Krümels-Bücherwelt ...

... ein Literaturforum der anderen Art

Krien, Daniela - Irgendwann werden wir uns alles erzählen




(der Autor/in lebt noch, und spiegelt die heutige Zeit)

Krien, Daniela - Irgendwann werden wir uns alles erzählen

Beitragvon Susannah » 27.10.2012, 11:10

Kurzbeschreibung Amazon:
Sommer 1990, ein Bauerndorf nahe der deutsch-deutschen Grenze, die gerade keine mehr ist. In ihrem literarischen Debüt schildert Daniela Krien eine Liebesgeschichte von archaischer Wucht, die Zeitgeschehen und Existentielles auf zwingende Weise miteinander verschränkt. Es ist Sommer, heißer, herrlicher Sommer. Der Hof ist ein Dreiseithof. Schaut man geradeaus, sieht man eingezäunte Wiesen und den Bahndamm, und hinter den Schienen, in einiger Entfernung, doch klar erkennbar: den Henner-Hof. Maria wird bald siebzehn, sie wohnt mit Johannes auf dem Hof seiner Eltern, in den „Spinnenzimmern“ unterm Dach. Sie ist zart und verträumt, verkriecht sich lieber mit den „Brüdern Karamasow“ als in die Schule zu gehen. Auf dem Nachbarhof lebt der vierzigjährige Henner, allein. Die Leute aus dem Dorf sind argwöhnisch: Eine Tragik, die mit seiner Vergangenheit zu tun hat, umgibt ihn; gleichzeitig ist er ein Mann, dessen charismatische Ausstrahlung Eifersucht erregt. Ein zufälliger Blick eines Tages, eine zufällige Berührung an einem andern lösen in Maria eine Sehnsucht aus, die fremd und übermächtig ist und sie daher wie von höherer Gewalt geleitet in Henners Haus und in seine Arme treibt… Die sommerlichen Weizenfelder, die vom Heu und den Mückenstichen juckenden Beine, das Summen des Kühlschranks in der Küche… Eine allgegenwärtige Sinnlichkeit beherrscht diesen intensiven Text, der eine ländliche, ebenso schöne wie düstere Welt entstehen lässt und einen Sog entwickelt, der bis zum dramatischen Ende alles mit sich reißt.


"Irgendwann werden wir uns alles erzählen" beginnt mit einer recht detaillierten Beschreibung des Brendel-Hofes, dessen Bewohnern und der näheren Umgebung. Schon dieser Blick, den uns die Autorin gewährt, ist sehr anschaulich, sodass man die Gegend vor seinem geistigen Auge entstehen lassen kann. Auch das Haus inklusive der Bauernküche und des "Spinnenreiches", das die Ich-Erzählerin Maria mit ihrem Freund Johannes bewohnt. Die beiden leben seit kurzer Zeit zusammen und führen eine harmonische aber unspektakuläre Beziehung. Es gibt keine Reibereien aber auch keine besondere Zweisamkeit, die die beiden verbindet.

Marias Mutter lebt im Nachbardorf - alleine. Ihr Mann, Marias Vater, hat sie verlassen um in Russland Gasleitungen zu bauen; außerdem hat er vor, wieder zu heiraten - ein 19jähriges Mädchen. Die Mutter ist noch keine vierzig Jahre alt, wirkt durch die Beschreibung und vor allem durch die Sichtweise Marias jedoch wie eine alte Frau. Depressiv, unglücklich, einsam. Die Erleichterung der Tochter, jedes Mal, wenn sie nach den seltenen Besuchen wieder aufbricht, überträgt sich auf den Leser.

Durch die Begegnung mit dem geheimnisvollen Thorsten Henner, den alle nur "der Henner" nennen, ändert sich Marias Leben grundlegend. Sie stürzt sich in eine Beziehung mit ihm, der ein sehr schwieriger Mensch und mehr als doppelt so alt ist wie sie. Daniela Krien beschreibt Marias Skrupel, ihr schlechtes Gewissen, den Brendels gegenüber, die sie so liebevoll und selbstverständlich aufgenommen haben, die Liebe zu Henner, das Ende ihrer Kindheit in wundervoll einfachen und doch beeindruckenden Sätzen. Eine Stelle, die mir besonders gut gefallen hat und die den Charakter dieser Geschichte wunderbar widergibt, ist "es gibt Dinge, die können gleich erzählt werden, andere haben ihre eigene Zeit, und manche sind unsagbar."

Dass diese Geschehnisse in die Zeit der Wiedervereinigung Deutschlands fallen, wird eigentlich nur nebenbei erwähnt, doch durch Erinnerungen an die DDR-Zeit , Ausflüge in den Westen, den verloren geglaubten und zurück bekommenen Sohn etc. kommt auch das politische Ereignis nicht zu kurz.

Mich hat dieses Buch unglaublich berührt und lässt mich auch nach dem vierten Mal lesen mit einem eigentümlich melancholischen Gefühl zurück.

Bild
Nichts ist schöner und nichts erfordert mehr Charakter als sich in offenem Gegensatz zu seiner Zeit zu befinden und laut zu sagen: Nein!
(Kurt Tucholsky)
Susannah
Allrounderin
Allrounderin
 
Beiträge: 1118
Registriert: 07.11.2006, 21:32
Wohnort: Krieglach

von Anzeige » 27.10.2012, 11:10

Anzeige
 

Re: Krien, Daniela - Irgendwann werden wir uns alles erzähle

Beitragvon Krümel » 27.10.2012, 11:21

Das ist aber schön, dass du diese Buchbesprechung geschrieben hast :thumleft:
BildLiebe Grüße,
Krümel



:lesen3: Klaus Mann - Mephisto
Gedankenwelten
Benutzeravatar
Krümel
Chefkrümel
Chefkrümel
 
Beiträge: 13522
Registriert: 18.04.2006, 23:00
Wohnort: Ostfriesland



Ähnliche Beiträge


Zurück zu Zeitgenössische-Literatur

Wer ist online?

0 Mitglieder

cron