Krümels-Bücherwelt ...

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NDiaye, Marie - Drei starke Frauen




(der Autor/in lebt noch, und spiegelt die heutige Zeit)

NDiaye, Marie - Drei starke Frauen

Beitragvon Pippilotta » 29.07.2011, 18:56

Drei Frauen, drei Leben, drei Schicksale. Drei eigenständige Geschichten, die subtil miteinander verwebt sind.

Norah ist Rechtsanwältin, ihr Vater hat seine Frau und die beiden Töchter verlassen, den Sohn hat er mitgenommen. Norah wurde nichts geschenkt im Leben und als sie jetzt ihr Vater, zu dem sie jahrelang keinen Kontakt hatte, zu sich bittet um ihn bzw. seinen Sohn aus der Klemme zu helfen, regt sich in ihr großer Widerstand, alte Wunden reißen auf und der Fokus wird auf Vorfälle in ihrer Kindheit gerichtet, die sie lieber vergessen würde…

Fanta ist die zweite Protagonistin. Ihre Geschichte erfährt man von ihrem Ehemann Rudy, einem suspendierten Französischlehrer, der voller Mannesstolz Fanta aus dem Sumpf geholt hatte, den großen Gönner gespielt hat und ihr die Welt zu Füßen legen wollte, ehe er von seiner Vergangenheit eingeholt wurde und sein wahres Ich zum Vorschein trat, Aggressivität und Gewalt überhand nehmen und er das Leben beider zerstörte.

Die dritte Geschichte erzählt von Khady. Nach dem Tod ihres Mannes wird die kinderlos gebliebene Frau von dessen Familie nur geduldet, um diesem Schicksal zu entrinnen begibt sie sich in die Hände von Schleppern, die sie nach Frankreich bringen sollen. Sie ist fürchterlichen Zuständen ausgesetzt, wird betrogen, ausgenutzt und landet schließlich als Prostituierte in einem Durchgangslager.

Alle drei Schicksale spielen sich zwischen Senegal und Frankreich ab und führen in diesen – zumindest mir - so fremden Kulturkreis. Allen drei Frauen ist von kleinauf ein Schicksal in einem von Männern und von Gewalt beherrschten Umfeld auferlegt, dem es kein Entrinnen gibt. Keine der drei Frauen stellt sich aktiv gegen dieses Schicksal, sie ertragen Erniedrigungen, Demütigungen und Gewalt. Dennoch erscheinen sie als starke Frauen, den sie behalten sich bis zuletzt und in jeder Situation ihre Würde und Menschlichkeit und lassen so die Männer – seien es Väter oder Ehegatten – schwach aussehen. Sie dulden das Schicksal, nehmen seelische und körperliche Verletzungen mit einer erstaunlichen Gelassenheit hin, ohne aber passiv zu wirken, ohne sich geschlagen zu geben.

Sprachlich ausgefeilt, detailreich, mit manch magischen Elementen gespickt und sehr elegant schildert Marie NDiaye die Gefühlswelten der Protagonistinnen, doch für mich wirken dadurch die Bitterkeit, die Tristesse, die Härte und die Grausamkeit noch beklemmender. Das Buch berührte mich tief und ich halte es mit der Sabine Rohlf (Berliner Zeitung) die meinte „Mit ihrer eindringlichen und ziemlich schonungslosen Wirklichkeitsnähe sagt NDiaye sehr viel über eine Welt, in der die einen vom Design ihrer Einbauküche, die anderen vom schlichten Überleben träumen

Inwieweit Marie NDiaye, geb. 1967, aufgewachsen in einem Vorort von Paris, der Vater verließ die Familie Richtung Senegal als sie ein Jahr alt war, ihre senegalesischen Wurzeln und ihre Familiengeschichte verarbeitete, lässt sich nur erahnen. Sie lebte in vielen Ländern Europas ehe sie sich vor einigen Jahren mit ihrer Familie in Berlin niederließ. Für "Drei starke Frauen" erhielt sie den Prix Goncourt 2010, sehr verdient, wie ich meine!

