Krümels-Bücherwelt ...

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Roche, Charlotte - Feuchtgebiete




(der Autor/in lebt noch, und spiegelt die heutige Zeit)

Roche, Charlotte - Feuchtgebiete

Beitragvon Salome » 18.03.2008, 17:41

[center]Bild[/center]

Befreiungsschlag gegen parfümierte Slipeinlagen, Rasierzwang und Hygienewahn

Charlotte Roches erster Roman musste ja irgendwie etwas besonderes sein, sie selbst ist es ja schließlich auch selbst.
Protagonisten ihres Romans ist die 18 jährige Helen. Bei einer Intimrasur am Arsch, schneidet sie sich in den selbigen. Als die Wunde zu eitern beginnt geht sie ins Krankenhaus, muss operiert werden. Der Aufenthalt im Krankenhaus wird in Helens Leben schließlich ein Wendepunkt.

Hygiene wird bei mir kleingeschrieben


Helen hat ein - sagen wir - sehr inniges Verhältnis zu ihrem Körper und ihrer Sexualität. Es ist sozusagen ihr Lebensinhalt. Jede kleine Fantasie muss ausgelebt werden und jeder noch so verschrobenen, unbeantworteten Frage muss nachgegangen werden. Mit unbelasteter Neugier und Pioniergeist geht Helen auf eine etwas andere Entdeckungsreise ihres Körpers. Hiervon wird nichts an Körperflüssigkeiten ausgespart, Eiter, Wundschorf, Smegma… Helen plaudert über Analverkehr und Tampontausch mit der Freundin, wie andere in ihrem Alter über Schminktipps plaudern.
Charlotte Roche provoziert bewusst und übertreibt sicher auch an der ein oder anderen Stelle gerne mal mit Helens Ekel-Aktionen, ihrem Fetischismus und Hygieneekel. Allerdings ist das auch im Kontext notwendig damit der Leser aus der konventionellen Welt der Hyperhygiene erstmal hinausgeschleudert wird und sich in den Ursprüngen des Menschen wiederfinden kann.

Die Idee zu diesem Buch entstand aus Roches Wut über parfümierte Damenbinden und Intimlotionen, die Frauen suggerieren sie stinken da unten und zwar so schrecklich, dass man man das nicht einmal mit normaler Seife wegwaschen kann, beziehungsweise mit Maiglöckchenduft überdecken muss. Das führt bei vielen Frauen zu Hemmungen z.B. beim Oralverkehr. Während Männer losgelöst mit ihrem Sperma und Smegma wenig Sorgen haben, ich habe bis dato zumindest noch keine Intimlotion für Männer entdeckt. Frauen haben nun einmal Vaginalsekrete, Frauen kacken, Frauen haben ihre Tage, Frauen sind eben Menschen, Menschen die ihre Fetische und auch ihre Ekelseiten haben. Ich kann Roches Bedürfnis nach diesem Buch sehr gut verstehen und bin froh solch offene und unverklemmte Worte zu dem Thema gelesen zu haben. Ein Befreiungsschlag gegen die Mafia der Damenhygiene.

Die andere Seite des Buchs ist fast tragische Hintergrund der Figur Helen. Er scheint nur an einigen Stellen des Romans durch, gerade genug um zu verstehen, warum einiges an dem Mädchen so extrem ist. Helen ist Scheidungskind, leidet sehr darunter, fühlt sich unsichtbar. Daher ihr starkes Bedürfnis nach Aufmerksamkeit, danach andere zu schockieren und einen Teil von ihr mit anderen zu verbinden, was ihr scheinbar nur über das Verstreuen ihrer Bakterien zu gelingen scheint. Einzig Pfleger Robin kommt Helen nah. Ihm gelingt es durch Helens Fassade zu dringen.

Roches Romans ist in einer Sprache geschrieben, die der der 18-jährigen Helen entspricht. Einach, kurz auf den Punkt gebracht, cool, nah der realen Gegenwart. Es liest sich daher locker flockig, auch durchs Roches einmaligen Humor, der mal subtil durchscheint, mal wie ein Hammer kommt. Ich habe an einigen Stellen herzlich gelacht und auch sonst habe ich mich prächtig amüsiert. Auch die Message ist bei mir angekommen. Also ein stimmiges, gutes Leserlebnis.

Witzig finde ich vor allen Dingen die Reaktionen, bzw. Rezensionen zu diesem Buch, besonders die bei Amazon. Allein der Klappentext, bzw. Beschreibungen des Buchs lassen doch ziemlich deutlich durchblicken was einen erwarten könnte. Nein, jeder Otto-Normal-Spiesser muss das Buch trotzdem haben und lesen, und sei es nur um sich hinterher über die sooooo ekligen Szenen (die meist gar nicht sooooo ekelig sind) aufzuregen. Ist mir ein Rätsel. Vielleicht um vor den anderen klarzustellen, wie sauber und rasiert sie doch sind im Gegensatz zu Ekel-Helen, sonst könnte man ja sonst was von Ihnen denken. Lustig, dass man die Leute doch noch schocken kann!

