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Djerassi, Carl - Cantors Dilemma




Djerassi, Carl - Cantors Dilemma

Beitragvon Katia » 27.12.2006, 11:26

[center]Carl Djerassi: Cantors Dilemma[/center]

Inhalt: Djerassi bezeichnet sein Genre als "Science in Fiction", d.h. er schreibt teils autobiographisch angehauchte Roman aus der Welt der Wissenschaft. In diesem Fall ist die Hauptperson Isidor Cantor, ein Zellbiologe, der eine neue Theorie über die Entstehung von Tumoren entwickelt hat. Schon vom ersten Moment an weiß er, dass diese Theorie Nobelpreisverdächtig ist, doch dazu darf sie keine Theorie bleiben - er braucht ein Experiment, das sie stützt. Er findet dies und lässt es seinen jungen, vielversprechenden Mitarbeiter Jerry Stafford durchführen, dem es im ihm vorgegebenen Zeitrahmen glückt. In einem großen Coup veröffentlichen die beiden ihr Ergebnis in "Nature", besonders will Cantor damit seinen Kollegen-Konkurrenten Kurt Krauss in Havard überraschen. Doch der kann das Experiment nicht wiederholen und als Cantor und Stafford es zusammen wiederholen, fällt ein böser Verdacht auf Jerry....

Eingeflochten sind noch zwei Liebesgeschichten: Jerry mit der aufstrebenden Chemikerin Celestine Price, Cantors mit deren Tante Paula Curry. Der Roman gewinnt dadurch menschliche Momente, die Charaktere werden von ihrem reinen Wissenschaftlertum zu Vollblutmenschen.

Autor: Carl Djerassi, Jahrgang 1923 war Professor für Chemie in Stanford. Bekannt wurde er außerhalb der wissenschaftlichen Gemeinschaft als "Vater der Anti-Baby-Pille". Nach seine wissenschaftlichen Karriere wendete er sich dem Schreiben über Wissenschaft zu; "Cantors Dilemma" ist sein erster Roman. Daneben verfasst er vorrangig Bühnenstücke.

Meine Meinung: Ich habe diesen Roman mit großem Interesse und Vergnügen gelesen. Natürlich ist er vom Thema recht speziell, wer sich nicht für Naturwissenschaften und die universitären Klüngel und Machenschaften interessiert wird sicher nicht glücklich mit dem Buch werden. Auch für mich sind viele Aspekte fremd, z.B. die Arbeit im Labor. Das Buch hat manche sehr witzige Momente, z.B. Cantor, der statt auf die Overheadfolie zu schreiben, direkt auf die Projektionsfläche malt, aber auch sehr böse, besonders am Ende zwischen Krauss und Cantor. Djerassi schreibt flott und gut lesbar, ohne einen besonders hohen literarischen Anspruch zu verfolgen - er ist mehr ein Chronist der bestehenden Verhältnisse, die er gut, treffend und interessant zu schildern weiß. Der Roman ist im Moment auf deutsch nur als Doppelband mit dem "Bourbaki-Gambit" zu erhalten und ich freue mich schon auf den zweiten Roman.

:stern: :stern: :stern: :stern:

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Beitragvon Katia » 02.02.2007, 20:48

[center]Das Bourbaki-Gambit[/center]

Inzwischen habe ich auch den zweiten Roman des Doppelbands gelesen, der wenn auch eigenständig sich mit einer ähnlichen Thematik beschäftigt:

Inhalt: Max Weiß, Biochemiker in Princeton, wird emeritiert, als wäre das nicht schon schlimm genug aufs Altenteil abgeschoben zu werden - er bekommt auch keine Bezüge. Rache ist sein primäres Ziel, als er sich mit drei anderen "alten" Naturwissenschaftlern und einer Historikerin als Mäzenin und gutem Geist zusammenschließt, um der wissenschaftlichen Welt zu beweisen, dass sie alle noch hochkarätige Forschung betreiben können. Sie nehmen sich Nicolas Bourbaki, eine Vereinigung von Mathematikerin, die unter diesem Pseudonym (Lehr-)bücher veröffentlichten, zum Vorbild und erfinden Diana Skordylis unter deren Namen sie ihre Ergebnisse veröffentlichen. Als der Österreicher Sepp einen wirklich guten Einfall hat, beginnen die Probleme ...

