nichts, sie fordert nichts - ob sie sich etwas in ihrem Leben wünscht, erfahren wir leider nicht - sie lebt einfach ihr Leben und wirkt dabei wie tot. Aber ist sie unglücklich?
Ich finde es einfach grandios wie Peter Stamm diese drei Menschen darstellt. Endlich mal keine Prototypen von Helden, Versagern und Menschen, die ihr Leben anpacken oder untergehen; Beschreibungen der Liebe und wie wir sie uns gemeinhin so vorstellen. Hier steckt für mich eine ungeheure Sensibilität. Für mich ein ganz, ganz tolles Buch.
Wenn dieses Buch hier als das schwächste von seinen Werken bezeichnet wird, bin ich auf die anderen gespannt!