Weiter so Charlotte!

:stern: :stern: :stern: :stern: :stern:

ISBN: 3832180575

DuMont Buchverlag GmbH

Februar 2008 - kartoniert - 219 Seiten

14,90 €
Salome
 

von Anzeige » 18.03.2008, 17:41

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Beitragvon Salome » 18.03.2008, 20:19

Ich sehe das genauso! Viele Krankheiten sind Folge von zu viel Hygiene.
Niemand muss stinken, aber ein Umdenken ist schon alleine der Umwelt zuliebe unumgänglich!
Salome
 

Beitragvon Coco » 18.03.2008, 22:00

Warum denke ich da spontan an eine Freundin von mir ????

Dieses Buch muss ich haben - und vielleicht schenke ich es ihr dann. :wink:

Danke Salome für die Vorstellung eines mal ganz "anderen" Buches !
Liebe Grüsse
Coco

-----------

:studie:

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Beitragvon wolves » 19.03.2008, 09:22

Ich kann euch da nur zustimmen, es gibt einfach einen zu zwanghaften Hygienewahn bei uns. Ich meine stinken muss man ja nicht gerade, aber dieses übertriebene Waschen hat schon so manch einer geschadet. Die Mädels wissen bestimmt was ich gerade andeute.
Allerdings ob ich deshalb das Buch jetzt lesen möchte? Es wird ja soviel drüber geschrieben, dass man sich ja am liebsten selbst ein Bild davon machen möchte.
Kennt ihr eigentlich Charlotte Roche noch als Moderatorin? Ich habe hin und wieder einen Blick in ihre Sendungen geworfen und da hatte sie mir immer ausgesprochen gut gefallen.

Fällt mir gerade ein @Steffi: Hast du das Buch nicht auch gelesen? Ich meine bei Büchertreff was gesehen zu haben. Wie ist da dein Eindruck von dem Buch?

@Salome: Danke für deine Rezi! Du sprichst wenigstens mal an, was in dem Buch passiert. Bei literaturschock wurde es ja nur angedeutet und ich konnte da wenig mit anfangen. Da war der Rezensent allerdings ein Mann, ob das wohl auch eine Rolle gespielt hatte? :wink:
Liebe Grüße
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Beitragvon Susannah » 19.03.2008, 13:16

wolves hat geschrieben: Kennt ihr eigentlich Charlotte Roche noch als Moderatorin? Ich habe hin und wieder einen Blick in ihre Sendungen geworfen und da hatte sie mir immer ausgesprochen gut gefallen.


Ich habe ihre Sendung auch gerne gesehen. Aus dem Grund, dass sie unkonventionell, originell und witzig war. Eine Situation ist mir sofort eingefallen, als ich von dem Buch gehört habe. In ihrer Sendung ist sie mal kurz auf den Hygienewahn eingegangen und hat gesagt, dass sie nicht jeden Tag dusche. "Heute z. B. habe ich noch nicht geduscht." und daraufhin ist sie ganz nah zu ihrem Gast (ich glaube, es war eine Frau) gerückt.

Ich kann mir ehrlich gesagt nicht vorstellen, einen Tag lang nicht zu duschen, weil ich wahrscheinlich gar nicht munter werden würde, aber ich verurteile selbstverständlich niemanden, der das nicht tut. Aber wozu Intimcremes und parfumierte Slipeinlagen gut sein sollen, hab ich auch nie verstanden, wenngleich ich diese Tatsachen einfach nicht hinterfragt habe.

Mittlerweile habe ich so viel von dem Buch gelesen und gehört, dass ich wirklich immer neugieriger werde. Wahrscheinlich muß es irgendwann mal sein.
Nichts ist schöner und nichts erfordert mehr Charakter als sich in offenem Gegensatz zu seiner Zeit zu befinden und laut zu sagen: Nein!
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Beitragvon Pippilotta » 19.03.2008, 18:21

Ich kenne Charlotte Roche nicht, hab noch nie von ihr gehört ... bis eben genau dieses Buch in die Schlagzeilen geraten ist.

Ich werde Charlotte Roche auch nicht näher kennen lernen, weil ich sicherlich dieses Buch nicht lesen werde.

Wenn es ihr ein solches Bedürfnis ist, über das Hygieneverhalten zu berichten, warum hat sie kein - fundiertes - Sachbuch geschrieben? Ich denke auch, dass extreme Hygiene schädlich sein kann, aber es sollte jeder für sich entscheiden wieviel er sich selber - und den Mitmenschen (und der Umwelt) - zumuten kann (wobei ich tägliches Duschen nicht als extemes Hygieneverhalten verstehe).