Meine Meinung: Was ist wichtiger: der persönliche Ruhm oder die Forschungsergebnisse? Mit dieser Frage beschäftigt sich Djerassi in diesem Roman, sein Fokus liegt auf dem älteren Wissenschaftler. Eingeflochten sind wieder zwei kleine Liebesgeschichten, Joselyns wird aber nicht richtig in die Handlung eingebunden, Max und Dianas ist vorhersehbar. Doch in seinem eigentlichen Gebiet, dem menschlichen Umfeld der Wissenschaft, schreibt Djerassi wunderbar und treffend, seine Charaktere sind wirklichkeitsnah ohne klischeehaft zu wirken. Neben dem Konflikt den das Alter mit sich bringt, beschäftigt der Autor sich auch mit Frauen in der Wissenschaft, repräsentiert durch die Feministin Diana. Wieder ein gutes Buch in einem sehr speziellen Genre.

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Beitragvon Katia » 07.10.2008, 10:53

Menachems Same

Menachems Same ist der dritte Teil von Djerassis ``Science in Fiction''-Tetralogie. Hat er sich in den ersten beiden Bänden mit Wissenschaftlern an Universitäten beschäftig, geht es hier mehr um die finanziellen Seiten der Forschung und um Weltpolitik. Und eine Liebesgeschichte der ganz besonderen Art.

Melanie Laidlaw, Mitte 30, Witwe, ist die Geschäftführerin von REPCON, einer Stiftung, die Forschung auf dem Gebiet der Reproduktionsbiologie finanziert. Bevorzugt zum Thema Empfängnisverhütung, im Falle der jungen Inderin Renu Krishnan aber auch zur erektilen Dysfunktion (vulgo: Impotenz). Die Wissenschaftlerin geht nach Isreal, um klinisch Studien durchzuführen, dort wird sie nicht nur ihre Forschung weiterentwickeln, sondern auch den Mann ihres Lebens kennenlernen, der mit MUSA die technischen Voraussetzung für die Anwendung von Renus ''NONO``s bei Männern erfindet.
Isreal und ein jüdischer spielt nicht nur in der Renus, sondern auch in Melanies Leben ein Rolle: bei einer Kirchberg-Konferenz lernt sie Menachem Dvir kennen. Auf diesen Konferenzen wird internationale Politik in fast privatem Rahmen besprochen - hier kann der Isreali Dvir auch mal mit einem PLO-Mitglied in die Sauna gehen. Noch lieber allerdings mit der attraktivem Melanie. Mehr könnte aus dieser wunderbaren sexuellen Beziehung werden - wäre Menachem nicht verheiratet und in einer tiefen Schuld seiner Frau gegenüber. Doch Melanies biologische Uhr tickt unüberhörbar laut. Doch sie ist nicht umsonst über die neueste Forschung im Bereich der Reproduktionsbiologie informiert, um nicht eine Lösung zu finden.

Von den vier Romanen hat mir dieser am wenigsten gefallen (und wie man an den Sternen sieht immer noch gut!) - dazu sind die politischen Themen nicht ausgearbeitet genug, dazu tröpfelt die Handlung etwas pointefnlos vor sich hin. Nichtdestotrotz gibt es viele Aspekte über die das Buch zum Nachdenken anregt, darüber wie weit wir unsere Fruchtbarkeit und Potenz selbst steuern können dürfen, können, sollen. Darüber, wie (der Roman spielt in den späten 70ern) die männlich dominierte Wissenschaftsgesellschaft die Themen bestimmt, wie aber auch der Feminismus beginnt Einfluss zu nehmen (auch wenn ich den in diesen Themen bis heute wenig sehen kann - oder gibt es eine Anti-Baby-Pille für Männer und Viagra für Frauen?). Djerassi schafft starke Frauenfiguren, vielleicht manchmal schon fast zu männlich-hart-durchsetzend. Kennt man seine eigene Biographie als Mitentwickler der Pille, der sich im späteren Leben mehr für soziologische Aspekt der Empfängnisverhütung interessierte und Schriftsteller wurde, liest man den Roman noch etwas aufmerksamer. Wie immer spart er nicht mit (erfundenen? zumindest für mich als Nicht-biologin, -Chemikerin, -Medizinerin glaubwürdig klingenden) wissenschaftlichen Details. Seinen Einblick in den Wissenschaftsbetrieb in den ersten beiden Bänden (Cantors Dilemma und Das Bourbaki Gambit) fand ich charmanter, aber wahrscheinlich nur, weil das Bereiche sind, die meinem eigenen Leben etwas näher liegen.