:stern: :stern: :stern: :stern: ( :stern: )

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Re: NDiaye, Marie - Drei starke Frauen

Beitragvon Karthause » 14.09.2011, 12:15

Im BT habe ich ja schon im LR-Thread geschrieben, dass ich mit den mystischen Elemente immer so ein paar Probleme habe. Zum Glück hat Conor die Gedanken weitergesponnen. Wie hast du für dich, liebe Pippi, das Ende der Geschichte um Norah gesehen. Die Szene mit dem Flammenbaum hatte sich mir nicht auf Anhieb erschlossen. Ich hätte es wohl, hätte ich das Buch für mich allein gelesen, so wie es ist akzeptiert.
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Re: NDiaye, Marie - Drei starke Frauen

Beitragvon Pippilotta » 14.09.2011, 16:02

Karthause hat geschrieben:Die Szene mit dem Flammenbaum hatte sich mir nicht auf Anhieb erschlossen. Ich hätte es wohl, hätte ich das Buch für mich allein gelesen, so wie es ist akzeptiert.


ich hab ja auch eher Probleme mit dem Übersinnlichen .... und die Geschichte rund um Norah hat mich auch etwas ratlos zurückgelassen. (deshalb fand ich auch die dritte Geschichte in diesem Buch als die beste). Ich habe es auch so wie anfangs Du gehandhabt .... ich habe es so akzeptiert, wie es ist. Aber in den Flammenbaum kann man sicherlich vieles hineininterpretieren, wie auch das Auftauchen der Familie von Norah... (wobei ich glaube, dass diese nicht wirklich dort aufgetaucht sind, sondern dass sich das im Gehirn der Norah abgespielt hat.... weil ihr eben viel bewusst geworden ist). ich werde mir mal den Thread im BT suchen und Eure Mutmaßungen nachlesen .....
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Re: NDiaye, Marie - Drei starke Frauen

Beitragvon Karthause » 15.09.2011, 20:08

Danke, Pippi. Wenn ich eine Weile darüber nachdenke, stimme ich dir zu, die Familie war nicht wirklich da. Sowohl die Geschichte um Norah und die um Fanta habe ich vollständig gelesen und es gab in beiden ja einen Erkenntnisprozess, eine Art Wandlung. Aber dieses Buch in einer Leserunde zu lesen, ist für mich der richtige Weg. Wir ergänzen und ganz gut und dein Kommentar wirft noch einmal ein ganz anderes Licht auf das Buch.
Und der Rudy tat mir am Ende sogar ein wenig Leid.
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Re: NDiaye, Marie - Drei starke Frauen

Beitragvon Gast » 19.11.2014, 13:07

Karthause hat geschrieben:
> Im BT habe ich ja schon im LR-Thread geschrieben, dass ich mit den mystischen Elemente
> immer so ein paar Probleme habe. Zum Glück hat Conor die Gedanken weitergesponnen.
> Wie hast du für dich, liebe Pippi, das Ende der Geschichte um Norah gesehen. Die
> Szene mit dem Flammenbaum hatte sich mir nicht auf Anhieb erschlossen. Ich hätte
> es wohl, hätte ich das Buch für mich allein gelesen, so wie es ist akzeptiert.
I[quote="Pippilotta"]Drei Frauen, drei Leben, drei Schicksale. Drei eigenständige Geschichten, die subtil miteinander verwebt sind.

Norah ist Rechtsanwältin, ihr Vater hat seine Frau und die beiden Töchter verlassen, den Sohn hat er mitgenommen. Norah wurde nichts geschenkt im Leben und als sie jetzt ihr Vater, zu dem sie jahrelang keinen Kontakt hatte, zu sich bittet um ihn bzw. seinen Sohn aus der Klemme zu helfen, regt sich in ihr großer Widerstand, alte Wunden reißen auf und der Fokus wird auf Vorfälle in ihrer Kindheit gerichtet, die sie lieber vergessen würde…

Fanta ist die zweite Protagonistin. Ihre Geschichte erfährt man von ihrem Ehemann Rudy, einem suspendierten Französischlehrer, der voller Mannesstolz Fanta aus dem Sumpf geholt hatte, den großen Gönner gespielt hat und ihr die Welt zu Füßen legen wollte, ehe er von seiner Vergangenheit eingeholt wurde und sein wahres Ich zum Vorschein trat, Aggressivität und Gewalt überhand nehmen und er das Leben beider zerstörte.

