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Köhlmeier, Michael - Idylle mit ertrinkendem Hund




(der Autor/in lebt noch, und spiegelt die heutige Zeit)

Köhlmeier, Michael - Idylle mit ertrinkendem Hund

Beitragvon Krümel » 17.12.2008, 14:56

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Eine sehr anrührende, autobiographische Erzählung.

Köhlmeier empfängt seinen Lektor bei sich Zuhause. Sie haben sich erst kürzlich das Du angeboten, doch der Umgang damit fällt beiden Männern sehr schwer.
Es ist Winter an der Schweizer-Grenze, und alles liegt in Schnee eingehüllt. Die Männer planen einen Spaziergang und entdecken dabei einen Hund auf dem Eis eines Sees. Dies ist eine gefährliche Situation, da Tauwetter eingesetzt hat und das Eis schon Risse aufweist. Sie beobachten den Hund, und die Eisfläche gibt auch schon nach. Der Hund rutscht mit den Hinterläufen ins Wasser, er kann sich nur noch mit seinem Oberkörper und den Vorderpfoten auf dem Eis halten.
Dem Lektor ist das zu heikel, und so ruft er Köhlmeier nur noch kurz zu, dass er Hilfe herbei rufe, und ist auf und davon.
Der Autor robbt auf dem Bauch zum Hund und versucht ihn zu retten …

Zu Beginn ist diese Erzählung ziemlich flach. Großzügig wird die Begrüßung des Lektors beschrieben, und man hat das Gefühl, dass diese ganze Geschichte nur seicht dahin erzählt ist. Dann aber werden tiefere Gefühle eingewebt, und sukzessive erhält diese Erzählung an Gehalt.

Wahre Freundschaft, auch die Bereitschaft zur Freundschaft, wird hinterfragt, und wie viel Feigheit eine solche Beziehung verkraftet.
Ein wunderbar einfühlendes Buch, welches zum Nachsinnen, vielleicht gerade zur Weihnachtszeit, einlädt.

Bewertung: :stern: :stern: :stern: :stern:
Schwierigkeitsgrad: leicht
BildLiebe Grüße,
Krümel



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von Anzeige » 17.12.2008, 14:56

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Beitragvon Pippilotta » 29.03.2009, 21:23

Köhlmeier hat bei mir einen Stein in der Krone, d.h. er muss mich gar nicht mehr überzeugen, dass er ein großartiger Schriftsteller ist. Ich mag ihn als Nacherzähler von Sagen, ich mag seine Stimme auf seinen Hörbüchern, ich mag ihn als zeitkritischen Österreicher und als Moderator des Club2.

Was wie eine belanglose Erzählung aus dem beschaulichen winterlichen Hohenems beginnt, entwickelt sich zu einem äußerst persönlichen Buch, eine Auseinandersetzung und Verarbeitung mit dem Tod seiner Tochter Paula, die im Jahr 2003 bei einer Bergwanderung tödlich verunglückte. Wie schwer Köhlmeier dieses Buch gefallen ist, liest man zwischen den Zeilen, wie wohltuend und hilfreich das Schreiben dieses Buches war, ebenfalls. Ein sehr berührendes, ein sehr trauriges Buch das viel Raum für eigene Assoziationen und Interpretationen lässt.

:stern: :stern: :stern: :stern: :stern:
Herzliche Grüße
Pippilotta


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Beitragvon Susannah » 30.03.2009, 06:43

Wow!! Diese Buch landet direkt auf meiner Wunschliste und demnächst auf meinem Bestellschein!

Von mir bekommt Köhlmeier auch Vorschusslorbeeren, weil ich sowohl seine Sagen als auch die Bibelgeschichten sehr gerne gelesen habe. Gestern habe ich mit "Abendland" begonnen und es fiel mir sehr schwer, es um 23:30 Uhr wegzulegen.
Nichts ist schöner und nichts erfordert mehr Charakter als sich in offenem Gegensatz zu seiner Zeit zu befinden und laut zu sagen: Nein!
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Beitragvon Susannah » 28.07.2009, 06:55

Gestern habe ích dieses Büchlein gelesen und bin noch immer irgendwie ganz melancholisch deswegen. Es ist wunderschön!

