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Köhlmeier, Michael - Die Abenteuer des Joel Spazierer




(der Autor/in lebt noch, und spiegelt die heutige Zeit)

Köhlmeier, Michael - Die Abenteuer des Joel Spazierer

Beitragvon Karthause » 28.03.2013, 17:39

Im Jahr 1953 lernt der Leser den in Budapest bei seinen Großeltern lebenden András Fülüp kennen. Die Großeltern werden von Stalins Schergen abgeholt und der Junge ist 5 Tage und 4 Nächte sich selbst überlassen, ehe seine Mutter ihn eher zufällig findet. Das Leben nimmt seinen Lauf, die Familie flieht aus Ungarn, leider vor dem Arbeiteraufstand, sodass sie sich gezwungen sehen noch einmal zu fliehen. Die Familie fasst in Wien langsam Fuß und András ist ein Einzelgänger, obwohl alle ihm zugeneigt sind, und beginnt, ein böses Spiel zu spielen, er lügt, manipuliert seine Mitmenschen und verkauft sich bereits im zarten Alter von 9 Jahren an andere Männer. Als Leser folgt man seinem Lebensweg, der eng mit den Ereignissen der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts verbunden ist, durch halb Europa, nach Dünkirchen, Italien, Liechtenstein, in die Schweiz, die ehemalige DDR und die Sowjetunion, darüber hinaus nach Mexiko und Kuba. Man erlebt ihn, wie er sich der freien Natur durchschlägt und sich durch seinen Gefängnisaufenthalt laviert. Er ist ein Egoist, Manipulierer, Lügner, Betrüger, Fälscher, Philosoph und Mörder. Dabei stellt man sich die Frage, ob er auch einfach nur ein Mensch sein kann.

Michael Köhlmeier hat mit „Die Abenteuer des Joel Spazierer“ einen weiteren großen Roman vorgelegt, in dem auch sein Alter Ego Sebastian Lukasser seinen Platz einnehmen konnte. Dieser lenkt die Gedanken des unterdessen gealterten András Fülip, inzwischen nennt er sich Joel Spazierer, so, dass er diese für ein Buch festhalten kann. Lukasser ist der einzige Freund, den Spazierer je hatte und obwohl er alles über ihn weiß, hält er ihm die Treue. Wie bei allen seinen Romanen bewegt sich der Autor auch bei diesem auf einem sprachlich hohen Niveau. In diesem Roman gab es unglaublich skurrile Passagen und auch die ganz leisen, nachdenklich stimmenden. Gelegentlich ist der Leser von den Erzählungen des Protagonisten genarrt, weil man ihm vertraute und nun feststellen muss, alles ist dann doch anders. Michael Köhlmeier nennt seinen Roman selbst einen Schelmenroman und trifft es damit im Großen und Ganzen ziemlich genau. Der Protagonist erzählt seine Autobiografie, begibt sich auf Reisen, durchläuft verschieden gesellschaftliche Schichten, schafft es jedoch immer sich aus brenzligen Situationen zu retten und wird oft am Ende geläutert. Ob letzteres auch bei Joel Spazierer der Fall ist, lasse ich an dieser Stelle offen.

Der Roman wird nicht streng chronologisch erzählt. Der Autor springt mit Joel Spazierer durch dessen Leben. Die einzelnen Erlebnisse werden in einen Rahmen aus gegenwärtigen Betrachtungen des in zwischen über 60jährigen Protagonisten in 12 Kapiteln eingeflochten. „Die Abenteuer des Joel Spazierer“ ist ein Roman, der gute, abwechslungsreiche und kurzweilige Unterhaltung bietet und obendrein zum Nachdenken anregt. Dabei gibt es Anlehnungen an andere literarische Werke. Der Autor selbst nennt Grimmelshausen, ich meine auch noch Günter Grass und John Irving erkannt zu haben. Michael Köhlmeier beweist einmal mehr, welch begnadeter Autor er ist. Bisher wurde ich von seinen Büchern noch nie enttäuscht, obwohl die Erwartung von Mal zu Mal höher ist. Wer gern einem, einen ganzen Roman bestimmenden, Protagonisten durch sein bewegtes Leben folgen möchte, sich auch für die Abgründe menschlicher Charaktere interessiert und dabei das Zeitgeschehen aus dessen Sicht erleben möchte, wird mit diesem Roman gut beraten sein. Ich bewerte den Roman mit :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5:

Über den Autor (Quelle: amazon.de)
Michael Köhlmeier wurde 1949 in Hard am Bodensee geboren und lebt heute in Hohenems/Vorarlberg. Er studierte Germanistik und Politologie in Marburg sowie Mathematik und Philosophie in Gießen und Frankfurt. Michael Köhlmeier schreibt Romane, Erzählungen, Hörspiele und Lieder und trat sehr erfolgreich als Erzähler antiker und heimischer Sagenstoffe und biblischer Geschichten auf. Er erhielt für seine Bücher zahlreiche Auszeichnungen, u.a. mit dem Rauriser Literaturpreis, dem Johann-Peter-Hebel-Preis, dem Manès-Sperber-Preis, dem Anton-Wildgans-Preis und dem Österreichischen Würdigungspreis für Literatur.

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