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Claudel, Philippe – Flore




(der Autor/in lebt noch, und spiegelt die heutige Zeit)

Claudel, Philippe – Flore

Beitragvon tom » 03.02.2009, 22:12

Original: Meuse l’oubli (französisch, 1999)

ZUM BUCH: In “Flore” erzählt der Ich-Erzähler vom Tode seiner gleichnamigen Geliebten (im Französischen Paule, doch das hätte wohl auf Deutsch Verwirrung geschafft?) und seiner Flucht in eine fremde belgische Kleinstadt an den Ufern der Maas. Ein Jahr wird er dort verbringen und einen langen, langsamen Weg gehen im Leben mit der Trauer, den Erinnerungen und schließlich dem unmöglich gehaltenen, aber sich langsam einstellenden Vergessen und Verwischen. Geprägt ist das Buch von den Erinnerungen an Momente der Nähe mit der Geliebten in Berührung, Duft, Stimme, aber auch dem Blick auf die einsame, kalte Kindheit unter der Mutter, die als Prostituierte arbeitete und ihn ablehnte. Das Dorf entspricht irgendwie der inneren Seelenlandschaft: halb in Ruinen und Häuser zum Verkauf feil, der Vergangenheit zugewandt, ohne Zukunft... Die dort lebenden Menschen sind sowohl von einer robusten, herzlichen Einfachheit als auch – wie der Erinnernde nach und nach feststellen wird – von der Gegenwart ihrer Toten und ihrer Trauer geprägt. Jeder, so scheint es, musste sich früher oder später dem Tode stellen: die Herbergsfrau in der Erinnerung am im Krieg gefallenen Mann, der Fleischer an seine geflohene und verunglückte Frau etc...

BEMERKUNGEN: In seinem Erstlingsroman geht Claudel mit dem Betroffenen den langen Weg vom Augenblick des Todes des geliebten Menschen, der Weigerung von Trostangeboten, der Auflehnung, dem festhalten Wollen, der Flucht, den Erinnerungen bis hin zur sich ganz allmählich einstellenden Besänftigung. Liegt unvermeidbar ein Vergessen vor? Wie kann man sich Neuem öffnen, solange man noch in nächster Nähe zum Unverständlichen lebt? Wie kann man vergessen ohne zu verraten? Erst nach langen Zeiten, hier einem Jahr, zeichnet sich ein sanftes Übergleiten der ganz intensiven Trauerarbeit ab und lässt der Autor erahnen, dass eines Tages vielleicht wieder Platz für eine andere da sein wird.

Auch in äußeren Bildern spielen Fragen von Trauer und Tod eine bildhafte Rolle: das halbverlassene Dorf, die Jahreszeit des Spätherbstes als Ankunftszeit, die Toten der verschiedenen Dorfbewohner und ihre Art der Trauerarbeit, der Friedhof: der Tod, die Abwesenheit von Menschen sind Schlüsselmotive Claudelscher Prosa. Doch hat der innere und äußere Winter eines Tages ein Ende...: da ist der unmerkliche Übergang vom beißenden Schmerz hin zur Erinnerung; das langsame Platzlassen für eine neue Realität, auch eine noch am fern am Horizont Möglich werdende neue Beziehung.

Dies war wohl mein sechstes (?) Buch von ihm, doch erschienen ist es als erstes seiner Romane. Und man findet Claudel schon in seinem Können. Trotz Anleseschwierigkeiten in den ersten Seiten, für mich eine wirklich schöne Entdeckung im Werk des Autors!

:stern: :stern: :stern: :stern: / :stern:

ZUM AUTOR: Philippe Claudel (* 2. Februar 1962 in Dombasle-sur-Meurthe, Lothringen) ist ein französischer Schriftsteller, Dramatiker und Filmregisseur. Er ist seiner Heimat eng verbunden. Lange unterrichtete er in einem Gefängnis. Er wurde in Deutschland zuerst durch seinen Roman „Die grauen Seelen“ bekannt, der die Situation in einem lothringischen Dorf im Hinterland der Front des ersten Weltkrieges schildert. Mit diesem Buch gelang ihm die große Sensation des französischen Bücherherbstes 2003: Die grauen Seelen wurde mit dem Prix Renaudot ausgezeichnet, zum Buch des Jahres gewählt und stand monatelang auf Platz 1 der Bestsellerliste. Sein erster als Regisseur gedrehter Spielfilm Il y a longtemps que je t'aime (englischsprachiger Festivaltitel: I've Loved You So Long) wurde 2008 auf der 58. Berlinale uraufgeführt.

« Flore »
Broschiert: 138 Seiten
Verlag: Logo Verlag; Auflage: 1 (24. September 2007)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3939462039
ISBN-13: 978-3939462033

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Französische Ausgabe « Meuse l’oubli » :
Détails sur le produit
Poche: 157 pages
Editeur : Gallimard (septembre 2005)
Collection : Folio
Langue : Français
ISBN-10: 2070315037
ISBN-13: 978-2070315031

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tom
 

von Anzeige » 03.02.2009, 22:12

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Beitragvon wolves » 04.02.2009, 08:33

Hin und wieder lese ich gerne ein paar Bücher von meinem SuB an, um mich zu entscheiden, welches mein nächstes werden könnte. Deine Beschreibung der Anlaufschwierigkeiten erinnert mich daran, warum ich "Flore" wieder zurückgelegt habe, obwohl Claudel zu einen meiner persönlichen Lieblingen gehört.
Dieses Jahr kommt ja noch "Brodecks Bericht" zu mir (und darauf freue ich mich schon riesig), mal sehen vielleicht schiebe ich "Flore" doch noch dazwischen.
Liebe Grüße
wolves


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Beitragvon tom » 04.02.2009, 09:17

wolves hat geschrieben:Hin und wieder lese ich gerne ein paar Bücher von meinem SuB an, um mich zu entscheiden, welches mein nächstes werden könnte. Deine Beschreibung der Anlaufschwierigkeiten erinnert mich daran, warum ich "Flore" wieder zurückgelegt habe, obwohl Claudel zu einen meiner persönlichen Lieblingen gehört.
Dieses Jahr kommt ja noch "Brodecks Bericht" zu mir (und darauf freue ich mich schon riesig), mal sehen vielleicht schiebe ich "Flore" doch noch dazwischen.


Nun, es hat ja - je nach Ausgabe - "nur" 130-160 Seiten. Es liest sich, nach den ersten Seiten, wie von selbst, und man mag garnicht mehr loslassen...
tom
 



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