Ich halte nichts von dieser Art "extrovertierter" Literatur und deshalb wird Charlotte Roche sicherlich kein Geschäft mit mir machen.
Ja, schimpft mich ruhig als prüde, ich halte das schon aus! :P
Herzliche Grüße
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Beitragvon Pippilotta » 19.03.2008, 20:50

naja, andere Gebiete, die in diesem Buch offenbar beschrieben wurden (und die im BT z.B. schon ausgiebigst beschrieben wurden), doch (Tampontausch :shock: )

Nix für mich. :P
Herzliche Grüße
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Beitragvon Karthause » 23.06.2008, 19:32

Die 18-jährige Helen liegt nach einer missglückten Intimrasur wegen einer Analfissur im Krankenhaus. Diese Situation will sie ausnutzen, damit ihre geschiedenen Eltern wieder zusammenkommen. Als ihre Wunde aber schneller heilt, als sie ihr Vorhaben umsetzen kann, greift sie zum letzten Mittel, um ihren Aufenthalt verlängern zu können. Sie reißt sich ihre frische Operationswunde bewusst selbst auf. Soweit die eigentliche Handlung, dafür würden an sich 2 DIN A4 Seiten genügen. Die 219 Seiten des Buches werden gefüllt mit detaillierten Beschreibungen von Helens Körper, insbesondere der Körperöffnungen, ihres (sehr eigentümlichen) Hygieneverhaltens, ihrer Masturbationstechniken. Mir ist jetzt jeder einzelne Geschmack und Geruch der verschiedenen Körperflüssigkeiten der jungen Frau bekannt. Die Konsistenz würde natürlich nicht ausgelassen.

Nachdem „Feuchtgebiete“ sozusagen in aller Munde war – was für ein zum Buch passendes Wortspiel – wollte ich mir meine eigene Meinung darüber bilden. Ich habe sie mir gebildet. Das Buch empfand ich weder als ekelerregend noch als skandalös. Ich fühlte mich auch nicht provoziert. „Feuchtgebiete“ hat mich einfach nur gelangweilt. Auf gut 200 Seiten wird versucht, gegen Tabus anzuschreiben und dem gegenwärtigen Hygieneverhalten den Kampf anzusagen. Um dies zu erreichen, war die Autorin bemüht, sämtliche Fettnäpfchen zu betreten und dem Leser eine derb-vulgäre, eher gossenhaft wirkende Sprache zu präsentieren. Zwischenzeitlich war ich versucht dieses Buch zur Seite zu legen. Ich habe mich aber dann anders entschieden, nur um festzustellen, ob mir eine Grimmepreisträgerin wirklich nicht mehr zu sagen hat.
Ich gehe jedoch davon aus, dass Charlotte Roche akribisch für dieses Werk recherchiert hat. Das würde mich beruhigen, denn würde das doch beweisen, dass ich bedenkenlos öffentliche Toiletten auf jedwede Weise benutzen kann und mich trotzdem bester, wahrscheinlich sogar noch besserer Gesundheit erfreuen werde.

Mein Fazit: Ich kann Charlotte Roche nur zu ihrem Marketing-Erfolg gratulieren, ein literarischer Erfolg ist es wohl eher nicht. Für mich gehört dieses Buch in die Kategorie „Bücher, die die Welt nicht braucht“. Zum Glück war mein Exemplar nur ein geliehenes.

:stern: besser wäre wohl in diesem Falle: Bild

edit: Bewertung nachgereicht!
Viele Grüße
Karthause

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Beitragvon Pippilotta » 23.06.2008, 20:15

@ Karthause: :clap:

ich denke, mein Fazit würde auch so ausfallen, würde ich das Buch denn lesen (was ich aber nicht mache), denn es gibt genug Bücher,die die Welt durchaus braucht und die müssen alle erstmal gelesen werden!
Herzliche Grüße
Pippilotta


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Beitragvon wolves » 24.06.2008, 07:14

@Karthause: Deine Rezi habe ich mit einem Grinsen im Gesicht gelesen. :clap: Ich bewundere dich gerade dafür, dass du das Buch tatsächlich bis zu Ende gelesen hast!
Ich habe gerade mal bei Amazon nachgeschaut. Mittlerweile gibt es sagenhafte 731 Kundenrezensionen dazu :shock: Witzig diesmal die dazu passenden Buchempfehlungen angefangen mit "Bockmist". :lol:
Liebe Grüße
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Beitragvon Coco » 24.06.2008, 08:32

Karthause, Deine Beschreibung des Buches - das ich noch nicht gelesen habe - ist wunderbar!

Irgendwann, wenn der Kopf mal wieder "überschwappt", leihe ich es mir auch aus. Ich möchte doch auch wissen, worüber sich eine Nation so aufregt. :wink:
Liebe Grüsse
Coco

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Beitragvon Krümel » 24.06.2008, 10:23

Die Rezi kommt auch ins Blog :D
BildLiebe Grüße,
Krümel



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Beitragvon Coco » 24.06.2008, 10:25

Ja auf jeden Fall, weil die ist wirklich gut!!!!
Liebe Grüsse
Coco

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Beitragvon Karthause » 24.06.2008, 11:18

:oops: Danke! :D
Viele Grüße
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