Wie ihr schon geschrieben habt, täuscht es anfangs ein bisschen durch die ewig lange Begrüßung Dr. Beers, aber schon die Begegnung mit Monika und die Führung durch ihren Dschungel haben mir sehr gut gefallen.

Über die Offenheit, mit der er über Paulas Tod schreibt, war ich sehr überrascht und hatte auch den Eindruck, dass es ihm einerseits sehr schwer gefallen sein muß, darüber zu schreiben, er dieses Erlebnis aber andererseits dadurch versucht zu verarbeiten.

Ich habe wirklich viel von Köhlmeier gelesen - inzwischen auch die Shakespeare-Nacherzählungen, aber dieses wandert umgehend auf Platz 1 meiner Köhlmeier-Charts. Bestimmt werde ich es bald wieder lesen!
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Re: Köhlmeier, Michael - Idylle mit ertrinkendem Hund

Beitragvon Karthause » 01.11.2010, 17:55

Hohenems Winter 2006. Der wegen seiner großen Exaktheit bekannte und renommierte Lektor, Dr. Johannes Beer, kündigt sich als Gast bei seinem Autor, dem Ich-Erzähler, an. Obwohl beide seit Jahren miteinander arbeiten, kennen sie sich auf privater Ebene kaum. Zum persönlichen Du kam es eher zufällig als gewollt. Das Verhältnis zwischen beiden ist zwischen fachlichem Vertrauen und persönlicher Distanziertheit angesiedelt. Im Haus des Autors mit erstaunlich großem Gepäck angekommen, begeistert Dr. Beer sich sofort für den urwaldgleichen Wintergarten seiner Gastgeber, wodurch ihm die Sympathien der Hausherrin gewiss sind. Er möchte während seines Aufenthaltes aber nicht nur über Literatur sprechen, er möchte spazieren gehen, allein. Auf einer dieser Wanderungen durch die tief verschneite Alter-Rhein-Landschaft begegnet er einem großen schwarzen Hund, der ihn offensichtlich in sein Herz geschlossen hat.

Bis zu diesem Zeitpunkt wusste ich noch gar nicht, was Michael Köhlmeier mit diesem Buch ausdrücken wollte. Alles begann sehr leicht und unterhaltsam, steigerte sich aber und bekam immer mehr Tiefe. Oberflächlich betrachtet, berichtet Köhlmeier in seiner Erzählung von einem Autor, der sich mit seinem Lektor trifft. Beide duzen sich mehr aus Versehen und als Freunde kann man sie wohl nicht bezeichnen. Aber je weiter man liest, desto mehr wird man von der leisen, unterschwelligen Traurigkeit und der erzählerischen Dichte erfasst. Unzählige Metaphern, von denen viele auf den ersten Blick nicht gleich ersichtlich sind, schmücken dieses dünne Buch. Es war mir wieder eine Freude, die Sprache des Autors auf mich wirken zu lassen. Beeindruckend beschriebene Szenen, die unaufhaltsam und ganz unbemerkt die Seele des Leser ergreifen, erwecken Emotionen, die noch lange nachhallen. Tief beeindruckt war ich von dem eigentlichen Problem in diesem Buch, dem Tod der Tochter Paula, die so jung starb, noch gar nicht richtig lebte, denn “…sie hat den Boden nur mit den Fußspitzen berührt.” Und so geht es letztlich in diesem gehaltvollen Büchlein nicht nur um Freundschaft, sondern um den Umgang mit dem Tod und um den Verlust eines geliebten Menschen. Dem angedachten Gespräch mit dem Lektor über den Tod der Tochter und dessen literarischer Verarbeitung, das sich der Ich-Erzähler in Gedanken zurechtlegte, liegt eine geniale Konstruktion zugrunde, die einem bewusst wird, wenn man die Biographie Michael Köhlmeiers mit dem vorliegenden Roman vergleicht.

„Idylle mit ertrinkendem Hund“ – von mir eigentlich nur als Zwischenlektüre gedacht – hat mich weitaus mehr beschäftigt und beeindruckt als erwartet. Das zeigt wieder einmal, wie viel sich auf nur 112 Seiten sagen lässt. Dieses Buch kann man getrost mehrmals lesen, ich bin sicher, es wird immer wieder eine Bereicherung sein.

:stern: :stern: :stern: :stern: :stern: :love:
Viele Grüße
Karthause

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