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Khider, Abbas - Die Orangen des Präsidenten




(der Autor/in lebt noch, und spiegelt die heutige Zeit)

Khider, Abbas - Die Orangen des Präsidenten

Beitragvon Karthause » 29.03.2012, 16:47

"Meine Mutter weinte, wenn sie sehr glücklich war. Sie nannte diesen Widerspruch "Glückstränen". ... Ich erfand eine neue, melancholische Art des Lachens. Man könnte es als "Trauerlachen" bezeichnen. Diese Entdeckung machte ich, als mich das Regime packte und in Ketten warf." (S. 5)

Irak 1989. Nach der letzten Abiturprüfung wurde Mahdi Hamama von seinem Freund Ali zur Feier des Tages zu einer Spritztour eingeladen. Ali hatte sich ein Auto geborgt – von den falschen Freunden. Bei einer Polizeikontrolle wurden beide festgenommen und inhaftiert. Eine Verhandlung oder ein Urteil gab es nicht. Mahdi verbringt 2 Jahre im Gefängnis voller Schikanen, Demütigungen, Hunger und Folter bevor. Er flüchtet in seine Rolle als Geschichtenerzähler und kann so wenigstens in Gedanken den Schrecknissen entfliehen.
Abbas Khider hat mit „Die Orangen des Präsidenten“ einen wirklich beeindruckenden Roman vorgelegt. Betrachtet man die Biografie des Autors, so wird deutlich, wie nahe an der Realität dieses Buch angelegt sein muss. Denn Abbas Khider war selbst aus politischen Gründen zwei Jahre in irakischer Haft. Wortgewaltig und ausdrucksstark beschreibt er die elenden Verhältnisse, die Schrecken der Folter, die Erniedrigung, den ständigen Hunger, die Ausweglosigkeit und das Ausgeliefertsein. Dabei liest sich der Roman ausgenommen flüssig. Die Geschichte ist in zwei sehr gegensätzliche Handlungsstränge aufgeteilt. Man erlebt den entsetzlichen Gefängnisalltag einerseits, andererseits folgt der Leser der den Geschichten aus Mahdis Kindheit, wie der von Sami, dem Taubenzüchter, oder der des Geschichtslehrers und Übersetzers Razaq’s. Diese schrecklichen Erlebnisse verbunden mit den Erzählungen aus unbeschwerten und sorglosen Kindertagen machen in ihrem Zusammenspiel den besonderen Reiz dieses wunderbaren Romans aus, der ein Stück irakischer Zeitgeschichte widerspiegelt und der auch Tage nach Beendigung der Lektüre aufgrund seiner Glaubwürdigkeit noch nachwirkt.
„Die Orangen des Präsidenten“ gibt ein bewegendes Zeugnis von Willkür und Gewaltherrschaft ab, das den Leser aber nicht in der Hoffnungslosigkeit zurücklässt. Es ist ein sehr informatives und zugleich äußerst lesenswertes Buch, das nachhaltig beeindruckt. Ich kann es uneingeschränkt empfehlen.

Über den Autor (Quelle: amazon.de)
Abbas Khider wurde 1973 in Bagdad geboren. 1996 floh er nach einer Verurteilung aufgrund »politischer Gründe« und nach einer zweijährigen Gefängnisstrafe aus dem Irak. Von 1996 bis 1999 hielt er sich als illegaler Flüchtling verschiedenen Ländern auf, seit 2000 lebt er in Deutschland. Studium der Philosophie und Literaturwissenschaft in München und Potsdam. Lyrik in verschiedenen Publikationen. Zurzeit lebt Abbas Khider in Berlin. Mit seinem vielbeachteten Debütroman Der falsche Inder (Herbst 2008), den er in deutscher Sprache verfasste, war er auf vielen Literaturveranstaltungen zu Gast, so auf dem Erlanger Poetenfestival 2008, der LitCologne 2009, den 6. Coburger Literaturtagen 2009, dem Internationales Literaturfestival Berlin 2009. Von der Heinrich-Böll-Stiftung erhielt er eine Einladung zu einem Festival in Beirut (April 2009), vom Goethe-Institut zu Lesungen in Jordanien und Syrien (Mai 2009). 2009 erhielt er das Alfred-Döblin-Stipendium der Akademie der Künste Berlin, vom Deutschen Literaturfonds bekam er außerdem ein Arbeitsstipendium der Autorenförderung (2009-2010). Seit 2010 ist Abbas Khider Mitglied des PEN. Im März 2010 wurde Abbas Khider mit dem Adelbert-von-Chamisso-Förderpreis geehrt.

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