:stern: :stern: :stern: :stern: (mit kleinen Abzügen)

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Beitragvon Katia » 07.10.2008, 11:00

NO

``Science in Fiction'' nennt die ``Mutter der Pille'' Carl Djerassi seine Tetralogie rund um Wissenschaft und die Menschen dahinter. NO ist das chemische Symbol für Stickoxid, eine Verbindung, die Renu Krishnan, die junge Inderin aus ``Menachems Same'' erfolgreich einsetzt, um männliche Impotenz zu behandeln. Mit Jephtah Cohn inzwischen verheiratet, lebt sie in Kalifornien und ergreift die Chance ihre Erfindung bis zur Marktreife zu begleiten. Als Geschäftsführerin von SURYA ist sie auf einmal mit ganz neuen Problemen konfrontiert: sie muss einen wisschenschaftlichen Beirat besetzen, Aufsichtsratssitzungen beiwohnen, erlebt den Aktiengang des jungen Unternehmens mit. Und ganz nebenbei wird sie auch noch schwanger. Ihr Mann dagegen hat sich ein neues Forschungsgebiet gesucht: er arbeitet an einem Gerät das auf neue und revolutionäre Weise den Zyklus und damit die fruchtbaren Phasen der Frau (oder einer Kuh) bestimmen kann. Hochkarätig hat Djerassi den Aufsichtsrat besetzt: der Leser trifft nicht nur Melanie und Menachem wieder (und die beiden nach Jahren sich), sondern auch Cantor, Paula und Celestine aus ``Cantors Dilemma''. Der Schwerpunkt liegt in diesem Band neben der Weiterentwicklung der Lebensgeschichte seiner Charaktere auf SURYA. Detailliert werden die Probleme rund um die amerikanische Medikamentenzulassung bei der FDA, die Schwierigkeiten, Diplomatien, Absicherungen rund um einen Börsengang thematisiert.

Rundum ein Abschluss zur Tetralogie, wenn er sich auch hauptsächlich als Fortsetzung von ``Menachems Same'' liest. Der Leser trifft nicht nur alte Charakter wieder (aus dem ''Bourbaki Gambit`` war niemand anwesend, oder habe ich das überlesen?), sondern erfährt auch den letzten Schritt zur Marktreife eines Medikaments: nicht nur der wissenschaftliche Elfenbeinturm, wo hehre Forschung betrieben wird (und in der Biomedizin, wie Djerassi sagt, jeder hilfe Krebs oder Alzheimer zu heilen) und Antrag auf Antrag geschrieben wird, sondern die harte Geschäftwelt, wo wirtschaftliche Erwägungen die Hauptrolle spielen. Djerassi neigt etwas zu plakativer Charakterzeichung, mit Renu ist ihm die perfekte Karrierefrau (in Wissenschaft und Wirtschaft) gelungen, die ganz nebenbei auch noch eine funktionierende Familie hat - wenns doch im wirklich Leben auch immer so glatt ginge. Dass sie am Ende eine ähnliche Entscheidung trifft wie der Nobelpreisträger Jerry aus ''Cantors Dilemma`` passt perfekt in diese Bild und ist so ein passender Abschluss für die Tetralogie. Ich glaube, Djerassi mag seine Charaktere einfach zu sehr, um ihnen Böses zu tun und ein gute Ende zu missgönnen. Doch das Interssante an seinen Romanen sind die Einblicke in Forschung und Forschungsvermarktung, die er spitzfedrig seziert. Und das gelingt ihm überaus gut!

:stern: :stern: :stern: :stern: / :stern:

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