[center]Ruth Klüger - weiter leben : Eine Jugend[/center]
"Und in Wirklichkeit war es Zufall, dass man am Leben geblieben ist."
Ruth Klüger ist Wienerin, geboren 1931, Jüdin. Als Germanistin, Feministin, Lyrikerin, Autorin lebt sie heute teils in Kalifornien, teils in Göttingen.
"weiter leben" ist die Autobiographie ihrer Kindheit und Jugend, behütet in Wien, ausgrenzt und verfolgt nach dem Anschluss, deportiert, überlebt und dabei immer: weiter gelebt. Was kann dem Leser so ein Buch Neues sagen über Theresienstadt, über Auschwitz? Glauben wir nicht uns eingefühlt zu haben in die Opfer, die Täter, genug Betroffenheit geäußert und gefühlt zu haben? Standen vielleicht schon selbst mit ernsten Mienen in Dachau oder Buchenwald?
Nein, betroffen machen will Klüger die Leserin (sic!) nicht, auch kein Mitleid erzeugen. Nüchtern und analysierend erzählt sie ihre Erlebnisse, die gestohlene Kindheit im KZ, den Hunger, die Leiden. Nüchtern und doch sehr persönlich, beispielsweise die lebenslang schwierige Beziehung zur Mutter, die Sprachlosigkeit zwischen Tochter und Mutter.
Besonders interessant fand ich dabei, dass Ruth Klüger nicht einfach nur ihr Leben erzählt, sondern häufig einstreut, wie sie und ihre Umgebung mit ihrer Vergangenheit umgeht.
Kann sie in gemütlicher abendlicher Runde, wenn reihum von harmlosen klaustrophobischen Erlebnissen (Aufzügen, lange Tunnel) erzählt wird, die Erfahrungen eines Transport per Güterwagon von Theresienstadt nach Auschwitz erzählen?
Wie geht man selbst mit der eintätowierten Nummer um, wie reagiert sie auf Menschen, die sagen, sie müsse dies Symbol der Erniedrigung wegmachen lassen.
Wütend ist sie oft über die Reaktionen der Menschen, wenn diese glauben, besser bescheid zu wissen als sie, die Betroffene, Traumatisierte; weil sie ihr das Erlebte absprechen ("Theresienstadt war ja nicht so schlimm" "Du warst ja noch ein Kind"), ihr vorschreiben, was sie zu fühlen hat. Gerade das macht das Buch so einzigartig und speziell, dass sie sich nicht allein auf das Erlebte und sein Grauen "beschränkt", sondern die Auswirkungen auf ein ganzes Leben reflektiert. Damit eröffnete sie mir eine neue Sicht auf ein sensibles, vielbehandeltes Thema.
Sie zeigt aber auch den Weg einer starken Frau, die versucht IHR Leben anzunehmen und zu leben.
"Aber lasst euch doch mindestens reizen, verschanzt euch nicht, sagt nicht von vornherein, das gehe euch nichts an oder es gehe euch nur innerhalb eine festgelegten mit Zirkel und Lineal säuberlich abgegrenzten Rahmens an, ihr hättet ja schon die Photographien mit den Leichenhaufen ausgestanden und euer Pensum an Mitschuld und Mitleid absolviert. Werdet streitsüchtig, sucht die Auseinandersetzung."
Unbedingte Empfehlung!
Katia