Die dritte Geschichte erzählt von Khady. Nach dem Tod ihres Mannes wird die kinderlos gebliebene Frau von dessen Familie nur geduldet, um diesem Schicksal zu entrinnen begibt sie sich in die Hände von Schleppern, die sie nach Frankreich bringen sollen. Sie ist fürchterlichen Zuständen ausgesetzt, wird betrogen, ausgenutzt und landet schließlich als Prostituierte in einem Durchgangslager.

Alle drei Schicksale spielen sich zwischen Senegal und Frankreich ab und führen in diesen – zumindest mir - so fremden Kulturkreis. Allen drei Frauen ist von kleinauf ein Schicksal in einem von Männern und von Gewalt beherrschten Umfeld auferlegt, dem es kein Entrinnen gibt. Keine der drei Frauen stellt sich aktiv gegen dieses Schicksal, sie ertragen Erniedrigungen, Demütigungen und Gewalt. Dennoch erscheinen sie als starke Frauen, den sie behalten sich bis zuletzt und in jeder Situation ihre Würde und Menschlichkeit und lassen so die Männer – seien es Väter oder Ehegatten – schwach aussehen. Sie dulden das Schicksal, nehmen seelische und körperliche Verletzungen mit einer erstaunlichen Gelassenheit hin, ohne aber passiv zu wirken, ohne sich geschlagen zu geben.

Sprachlich ausgefeilt, detailreich, mit manch magischen Elementen gespickt und sehr elegant schildert Marie NDiaye die Gefühlswelten der Protagonistinnen, doch für mich wirken dadurch die Bitterkeit, die Tristesse, die Härte und die Grausamkeit noch beklemmender. Das Buch berührte mich tief und ich halte es mit der Sabine Rohlf (Berliner Zeitung) die meinte „[i]Mit ihrer eindringlichen und ziemlich schonungslosen Wirklichkeitsnähe sagt NDiaye sehr viel über eine Welt, in der die einen vom Design ihrer Einbauküche, die anderen vom schlichten Überleben träumen[/i]“

Inwieweit Marie NDiaye, geb. 1967, aufgewachsen in einem Vorort von Paris, der Vater verließ die Familie Richtung Senegal als sie ein Jahr alt war, ihre senegalesischen Wurzeln und ihre Familiengeschichte verarbeitete, lässt sich nur erahnen. Sie lebte in vielen Ländern Europas ehe sie sich vor einigen Jahren mit ihrer Familie in Berlin niederließ. Für "Drei starke Frauen" erhielt sie den Prix Goncourt 2010, sehr verdient, wie ich meine!

:stern: :stern: :stern: :stern: ( :stern: )

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Re: NDiaye, Marie - Drei starke Frauen

Beitragvon Gast » 19.11.2014, 13:08

[quote="Karthause"]Im BT habe ich ja schon im LR-Thread geschrieben, dass ich mit den mystischen Elemente immer so ein paar Probleme habe. Zum Glück hat Conor die Gedanken weitergesponnen. Wie hast du für dich, liebe Pippi, das Ende der Geschichte um Norah gesehen. Die Szene mit dem Flammenbaum hatte sich mir nicht auf Anhieb erschlossen. Ich hätte es wohl, hätte ich das Buch für mich allein gelesen, so wie es ist akzeptiert.[/quote]
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Re: NDiaye, Marie - Drei starke Frauen

Beitragvon Eva el Harmil » 19.11.2014, 13:14

[quote="Pippilotta"][quote="Karthause"]Die Szene mit dem Flammenbaum hatte sich mir nicht auf Anhieb erschlossen. Ich hätte es wohl, hätte ich das Buch für mich allein gelesen, so wie es ist akzeptiert.[/quote]

ich hab ja auch eher Probleme mit dem Übersinnlichen .... und die Geschichte rund um Norah hat mich auch etwas ratlos zurückgelassen. (deshalb fand ich auch die dritte Geschichte in diesem Buch als die beste). Ich habe es auch so wie anfangs Du gehandhabt .... ich habe es so akzeptiert, wie es ist. Aber in den Flammenbaum kann man sicherlich vieles hineininterpretieren, wie auch das Auftauchen der Familie von Norah... (wobei ich glaube, dass diese nicht wirklich dort aufgetaucht sind, sondern dass sich das im Gehirn der Norah abgespielt hat.... weil ihr eben viel bewusst geworden ist). ich werde mir mal den Thread im BT suchen und Eure Mutmaßungen nachlesen .....[/quote]
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